Euro am Sonntag-Titel 1

Angst vor der Null: So entkommen Sie dem Zinstief

19.12.13 03:00 Uhr

EZB-Chef Mario Draghi hat die Leitzinsen auf den tiefsten Stand aller Zeiten gesenkt, um die Eurozone aus der Krise zu führen. Der Nebeneffekt: wütende Sparer, glückliche Spekulanten und viele Kritiker.

von Andreas Höß, Euro am Sonntag

November 2011: Der Euro stürzt ab, die Eurozone droht auseinanderzubrechen. Europas Politiker schnüren erste Rettungspakete, reisen von einem Krisengipfel zum nächsten. Griechenland steht vor der Pleite, auch Italien und Spanien geraten in eine gefährliche Spirale aus steigenden Zinsen und wachsenden Schulden.

Viel ungemütlicher kann der Herbst kaum sein, in dem Mario Draghi, 65, seinen neuen Posten antritt. Er wird am 1. November 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), in der gerade ein offener Konflikt ausgebrochen ist: EZB-Mitglieder aus Nordländern streiten mit jenen aus dem Süden, zu welchen Mitteln die Währungshüter greifen können, um die Krise zu beenden. Die große Frage: Was wird Draghi tun?

Der November 2011 ist eines der großen Schlüsseldaten der Eurokrise. Der neue EZB-Chef zeigte schon dort, wie er Probleme anpacken wird: schnell und entschieden. Zwei Tage nach seinem Amtsantritt senkte er den Leitzins von 1,5 auf 1,25 Prozent. Das war nur der Beginn.
Weitere vier Mal hat Draghi bisher an der wichtigsten Stellschraube gedreht, die Notenbankern zur Verfügung steht: dem Leitzins, an dessen Höhe sich viele Kredite orientieren. Die jüngste Zinssenkung geschah vor einem Monat. Seither müssen Banken nur noch 0,25 Prozent hinlegen, wenn sie sich Geld von der EZB leihen wollen — so wenig wie noch nie in der Geschichte der europäischen Gemeinschaftswährung (siehe Grafik).
Bedrohliche Kurven (pdf)

Niedrigzinsen: Für Sparer sind sie ein Horror. Vor allem wenn sie, wie derzeit in Deutschland, unterhalb der Teuerungsrate für Waren und Dienstleistungen liegen. Die Kaufkraft eines Vermögens schmilzt dann langsam, wenn es auf einem Konto parkt. Die andere Seite: Wer Geld leiht, muss dafür wenig zahlen — was nicht nur deutschen Häusle­bauern, sondern auch Banken, Unternehmen und Staaten hilft.

Macht, Mandat und Minizins
In der Historie der EZB hat bisher kein Präsident das monetäre Gas­pedal so weit durchgetreten wie ­ Mario Draghi. Es ist eine riskante Strategie, die der Herr des Euro eingeschlagen hat. Entsprechend heftig ist die Kritik an seinem Kurs. Deutsche Sparer schimpfen über die schleichende Enteignung. Ökonomen wettern gegen die verdeckte Staatsfinanzierung, welche die EZB unter dem Italiener betreibe. Skeptiker werfen dem ehemaligen Investmentbanker vor, er mache Geldpolitik für Finanzmärkte und Banken und vernachlässige dabei seine primäre Aufgabe: auf einen stabilen Euro zu achten.

In Deutschland unterstellt man Draghi seit jeher ein lockeres Verhältnis zur Geldstabilität, über die er wachen soll: „Mamma mia, für Italiener gehört Inflation zum Leben wie Tomatensoße zur Pasta“, ätzte Ende 2011 der deutsche Boulevard. Es sollte sich als Irrtum heraus­stellen: Der Euro wurde stabilisiert, wenn auch mit äußerst unkonven­tionellen Mitteln und vielleicht auch nur vorübergehend.

Eine ganze Reihe kryptischer Kürzel musste die EZB erfinden, um das Vertrauen in Europas Staaten und ihre Währung wiederherzustellen. Rund eine Billion Euro bot sie Banken in sogenannten LTRO-Tendern an, zusätzliche Nothilfen erhielten die Institute durch ELA-Kredite. Staaten griff sie unter anderem mit dem OMT-Programm unter die Arme. Hinter letzterer Abkürzung verbirgt sich die Bereitschaft der EZB, notfalls unbegrenzt Staatspapiere aus Krisenländern zu kaufen.

