„Das Geldmonopol sorgt systematisch für Krisen“
Barclays-Ökonom Thorsten Polleit hat lange vor dem Bankencrash vor dem Risiko der Liquiditätsschwemme gewarnt. Welche Reformen er jetzt fordert, welche Risiken er sieht.
von S. Parplies und K. Schachinger
Fast klingt es wie ein Aufruf zur Revolution, wenn Thorsten Polleit, Chefvolkswirt für Deutschland bei der britischen Investmentbank Barclays Capital, über das Geldsystem spricht.
„Das staatliche Geldangebotsmonopol sorgt systematisch für immer schwerer werdende Wirtschafts- und Finanzkrisen“, kritisiert der 41-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung. Um nachhaltig gutes Geld zu erhalten, müsse das Geldsystem privatisiert werden. Es gebe keinen überzeugenden ökonomischen Grund, warum der Staat Monopolanbieter sei, argumentiert Polleit.
Solche Thesen sind unter Ökonomen umstritten, finden im Schatten der Finanzkrise aber zunehmend Gehör. Schließlich gehörte Polleit zu den wenigen, die frühzeitig vor dem Wall-Street-Crash vor den Risiken der weltweiten Liquiditätsschwemme für das Wirtschafts- und Finanzsystem gewarnt hatten. Was Polleit über Systemfehler, Inflationsrisiko und Spekulationsblasen denkt – und welchen Ratschlag er Anlegern in der aktuellen Situation gibt.
€uro am Sonntag: Herr Polleit, die Notenbanken haben die Märkte massiv mit Liquidität geflutet. Wie groß ist die Gefahr, dass wir eine Verbraucherpreisinflation wie in den 1920er-Jahren erleben?
Thorsten Polleit: Aus den bisherigen Maßnahmen selbst folgt noch keine Hyperinflation. Allerdings, so ist zu befürchten, weisen die bisherigen geldpolitischen Schritte, wenn sie nicht rückgängig gemacht werden, unweigerlich in Richtung sehr hoher Inflation. Denn in nahezu allen westlichen Industrieländern versucht man den Übelständen, die durch zu viel Kredit und Geld angerichtet wurden, mit immer mehr Kredit und Geld zu entkommen. Mit immer mehr Schulden kann das Bezahlen von offenen Rechnungen nur zeitweise in die Zukunft verlagert werden. Der Notwendigkeit, letztlich bezahlen zu müssen, entkommt das Kollektiv dadurch aber nicht. Haben die Staaten womöglich Interesse an einer überdurchschnittlichen Inflation, um die massiv gestiegene Staatsverschuldung abzubauen?
Polleit: Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Das Ansteigen der Geldmenge ist ökonomisch gleichzusetzen mit einer Verminderung des Tauschwerts des Geldes: Steigt die Geldmenge, kann für eine Geldeinheit weniger gekauft werden im Vergleich zur Situation, in der die Geldmenge unverändert bleibt. Die Preissteigerungen sind lediglich Symptome der Geldmengenausweitung. Nun zu Ihrer Frage. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass mit steigender Inflation die Staatsverschuldung vermindert werden kann. Steigt nämlich die Inflation, müssen Dauerschuldner ihre fällig werdenden Kredite zu höheren Kapitalmarktzinsen refinanzieren. Die reale Schuldenlast kann so nicht vermindert werden, und solange eine freie Marktzinsbildung möglich ist, kann steigende Inflation rasch zum Bankrott führen.
Wer wird gewinnen, wer verlieren?
Polleit: Inflation ist ein gesellschaftliches Übel. Sie begünstigt die einen, weil sie die anderen schädigt. Oder anders gesagt: An der Inflation kann einer nur dann gewinnen, wenn ein anderer verliert. Inflation ist eine Form der Enteignung. Heute liegt das Monopol der Geldproduktion de facto beim Staat. Insofern besteht stets die Gefahr, dass der Staat die Herrschaft über das Geld missbraucht und inflationiert. Die Währungsgeschichte bietet reichhaltiges Anschauungsmaterial, dass dies immer wieder geschehen ist.
Wird die Liquiditätsschwemme zu neuen Blasen wie zuletzt im anglo-amerikanischen Immobilienmarkt führen?
Polleit: Das ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Die Aktienkurse scheinen wieder einmal zu inflationieren. Inflation setzt Fehlinvestitionen und damit konjunkturelle Scheinblüten in Gang, die früher oder später jedoch in sich zusammenbrechen und in Rezession und Arbeitslosigkeit münden. Wie und wieweit kann künftig eine gefährliche Blasenbildung unterbunden werden? Kann staatliche Regulierung das Risiko wirklich minimieren?
