Chancen der Kapitalmarktunion nutzen

Die Kapitalmarktunion ist eines der zentralen Zukunftsprojekte der Europäischen Kommission. Für die deutschen Banken und die deutsche Wirtschaft eröffnen sich damit ganz neue Möglichkeiten.
von Gunter Dunkel, Gastautor von Euro am Sonntag
Unternehmen in Deutschland können sich aktuell deutlich leichter finanzieren als in den meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Das wird langfristig aber nicht so bleiben. Denn auf Bankenseite sorgen höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen dafür, dass sich das klassische Finanzierungsgeschäft verteuern und verknappen wird. Es ist mathematische Logik, dass sich mit einer Eigenkapitalquote von sechs Prozent ein umfangreicheres Finanzierungsvolumen darstellen lässt als mit elf Prozent. Die Einführung einer sogenannten Leverage Ratio als "Schuldenbremse" für Banken wird das Problem zusätzlich verschärfen. Zudem üben das aktuelle Zinsumfeld und intensiver Wettbewerb Druck auf die Margen im klassischen Finanzierungsgeschäft aus.
Gleichzeitig suchen hohe Volumina an liquiden Mitteln nach Anlagemöglichkeiten, und Unternehmen werden auch weiterhin Finanzierungen nachfragen. Soll die deutsche Volkswirtschaft weiter wachsen, bedarf es zusätzlicher nachhaltiger Anlageklassen und Finanzierungsquellen. Neben notwendigen Strukturreformen ist ein integrierter Binnenmarkt für Finanzierungsinstrumente, wie ihn die Europäische Kommission vorschlägt, auch im deutschen Interesse. Schließlich zählen die EU-Mitgliedsländer zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands.
Steht da ein Trojanisches Pferd
vor der deutschen Wirtschaft?
Nach der Bankenunion ist die Kapitalmarktunion das zentrale Großprojekt der Europäischen Kommission in den kommenden Jahren. Ziel ist es, auf europäischer Ebene die Unternehmensfinanzierung zu verbessern und damit Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Zu den Maßnahmen zählen unter anderem: eine stärkere Einbindung institutioneller und privater Investoren in die langfristige Finanzierung von Unternehmen sowie Infrastrukturprojekten, die Förderung kapitalmarktbasierter Finanzierungsinstrumente und die Standardisierung von Kreditinformationen.
Allerdings hat die Kommission mit ihrer Ankündigung für intensive Diskussionen gesorgt. So entstand zuweilen der Eindruck, als stünde ein Trojanisches Pferd vor dem deutschen Bankenmarkt und der deutschen Wirtschaft. Das Projekt wird verdächtigt, angelsächsische Kapitalmarktgläubigkeit einzuschleusen und der traditionellen Bankenfinanzierung den Garaus zu bereiten.
Nun sind weder der deutsche Bankenmarkt noch die deutsche Wirtschaft eine Festung mit hohen Mauern wie das antike Troja. Im Gegenteil: Deutschland ist in hohem Maße in die Weltwirtschaft und den europäischen Binnenmarkt integriert. Es lohnt sich daher, das Projekt der Kapitalmarktunion als Chance für unser Land zu begreifen.
So sollte es zum Beispiel Normalität werden, dass ein mittelständisches Unternehmen seine Wertpapiere EU-weit emittiert und Kapital aufnimmt. Insbesondere die Wiederbelebung der Verbriefungsmärkte und die erweiterten Geschäftsoptionen für Banken als Intermediäre bieten die Chance, die Finanzierungsmöglichkeiten der Realwirtschaft abseits der Bankbilanzen zu erweitern. Zudem eröffnet die Kapitalmarktunion die Möglichkeit einer breiteren Risikostreuung für Investoren. Unternehmen hingegen könnten ihre Finanzierungsquellen besser diversifizieren. Auch die Infrastrukturfinanzierung in Deutschland könnte verbessert werden. Bisher wird sie hauptsächlich von der öffentlichen Hand übernommen. In Zeiten der Schuldenbremse jedoch ist für die Erfüllung dieser Aufgabe auch privates Kapital gefragt.