Allein die Ankündigung dieses Programms im Herbst 2012 hat gereicht, um Investoren die Angst vor italienischen oder spanischen Anleihen zu nehmen und die panikartige Kapitalflucht aus Südeuropa zu beenden. Draghi wurde so zum mächtigsten Macher in der Eurokrise.
Auch die niedrigen Zinsen haben einen erheblichen Teil zur Besserung beigetragen. Zahlungskräftige Schuldner wie Deutschland müssen kaum noch Aufschläge bieten, um sich Geld an den Kapitalmärkten zu leihen. Doch die Minizinsen sind kein rein europäisches Phänomen: Auch in den USA, Großbritannien oder Japan drücken die Notenbanken die Zinsen. So sehen sich Großinvestoren auf den Rentenmärkten wieder nach rentableren Alternativen um und finden diese unter anderem an der Peripherie Europas.

Ermutigt durch das Sicherheitsnetz der angekündigten EZB-Anleihekäufe nutzen vor allem die Banken die Flut an billigem EZB-Geld, um sich wieder Bonds ihrer Heimatländer in die Bilanzen zu laden. Laut einer Studie der DZ Bank waren besonders die Institute an der Peripherie sehr aktiv. Italienische Banken stockten den Bestand an heimischen Staatsanleihen seit 2011 von 240 auf 415 Milliarden Euro auf, spanische Banken halten bereits ein Drittel aller spanischen Staatstitel. In Irland erhöhten die Finanzhäuser ihre Bestände um 60, in Portugal um 50 Prozent.

Vollgas und Leerlauf
Den akutesten Stress am Finanzmarkt hat Draghi also beseitigt. Die Zahlen zeigen aber auch: Die gefährliche Symbiose aus Banken und Staaten, die den Euro in die Krise geführt hat, ist ebenso wenig überwunden wie die Spaltung zwischen dem stabileren Norden und dem klammen Süden der Eurozone. Wirtschaftlich klafft nach wie vor eine tiefe Lücke zwischen Ländern wie Deutschland und Griechenland — trotz Massen an billigem Geld. Theoretisch sollte es früher oder später in der Wirtschaft ankommen. Das Prinzip: Die Notenbank gibt es den Banken, diese leiten es an Unternehmen und Privatpersonen weiter, die es ausgeben. Die Kreditvergabe wird angeheizt, das Geld zirkuliert, Unternehmen investieren wieder in ihre Zukunft, Bürger leisten sich ein Auto, ein Haus, ein Smartphone. Ist Geld billig zu haben, kauft man gern auf Pump. Das hilft der Wirtschaft, wenn ihr Motor stockt. „Transmis­sionsriemen“ nennen die Notenbanker den Leitzins deshalb.

Skeptiker fragen sich aber, ob dieser Transmissionsriemen gerissen ist. Die monetäre Kraftquelle treibt derzeit vor allem die Finanzmärkte an. Die Wirtschaft dümpelt dagegen nur vor sich hin, jeder vierte Grieche oder Spanier ist ohne Job. Ob der Aufschwung demnächst kommt, wie es die EU-Kommission prophezeit? Wer weiß.

Vor allem kleinere und mittelgroße Unternehmen an der Peripherie Europas erhalten nur schwer Kredite von den Banken, die so großzügig mit Geld versorgt sind. Und wenn die Banken das Geld weiter­geben, tun sie es nur mit kräftigen Aufschlägen (siehe Grafik). Denn vor allem die Banken in Ländern wie ­Irland oder Spanien, in denen Immobilienblasen geplatzt sind, sitzen immer noch auf einem Rekordvolumen an faulen Krediten. Diese hatten Immobilienbesitzer, Konsumenten und Unternehmen in der Boomphase vor der Finanzkrise aufgenom­men, als der Optimismus in Europa noch grenzenlos war.

Statt Kreditwachstum herrscht nun aber Kreditklemme, statt Wachstumsförderung schmerzhafter Schuldenabbau — sowohl auf privater als auch auf staatlicher Ebene. Die Begleiterscheinungen dieses langwierigen Prozesses in vielen Teilen ­Europas: fallende Lohnkosten, fallende Häuserpreise, eher sinkende als steigende Preise. Nur in einzelnen Bereichen wie dem deutschen Immobilienmarkt oder den Aktienmärkten zeichnen sich erste Anzeichen einer möglichen Blase ab.