Polleit: Das staatliche Geldangebotsmonopol sorgt systematisch für immer schwerer werdende Wirtschafts- und Finanzkrisen. Denn das Staatsgeld wird durch Kredit quasi „aus dem Nichts“ geschaffen, ohne dass es durch Ersparnisse gedeckt wäre. Und die Krisen, die das Staatsgeld verursacht, weil es inflationär ist und zu Fehlinvestitionen verleitet, werden mit immer mehr Kredit und Geld zu immer niedrigeren Zinsen „bekämpft“. Regulierung kann das Problem nicht lösen, sie bringt vielmehr Probleme eigener Art hervor. Die Lösung – und Ökonomen wie insbesondere Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek haben das frühzeitig empfohlen – lautet: Die Geldmengenausweitung per Kredit muss beendet werden, das Geldsystem ist zu privatisieren, um nachhaltig gutes Geld zu erhalten.
Was für Schritte schlagen Sie vor, um das System zu reformieren?
Polleit: Zunächst muss wohl die Öffentlichkeit erst einmal erkennen, welche Kosten über kurz oder lang auf das Gemeinwesen zukommen, wenn die Kredit- und Geldmengen immer weiter anwachsen. Das Verständnis würde dann den Weg ebnen, um über bessere Lösungen nachzudenken und sie zu identifizieren. Ein Reformansatz könnte sein –und dieser Vorschlag stammt vom Ökonomen Jesús Huerta de Soto –, dass die Zentralbanken angewiesen werden, das Geldmengenwachstum für die kommenden Jahre nach und nach immer weiter zu reduzieren und dann auf null Prozent zurückzuführen. Gleichzeitig wird eine 100-Prozent-Reserve-Haltung eingeführt. Am Ende der Phase der Inflationsentschleunigung wird die Geldmenge mit den Goldbeständen gedeckt, die noch in den Zentralbankkellern lagern. Danach werden freier Währungswettbewerb und Free Banking zugelassen.
Gibt es wirklich Alternativen zum staatlichen Geldangebotsmonopol?
Polleit: Geld ist ein Gut wie jedes andere auch. Es zeichnet sich lediglich dadurch aus, dass es das Gut ist, das sich am besten zum Tauschen einsetzen lässt. Aus meiner Sicht gibt es keinen überzeugenden ökonomischen Grund, warum der Staat der Monopolanbieter sein sollte. Die Zweifel, dass ein freies Marktgeld schlechter sein sollte als das Staatsgeld, erklären sich wohl dadurch, dass es an Vertrautheit mit Funktionsweise und Prinzipien des freien Marktgeldes mangelt. Ist es überhaupt möglich, die Liquidität aus dem Markt zu nehmen, ohne den Wirtschaftsaufschwung zu gefährden?
Polleit: Eine Abkehr vom immer stärkeren Ausweiten der Geldmenge durch Kredite, an das sich die Volkswirtschaften in den letzten Dekaden gewöhnt haben, ist ohne Anpassungsrezession vermutlich nicht zu haben. Doch je früher Reformschritte eingeleitet werden, die den Weg zurück zu nachhaltig gutem Geld ebnen, desto geringer werden die Kosten des Umkehrens sein.
Die Teuerungsrate wird bislang anhand eines fiktiven Warenkorbs gemessen. In diese Inflationsmessung überhaupt noch angemessen?
Polleit: Investoren sollten, wenn sie sich ein Bild über die Entwicklung des Tauschwerts von Geld machen wollen, verstärkt auf das Geldmengenwachstum achten. Das ist in der Regel weitaus aussagekräftiger als das Betrachten eines Preisindexes im Zeitablauf. Der Versuch, die allgemeine Preisentwicklung – also die Symptome der Geldmengenentwicklung – mit einem Index messen zu wollen, wird immer unzureichende Ergebnisse bringen. Die aktuelle Krise ist, und ich hatte bereits versucht, das deutlich zu machen, eine Folge eines Geldsystems, in dem Geld per Kredit „aus dem Nichts“ geschaffen wird. Der Schaden ist bereits unwiderruflich aufgelaufen. Nun ist es höchste Zeit, daraus die richtigen Lehren zu ziehen und entsprechende Reformwege zu identifizieren, denke ich.
Wie können Anleger am besten von den Folgen der Liquiditätsausweitung profitieren?
Polleit: Wenngleich auch die laufende Teuerungsrate relativ gering ist, so sollte das nicht den Blick dafür verstellen, dass der Geldwert zusehends in Gefahr gerät. Langfristig orientierte Investoren sollten sich verstärkt mit „realen Vermögenswerten“ – und hierzu zählen Immobilien, Anteile am Produktivkapital und natürlich auch Rohstoffe – beschäftigen.