Deshalb ist die Aussage "Wir haben in Deutschland keine Kreditklemme. Wir brauchen keine Kapitalmarktunion!" zu kurz gedacht. Gute Kreditinstitute denken als Partner ihrer Kunden langfristig und an deren Interessen in einem dynamischen Umfeld. Selbstverständlich hat die Kapitalmarktunion eine europäische Dimension. Die Kommission spricht von der European Capital Markets Union, nutzt also den Plural. Damit wird deutlich, dass die strategische Chance des Vorhabens darin liegt, die Fragmentierung der 28 nationalen Kapitalmärkte zu überwinden. Unter den Finanzplätzen herrscht ein intensiver globaler Wettbewerb um Investoren und die Etablierung von Standards für Produkte. Wenn Europa wettbewerbsfähig bleiben will, können wir uns die Ineffizienz von 28 zersplitterten Kapitalmärkten nicht länger leisten.
Vielmehr sollten wir die Chancen eines europäischen Binnenmarkts für Finanzierungsinstrumente nutzen. Sie bestehen einerseits in besseren Finanzierungsbedingungen für unsere Wirtschaft. Andererseits wäre es möglich, eine spezifisch europäische, langfristig orientierte Kapitalmarktkultur zu etablieren. Damit würde man einen Gegenpol zu einer kurzfristig ausgerichteten Shareholder-Value-Kultur schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Kommission ein ambitioniertes Arbeitsprogramm aufgestellt. Wir erwarten noch in diesem Jahr Vorschläge für die Neubelebung des Verbriefungsmarktes, die Nachjustierung der Verordnung zu den europäischen Wagniskapitalfonds und die Überarbeitung der Prospektrichtlinie. Auch dicke Bretter, wie die Harmonisierung des Insolvenz- und Steuerrechts, werden zu bohren sein. Den Abbau von Hindernissen für die Kapitalverkehrsfreiheit begrüßen wir.
Kreditversorgung durch
Banken als wesentliche Säule
Festzuhalten bleibt: Die Kapitalmarktunion ist kein Trojanisches Pferd. Die Kommission hat die Branche umfangreich eingebunden und erkennt die Kreditversorgung durch Hausbanken als wesentliche Säule der Finanzierung mittelständischer Unternehmen an. Sie betont, dass sie Kapitalmarktinstrumente und die klassische Bankfinanzierung nicht gegeneinander ausspielen will, sondern als Komplementäre betrachtet. Diesen Kurs begrüßen wir.
Die deutsche Wirtschaft und die deutschen Banken setzen schon heute auf eine Verknüpfung von Kredit- und Kapitalmarktfinanzierung. Wir haben viele Beispiele, die auch Europa weiterbringen können. So ermöglicht das Schuldscheindarlehen Unternehmen eine flexible, unbürokratische Finanzierung. Förderbanken sichern die Langfrist- und Infrastrukturfinanzierung sowie die Unterstützung von Gründungen, gerade in schwierigen Marktphasen.
Wir, die Öffentlichen Banken Deutschlands, werden uns weiterhin konstruktiv am Aufbau der Europäischen Kapitalmarktunion engagieren, damit daraus eine Erfolgsgeschichte wird.
Kurzvita
Gunter
Dunkel,
Präsident des
Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands
Dunkel, 1953 in Waiblingen geboren, ist Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. 1997 wurde er in den Vorstand der Nord/LB berufen, 2009 zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Seit Juni 2013 steht er dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB, als Präsident vor. Der VÖB vertritt 63 Mitgliedsinstitute, darunter die Landesbanken sowie Förderbanken des Bundes und der Länder.
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Bildquellen: gualtiero boffi / Shutterstock.com, Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands