Enteignung der Sparer: Zinswende kommt noch lange nicht!
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Es ist Wahlkampf in Deutschland, doch das Thema Enteignung der Sparer durch Mini- oder Nullzinsen spielt auch in anderen Euroländern keine Rolle in der Politik. Woher die Zurückhaltung der Regierenden kommt.
von Jürgen Gros, Gastautor €uro am Sonntag
Wann nimmt Mario Draghi endlich den Fuß vom Gaspedal und verlässt die geldpolitische Überholspur? Diese Frage bewegt nicht nur Volkswirte und Analysten, seitdem die europäische Wirtschaft wieder Tritt fasst. Auch Sparer und Anleger hoffen auf eine geldpolitische Kehrtwende, die sie endlich wieder aus dem Zinstief befreit. Das wäre wünschenswert, doch einiges spricht dafür, dass diese Hoffnungen zumindest in naher Zukunft enttäuscht werden. Das hat wirtschaftliche, vor allem aber politische Gründe.
In den vergangenen Jahren hat Mario Draghi mit nie da gewesenen geldpolitischen Aktionen die Zinsen auf ein historisches Tiefstniveau gepresst. Sein Ziel war es, die Wirtschaft im Euroraum in Gang zu bringen und dadurch die Inflationsrate auf das von der EZB gesteckte Ziel nahe zwei Prozent zu heben. Letzteres ist ihm nicht gelungen. Die Teuerung hält sich hartnäckig unterhalb der Zielmarke. Im August lag sie lediglich bei anderthalb Prozent. Und die EZB selbst rechnet nicht damit, dass die Inflation bis 2019 über diesen Wert steigt. Aus diesem Grund verspürt die Notenbank offenbar keinen allzu großen Handlungsdruck.
Zinsbelastung für die Staaten
in Euroland ist extrem niedrig
Den Hoffnungen der Sparer auf eine rasche Zinswende verpasst zudem der jüngste Höhenflug des Euro einen Dämpfer. Denn der Anstieg des Wechselkurses zum US-Dollar verbilligt die Einfuhr von Öl und anderen Rohstoffen in den Euroraum spürbar. Das drückt die Inflation. Würde die EZB zudem jetzt den "Exit" einläuten, würden die anziehenden Zinsen die Geldanlage in Europa attraktiver machen und die Euro-Nachfrage internationaler Investoren steigern. Die Gemeinschaftswährung würde weiter aufwerten. Deshalb erwarten die Experten in den kommenden Monaten allenfalls eine graduelle Kurskorrektur der Notenbank.
Doch wohin geht die geldpolitische Reise in den nächsten Jahren? Wer das wissen will, muss das nervöse Analysten-Geplänkel für einen Moment ausblenden. Handfeste politische Argumente sprechen unabhängig von Inflation oder Wechselkurs dafür, dass die Zinsen noch lange niedrig bleiben.
So bitter die Mickerzinsen für die Sparer sind, so komfortabel machen sie das Leben für die Euro-Finanzminister. Die Staatshaushalte werden massiv entlastet, weil die Regierungen sehr günstig Schulden aufnehmen können. Denn der durchschnittliche Zinssatz der Staatsschulden ist auf einen Tiefstand gefallen - auch in den Ländern, die im Zentrum der Schuldenkrise standen, wie Italien, Spanien oder Portugal.
Die Ersparnis ist enorm: Seit 2008 konnten die Euro-Finanzminister in Summe Einsparungen von rund einer Billion Euro oder knapp neun Prozent des Euroraum-BIPs realisieren, wie die Bundesbank ausgerechnet hat. Hauptprofiteur ist übrigens der Bundesfinanzminister. Er hat in den vergangenen neun Jahren 242 Milliarden Euro an Zinsausgaben gespart. Zum Vergleich: Dieser Betrag würde ausreichen, um ein Jahr lang die gesetzlichen Altersrenten auszuzahlen. Nicht minder gut ist es in Sachen Zinsersparnis Frankreich (226 Milliarden Euro) und Italien (174 Milliarden Euro) ergangen.
