50 Jahre BAföG: Nach der Reform ist vor der Reform
Das BAföG ist in diesem Jahr 50 geworden - doch die Partys blieben aus. Die Förderung hilft zwar, aber nicht genug.
von Sabine Hildebrandt-Woeckel, Euro am Sonntag
Als Everhard Uphoff vor mehr als 30 Jahren seinen ersten BAföG-Bescheid in Händen hielt, war er enttäuscht. Nur 200 D-Mark gestand das Amt ihm zu. Den Rest sollten seine Eltern zuschießen. Uphoff sprach sie aber nie darauf an. Stattdessen suchte er sich einen Nebenjob und hatte Glück. Nicht nur, dass er diesen rasch fand. Ab dem zweiten Semester klappte es auch mit der Studienförderung.
Die Familiensituation hatte sich etwas verändert. Nun stand ihm der laut Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) mögliche Höchstsatz zu, er konnte die Nebentätigkeiten reduzieren und so sein Studium der Kulturwissenschaften abschließen. Sogar zwei Semester im Ausland wurden zusätzlich gefördert, die ihm halfen, in der Wirtschaft Fuß zu fassen.
Dass der Staat ihm damals unter die Arme griff und ihn als Ersten aus seiner Familie an die Uni brachte, dafür ist Uphoff, der heute als freier Trainer und Autor in München arbeitet, bis heute dankbar. Gleichzeitig fallen ihm aber auch zahlreiche Kritikpunkte ein. Etwa die Unsicherheit, jedes Jahr erneut nicht zu wissen, was man bekommt, oder die langen Jahre, die er einen Teil des Geldes wieder abstottern musste. "Ich denke, es gab und gibt hier viel zu verbessern."
Ein Resümee, das man in diesen Wochen von vielen Seiten hört - von Sozialökonomen und Politikern ebenso wie von Studentenvertretern. "Auf lange Sicht betrachtet, gibt es nach 50 Jahren BAföG durchaus etwas zu feiern", bringt es Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, auf den Punkt. Gleichzeitig aber, findet auch er, sei der Reformbedarf groß. Seit Jahren sind die Zahlen der BAföG-Bezieher rückläufig, zum Jubiläum liegt die Quote der Geförderten auf dem historischen Tiefstand von gerade mal elf Prozent aller Studenten.
Geplant, so lässt es sich in der Chronik ablesen, war das alles einmal ganz anders: Die staatliche Geldspritze, auf die jeder Student einen Anspruch hat, wenn das Einkommen der Eltern oder des Ehepartners eine bestimmte Grenze nicht übersteigt (siehe unten), sollte Bildungsgerechtigkeit herstellen. Und als das BAföG 1971 von der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt zunächst als Vollzuschuss ins Leben gerufen wurde, war es auf Anhieb ein großer Erfolg. Schon ein Jahr später wurden 44,6 Prozent aller Studenten gefördert.
Lange allerdings hielt der Höhenflug nicht an, denn schon drei Jahre später ruderte die Politik zurück und führte erstmals einen Darlehensanteil ein. Ende 1982 wurde das BAföG unter Bundeskanzler Helmut Kohl sogar auf Volldarlehen umgestellt - was zu drastisch sinkenden Antragszahlen führte. 1990 wurde wieder die Hälfte der Fördersumme als Zuschuss gezahlt und noch einmal gut zehn Jahre später die Rückzahlungssumme auf 10.000 Euro begrenzt. Trotzdem stieg die Förderquote auch daraufhin nicht wieder auch nur in die Nähe der Anfangsjahre.
Lieber kein BAföG als viele Schulden
Warum das so ist, dafür gibt es durchaus unterschiedliche Gründe, wie Wolf Dermann, Geschäftsführer von Arbeiterkind.de, erläutert. Die 2008 von ihm mitgegründete gemeinnützige GmbH hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder aus nicht akademischen Elternhäusern zum Studium zu ermuntern. Dass es BAföG gibt, sieht auch er grundsätzlich positiv, er erlebt aber immer wieder, dass die Förderung ihrem Anspruch nicht mehr gerecht wird.
