Grauer Kapitalmarkt

Wie Milliarden verschwinden

01.04.13 03:00 Uhr

Hohe Renditen, angesagte Investmenttrends und blinde Gier. Die Tricks der Betrüger sind simpel, aber effektiv. Wer die richtigen Fragen stellt und nachrechnet, kann sich schützen.

von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag

Heute schon epibriert? Wenn Sie nicht wissen, was epibrieren bedeutet, keine Sorge. Das vermeintliche Fremdwort ist frei erfunden und zwar von Jürgen Harksen. Der ehemalige Gerichtsvollzieher­gehilfe mischte ab 1987 die Hamburger High Society auf. Er versprach Renditen von 1.300 Prozent, oder wie er es nannte, Faktor 13. Der hanseatische Geldadel investierte rund 150 Millionen D-Mark. Harksen fabulierte über Gewinne mit Aktien, Anleihen, Devisen und Rohstoffkontrakten. Alles klang so klug und verlockend, dass viele, darunter auch gestandene Kaufleute, ihm vertrauten. Niemand wäre auf die Idee ­gekommen, das Finanzgenie des Jürgen Harksen infrage zu stellen. Ganz so wie sich keiner die Blöße geben wollte zu fragen, was Harksen denn mit epibrieren meine.

Harksen ist ein Paradebeispiel für einen wortgewandten Betrüger der die Gier ausnutzt, um die häufigste Form des Anlagebetrugs aufzuziehen: ein Schneeballsystem. Am Beginn dieses Kettenspiels steht ein selbsternannter Guru mit einer sagenhaften Anlageidee. Kunden sollen es weitersagen und neue Mitanleger werben. Was die Werber nicht wissen: Ihre Zinsen werden von dem Geld neuer Investoren gezahlt und nicht aus Gewinnen. Denn die reichen — sofern es sie überhaupt gibt — nie. Das System braucht ständig frisches Geld, und zwar immer mehr. Kommen keine neuen Anleger dazu, platzt die Blase und der Ur­heber hat das Gros des ihm anvertrauten Geldes durchgebracht. Bei Harksen war es 1993 soweit. Er floh nach Südafrika und wurde 2002 in Deutschland wegen Betrugs ­verurteilt.

Eigentlich sollte jedem klar sein, dass „Faktor 13“ nur unseriös sein kann. Doch es müssen nicht gleich 1.300 Prozent sein. Manchmal reichen zehn Prozent Rendite, um die Gier zu wecken.

Was nach kuriosen bis tragischen Einzelfällen klingt, kostet laut Schätzungen des Bundesverbraucherministeriums und Anwälten Privatanleger Jahr für Jahr 30 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer der Schäden, die am unregulierten, dem so genannten Grauen Kapitalmarkt entstehen, ist vermutlich viel höher.

Anlegeranwälte wie der ehemalige Baundesinnenminister Gerhard Baum von der Kanzlei Baum, Reiter & Collegen schätzen, dass die bekannten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Doch wie schaffen es Betrüger, Milliarden einzuwerben? Ein Blick auf die großen Betrugsfälle der Vergangenheit zeigt, dass neben hohen Renditeversprechen auch angesagte Trends und undurchsichtige oder falsch beworbene Investment­vehikel wichtig sind.

Verlockendes Betongold
Die jüngst untergegangene Fondsgesellschaft S & K versprach zwölf Prozent mit Geldanalagen in Immobillien. In Zeiten der Europäischen Schuldenkrise ist Betongold ein Fluchtinvestment. Denn ein Dach überm Kopf, so der Glaube vieler Anleger, braucht jeder. Der Schönheitsfehler der S & K-Fonds: Es wurden nur wenige lukrative Immobilien gekauft, und die Renditen waren mehr Versprechen als Realität. Viel Geld steckten die S & K-Gründer in teure Sportwagen und rauschende Feste. Auch hier vermutet die Staats­anwaltschaft ein Schneeballsystem.

Eine beliebte Masche sind überhöhte Provisionen für wertlose Investments: Nach der Wiedervereinigung priesen findige Immobilien­vermittler ganze Wohnblocks in schlechter Lage mit miesen Prognosen an — als Top-Investments für die Zukunft. Vom Käufer kassierten sie dafür fürstliche Provisionen. Die versprochenen Wertsteigerungen blieben aus, die Mieten häufig auch. Die neuen Eigentümer sitzen nun auf fast wertlosen Immobilien — oft in der ostdeutschen Provinz.