Die EZB hat den europäischen Finanzministern Schützenhilfe bei der Sanierung der Haushalte gegeben. Die Chance genutzt haben sie aber nur bedingt. Zwar verstießen vergangenes Jahr nur noch zwei von 19 Eurostaaten gegen die im Vertrag von Maastricht vereinbarte Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent des BIP. 2010 waren es noch 16. Doch den Schuldenstand unter 60 Prozent des BIP zu halten - wie es das Regelwerk ebenfalls vorsieht -, gelang freilich nur Kleinstaaten wie Luxemburg, Lettland oder Litauen.
Mit einer durchschnittlichen Verschuldung von 92 Prozent ist die Eurozone nach wie vor meilenweit von der Maastrichter Zielmarke entfernt. Besonders die Schwergewichte Italien und Frankreich stechen hervor. Für die EZB heißt das: Der Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik birgt die Gefahr, dass die Zinsbelastung der überschuldeten Länder wieder anschwillt und darunter ihre Solvenz leidet. Größter Wackelkandidat wäre Italien, Heimatland von Mario Draghi.
Eine Wiederkehr der Schuldenkrise wird im Frankfurter EZB-Turm niemand provozieren wollen. Aber auch für die öffentlichen Haushalte in Deutschland wären die Folgen eines Ausstiegs aus der Niedrigzinspolitik spürbar. So würde ein Zinsanstieg um einen Prozentpunkt im Bundeshaushalt über die nächsten zehn Jahre Mehrausgaben von 21,5 Milliarden Euro pro Jahr nach sich ziehen, prophezeit die Bundesbank. Das wäre ungefähr so viel, wie der Bund jährlich für Verkehrsinfrastruktur wie Autobahnen und Schienennetz ausgibt.
Darüber hinaus würde das Einhalten der nationalen Schuldenbremse ohne Niedrigzinsen erheblich erschwert. Denn der Anteil der Zinsausgaben der Bundesländer und Gemeinden halbierte sich aufgrund der Niedrigzinspolitik seit 2007 von rund sieben auf 3,5 Prozent. Dies kommt insbesondere den Bundesländern zupass. Für sie gilt mit der "Schuldenbremse" ab dem Jahr 2020 die Verpflichtung, strukturell ausgeglichene Haushalte vorzuweisen. Nicht nur der künftige Bundesfinanzminister hätte also ein gewisses Interesse daran, dass die EZB weiterhin auf Nullzinskurs steuert.
Politik muss Strukturreformen in
Europa auf den Weg bringen
Zumal richtungsweisende Wahlen anstehen: Am kommenden Wochenende in Deutschland und im Frühjahr 2018 in Italien. Ein Zinsanstieg würde Italien nicht nur mit hohen Risikoaufschlägen am Kapitalmarkt belasten, sondern zusätzlich die Finanzierung von Wahlversprechen verteuern. Es ist anzunehmen, dass Mario Draghi vor dem Urnengang alles vermeiden wird, was europaskeptischen und populistischen Kräften in Rom Aufwind verleihen könnte.
Was bedeutet diese Gemengelage nun für Sparer und Anleger? Sie müssen sich wohl über das Jahr 2018 hinaus auf niedrige Zinsen einstellen. Zwar wird die EZB zaghafte Schritte in Richtung "Exit" unternehmen. Eine Normalisierung der Geldpolitik ist aber nur möglich, wenn die Finanzminister im Euroraum Haushaltsdisziplin wahren und die Regierungen gleichzeitig Strukturreformen zur Förderung von mehr Wachstum durchsetzen. Dies sind die Grundlagen für einen gesunden Euro und eine Normalisierung der Geldpolitik. Denn nur durch Wachstum und Haushaltsdisziplin wird die EZB aus ihrer misslichen Lage befreit - und Deutschlands Sparer von den Niedrigzinsen.
Kurzvita
Jürgen Gros
Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB)
Der promovierte Politologe Jürgen Gros vertritt die Interessen von 1278 genossenschaftlichen Unternehmen. Dazu zählen Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie ländliche und gewerbliche Unternehmen mit insgesamt rund 51 000 Beschäftigten und 2,9 Millionen Mitgliedern. Damit bilden die bayerischen Genossenschaften eine der größten mittelständischen Wirtschaftsorganisationen im Freistaat.
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