Das fängt schon damit an, so Dermann, dass viele, die eigentlich Anspruch auf BAföG haben, den Antrag gar nicht erst stellen - ein Viertel davon, wie das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) erhob, aus Angst vor Überschuldung. Eine Forderung von Dermann, aber auch seitens des Deutschen Studentenwerks, lautet denn auch, möglichst rasch wieder auf einen Vollzuschuss umzustellen. Auch und gerade, weil es sich die Bundesrepublik angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels überhaupt nicht leisten könne, auf potenziellen Nachwuchs zu verzichten. Die Förderquote, auch das ermittelte das FIBS, ließe sich so fast verdoppeln.
Viele theoretisch Anspruchsberechtigte, so Dermann weiter, wissen aber auch nicht genug über die mögliche Unterstützung oder lassen sich bereits vom aufwendigen Antragsverfahren abschrecken. Zigmal, so erzählt es auch Johanna Brantl, hätten sie und ihre Eltern Unterlagen nachliefern müssen. Und Nachfragen bei den zuständigen Stellen seien entweder gar nicht oder höchst unfreundlich beantwortet worden. Die 21-Jährige, Tochter eines Lkw-Fahrers und einer Bürofachkraft, studiert im dritten Semester in Regensburg und möchte Grundschullehrerin werden.
Zudem sehen Experten auch einen Fehler im System. Denn einerseits dauert es mehrere Wochen, bis ein Antrag bearbeitet ist - und erst dann erfährt man, ob und was bewilligt wird. Andererseits kann man den Antrag erst dann stellen, wenn man bereits einen Studienplatz hat. Wer keine Unterstützung aus dem Elternhaus bekommt, startet also bereits mit großer finanzieller Unsicherheit - die sich dann Jahr für Jahr wiederholt. Auch das, sagt Dermann, halte viele davon ab, grundsätzlich ein Studium in Erwägung zu ziehen.
Der studierte Kommunikationswissenschaftler weiß, wovon er spricht. Er selbst konnte zwar das gesamte Studium auf die emotionale wie finanzielle Unterstützung seiner Eltern zurückgreifen, seine Lebensgefährtin dagegen hatte dieses Glück nicht - und tat sich dadurch deutlich schwerer. Diese selbst miterlebte Ungleichheit war es denn auch, die ihn seine Organisation ins Leben rufen ließ, für die heute immerhin 6.000 Ehrenamtliche dazu beraten, wie sich das Studium mit BAföG, aber auch jenseits davon, auf sichere finanzielle Beine stellen lässt, beispielsweise durch Stipendien oder auch Kredite. Denn: "Wer nicht weiß, wie er seinen Lebensunterhalt sichert, kann sich eben nicht voll aufs Studium konzentrieren."
Damoklesschwert Regelstudienzeit
Wobei hier bereits die nächste Hürde für BAföG-Empfänger lauert: die Regelstudienzeit. Zahlen die Eltern, sind in der Regel ein oder zwei Wechsel des Studienfachs drin - auch wenn das Studium bereits weit fortgeschritten ist. Das BAföG-Gesetz aber setzt hier deutlich engere Grenzen, was auch das Studentenwerk kritisiert. Im Bachelorstudium, erläutert Studentenwerksvertreter Anbuhl, dürfen sich BAföG-Empfänger nur bis zum vierten Semester für ein anderes Studienfach entscheiden. Und zum fünften Semester müssen sie nachweisen, dass sie genügend Kurse oder Seminare besucht und die notwendigen Zwischenprüfungen bestanden haben, um das Studium in der Regelstudienzeit zu schaffen. Können sie das nicht, endet die Förderung.
Gerecht findet auch Studentin Brantl das nicht. Zumal es Fakt ist, dass im Schnitt weniger als die Hälfte der Studenten ihr Studium in der Regelstudienzeit schafft. 2019 waren es gerade einmal 40 Prozent der Bachelorstudenten, ermittelte das Statistische Bundesamt. Unter allen Hochschülern lag die Quote sogar nur bei 33 Prozent.
Die beiden wichtigsten Forderungen aber, die die BAföG-Kritiker derzeit vorbringen, betreffen die Höhe der Förderung selbst und die Freibeträge der Eltern. Nach mehrmaligen Nullrunden von 2001 bis 2008 und 2010 bis 2016 wurde der BAföG-Satz zum vergangenen Wintersemester zwar auf 861 Euro monatlich erhöht, das reicht jedoch nicht.