Erneuerbare Energien oder Gold sind ebenfalls beliebte Investmentthemen unseriöser Anbieter. Doch nicht nur die Anlageideen deuten auf dubiose Machenschaften hin. Oft sind es auch die Anlagevehikel. Erst kürzlich hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein ein Urteil gegen einen Anbieter von Windparks gesprochen. Das Unternehmen hatte seine Genussrechte als „Grünes Sparbuch“ beworben. Die Richter rügten die Werbung als irreführend (Az. 6 U 141/11). Während ein Sparbuch bei der Insolvenz einer Bank bis zu einer Summe von mindestens 100.000 Euro geschützt ist, müssen Inhaber von Genussrechten abwarten, was im Insolvenzverfahren an Werthaltigem übrig bleibt.

Anleger sollten immer beachten: Wer mit einem Investment Renditen weit über den aktuell möglichen erzielen will, nimmt entweder enorme Risiken in Kauf oder riskiert, betrogen zu werden. 

Galerie der Ganoven

Bernard Madoff
Exklusives Investment
Wer bei Bernard Madoff anlegen wollte, musste nicht nur viel Geld, sondern auch eine Empfehlung mitbringen. So schaffte es der Mitbegründer der Technologiebörse Nasdaq 65 Milliarden Dollar einzusammeln. Seine Kunden: Promis wie Steven Spielberg, aber auch Banken. In der Finanzkrise 2008 wollten einige Kunden ihr Geld wieder. Die Betrugsmaschinerie, die auf immer neues Geld angewiesen war, platzte. Am Ende war noch eine Milliarde Dollar übrig, 2009 wurde der heute 74-Jährige zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt.

Charles Ponzi
15 Millionen aus 2,50 Dollar
Charles Ponzi hat es geschafft, unsterblich zu werden. Denn im englischen Sprachraum heißen Schneeballsysteme Ponzi-Scheme. Der gebürtige Italiener kam 1903 in die USA mit 2,50 Dollar. 1920 hatte er 15 Millionen Dollar. Er versprach seinen Anlegern mit Währungsspekulationen 50 Prozent Gewinn. Tatsächlich konnte er Gewinne nur zahlen, solange neue Anleger ihm ihr Geld brachten. 1920 brach das System zusammen. Ponzi kam in Haft.

Dieter Breitkreuz
Gewinne machen wie die Großen
Der Phoenix Kapitaldienst, mit dem Dieter Breitkreuz ab 1992 das Geld von Kleinsparern einsammelte, versprach seinen Kunden Termingeschäfte durchzuführen, die sonst nur Banken vorbehalten seien. Rund 30.000 Anleger machten mit und verloren 300 Millionen Euro. Breitkreuz starb 2004 bei einem Flugzeugabsturz. Die Phoenix-Pleite wirkt bis heute nach. Noch ringen die Entschädigungseinrichtung EdW und der Bund darum, wer die Zeche zahlt.

Adele Spitzeder
Betrügerin und „Engel der Armen“

München im Jahr 1866: Die mittellose Schauspielerin Adele Spitzeder versucht sich als Bankerin. Sie leiht sich bei einem Handwerker Geld und verspricht zehn Prozent Zinsen. Das spricht sich rum. Bald kann sich Spitzeder vor Geld kaum retten. Alles läuft gut, solange stetig Geld nachkommt. Spitzeder lebt im Prunk, spendet aber auch an Bedürftige. 1871 wollen einige ihr Geld zurück. Der Schwindel fliegt auf, 3.100 Anleger sind finanziell ruiniert.

Ulrich Engler
Der lukrative Blick in die Zukunft

Der ehemalige Staubsaugervertreter schaf­fte es, 1.300 Gutgläubige davon zu überzeugen, dass er ein Computer­system erfunden habe, welches die Kursentwicklung von Aktien mit höchster Wahrscheinlichkeit voraussagen könne. Mit Renditeversprechen von 72 Prozent sammelte er rund 500 Millionen Dollar ein. Am Ende entpuppte sich ­alles als ein Schneeballsystem. Großer Gewinner: Engler. Im März 2013 wurde er wegen Betrugs verurteilt.