Was kommt nach der Null?
Das gibt Draghis EZB Raum für weitere Schritte. Und es zwingt sie, das Gaspedal weiter durchzutreten. Schon die Leitzinssenkung im November auf 0,25 Prozent begründeten die Währungshüter mit der Gefahr fallender Preise. Es könnte noch weiter nach unten gehen. „Wir haben die Nulllinie noch nicht erreicht“, sagte Draghi damals. Für Sparer klang das fast wie eine Drohung, zumal sich die EZB bereits darauf festgelegt hat, die Zinsen „für einen ausgedehnten Zeitraum“ auf „dem gegenwärtigen oder einem niedrigeren Niveau“ zu belassen.

Intern diskutiert man ohnehin schon lange, was nach der Null kommen könnte. Eine Maßnahme, um die Kreditvergabe der Banken an­zukurbeln, wären zweckgebundene Kredittender. Hier könnten sich Banken unbegrenzt billiges Geld leihen, allerdings mit der Auflage, es direkt an die Wirtschaft weiterzugeben. Es wäre eine wirksame Möglichkeit, die Kreditklemme zu beseitigen, sollten die Banken sich darauf einlassen. Nur — sicher ist das nicht. Die britische Notenbank zumindest hat mit einem ähnlichen Programm („Funding for Lending“) schlechte Erfahrungen gemacht: Die Banken lehnten das Geld, mit dem sie nicht selbst zocken konnten, dankend ab.

So bleibt der EZB vor allem eine ­finale Waffe: negative Zinsen. Gemeint ist dabei nicht der Leitzins, sondern der sogenannte Einlagezins. Derzeit parken viele Banken ihr Geld zinslos bei der EZB, statt es weiterzuverleihen. Das könnte die EZB mit Strafzinsen verhindern. Aus der EZB hieß es, man habe die Negativzinsen „technisch und juristisch durchgespielt“ und sei „bereit“.

Die Hoffnung: Banken verleihen Geld, statt es zu parken. Doch auch damit hat man schlechte Erfahrungen gemacht, diesmal in Skandinavien. 2012 hatten die Dänen Gebühren für Bankeinlagen verlangt. Der Effekt: Statt mehr Kredite zu vergeben, legten die Institute die Gebühren einfach auf die Kunden um.
Egal welchen weiteren Weg Mario Draghis EZB nun einschlägt: Auf Sparer kommen wohl harte Jahre zu. Auf den kommenden Seiten lesen Sie, wer noch Zinsen über der Inflationsrate bietet und welche Alternativen es zu Sparkonten gibt.

Investor-Info

Leitzins
Kurz vor der Nulllinie

Die EZB-Chefs haben den Leitzins seit der Finanzkrise 2008 ganze zwölf Mal gesenkt, aber nur zweimal angehoben. Erst war es Jean-Claude Trichet, der mit niedrigen Zinsen gegen die Vollbremsung der Wirtschaft ankämpfte. Er war auch für die beiden Anhebungen im Sommer 2011 verantwortlich. Diese machte sein Nachfolger Draghi sofort rückgängig. Nun liegt der Zins nahe der Nulllinie. 













Unternehmenskredite
Im Süden deutlich teurer

Ab 2010 kam das billige Geld nicht mehr bei kleinen und mittleren Unternehmen im Süden Europas an. Unternehmen in Ländern wie Italien oder Spanien mussten fortan deutlich höhere Zinsen für kleine Kredite (Volumen unter einer Million Euro) zahlen als Konkurrenten in Deutschland. Besonders hoch sind die Zinskosten in Griechenland und Portugal. 













Fonds
Alternative zum Minizins

Sparer haben es schwer. Auf vielen Konten liegt der Zins unterhalb der Inflation. Einen Ausweg für risikofreudige Anleger bietet der European Equity Target Income. Wie bei einer Zinszahlung erhält der Anleger jährlich Geld ausgeschüttet. Wie viel das sein soll, wird jeweils am Jahresanfang festgelegt. 2013 waren es sieben Prozent. Der Trick: Der Fonds investiert in europäische Dividendenaktien und gibt die Dividenden an die Anleger weiter. Zusätzlich werden Finanzwetten mit Optionen eingegangen. Aber: Anders als bei einem Konto ist der „Zins“ nicht garantiert. Zudem unterliegt das eingezahlte Vermögen den Schwankungen der Aktienkurse.