325 Euro fürs Wohnen
Derzeit überprüft das Bundesverfassungsgericht sogar, ob das Geld, das BAföG-Studenten tatsächlich zur Verfügung steht, nicht unter dem Existenzminimum liegt. Dabei besonders in der Kritik: die Wohnpauschale von 325 Euro, über die Studenten (und Vermieter) in Großstädten wie Hamburg oder München nur lachen können.
Johanna Brantl zahlt in Regensburg über 500 Euro für ihr Zimmer - bei gerade einmal 233 Euro, die das BAföG-Amt insgesamt für das laufende Semester bewilligt hat. Was sie daran besonders ärgert, ist, dass die Freibeträge, die das Amt ihren Eltern gewährt, ebenso wenig mit der Realität mithalten können wie ihre Mietpauschale. Die Eltern unterstützen zwar gern, bringen die theoretisch geforderte Summe aber gar nicht auf.
Um tatsächlich ihren Lebensunterhalt sichern zu können, braucht daher auch Brantl - wie vor 30 Jahren Everhard Uphoff - einen Nebenjob. Wobei sie es total ungerecht findet, dass ihre Eltern, "die arbeiten, seit sie 14 sind", sich nun auch noch für ihr Studium massiv einschränken sollen. Uphoff sieht das genauso: Acht Kinder hatten seine Eltern großgezogen, als er als Zweitjüngster anfing zu studieren, und endlich nahmen ihre Geldsorgen etwas ab. "Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, jetzt noch mal etwas von ihnen zu fordern."
"Ein Klassiker", so sieht es auch Dermann. Tatsächlich hätten viele Eltern letztlich viel weniger Geld zur Verfügung, als das Amt anhand theoretischer Vorgaben berechnet. Vielleicht zahlen sie eine Immobilie ab oder müssen anderweitig noch ihre Altersvorsorge aufbauen. "Selbst bei Familien mit mittlerem Einkommen", bestätigt Experte Anbuhl, "geht die Rechnung oft nicht auf."
Seine Forderung an die neue Koalition in Berlin ist darum auch klar. Nach 26 Reformen, "die oftmals keine Verbesserung brachten", sollte nun möglichst schnell die 27. auf den Weg gebracht werden. In Kurzform: mehr Geld für mehr Berechtigte, ein schnelleres und passgenaueres Antragsverfahren und die Rückkehr zum Volldarlehen. Dann kann richtig gefeiert werden.
BAfög für Studenten
Höchstsatz bis zu 25 Jahren: 744 Euro (bei Familienversicherung), von 25 bis 29 Jahren: 861 Euro (bei eigener Krankenversicherung), ab 30 Jahren: maximal 933 Euro (weil sich dann der Krankenversicherungsbeitrag erhöht) Vermögensfreibetrag für Antragsteller: 8.200 Euro Freibetrag für Studenten; für Verheiratete oder Eltern eines unterhaltsberechtigten Kindes erhöht sich der Freibetrag um jeweils 2.300 Euro.
Einkommen der Eltern: Teilförderungen sind bis zu einem Bruttoeinkommen der Eltern von 60.000 Euro möglich. Vermögen wird nicht angerechnet.
Zuverdienstgrenzen: 450 Euro monatlich (Minijob) oder 5.400 Euro im Jahr bei kurzfristigen Beschäftigungen. Beim Bezug von Waisenrente oder Stipendien gelten spezielle Regeln.
Förderungshöchstdauer: Dauer der Regelstudienzeit, der Antrag muss aber jährlich neu gestellt werden. Besondere Gründe wie Krankheit oder Auslandssemester können die Förderung verlängern.
Wo beantragt wird: Studentenwerk an der Hochschule (Ausnahme Rheinland- Pfalz).
Rückzahlung: Fünf Jahre nach dem Ende des Studiums beginnt - sofern das eigene Einkommen reicht - die Rückzahlung, normalerweise in Raten von 130 Euro pro Monat. Wird dann die gesamte Summe auf einmal gezahlt, werden bis zu 2.100 Euro erlassen. Nach 20 Jahren ist mit den Rückzahlungen Schluss, und zwar auch dann, wenn noch nicht alles abbezahlt wurde.
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