Euro am Sonntag-Interview

Walter Riester: "Da werde ich fast verrückt"

18.04.16 03:00 Uhr

Walter Riester: "Da werde ich fast verrückt" | finanzen.net

Der Ex-Sozialminister Riester zur Forderung, die nach ihm benannte Altersvorsorge abzuschaffen - und warum er selbst keinen Riester-Vertrag abgeschlossen hat.

von Martin Reim, Euro am Sonntag

Horst Seehofer hat die Riester-Rente endgültig auf die politische Agenda gesetzt. Vor einigen Tagen sprach sich der CSU-Chef gegen diese Form der staatlich geförderten Altersvorsorge aus. Er bezeichnete sie als "gescheitert" und forderte ihre Abschaffung. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sorge privat fürs Alter vor. Die Anfang des vergangenen Jahrzehnts beschlossene Kürzung des Rentenniveaus, die vor allem durch die Riester-Rente aus­geglichen werden sollte, wird laut Seehofer dazu führen, "dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozial­hilfe landen würde".



Der Politiker sprach sich für eine generelle Rentenreform aus, bei der eine Stärkung der gesetzlichen Rente im Mittelpunkt stehen müsse. Nach Angaben des Magazins "Der Spiegel" sind Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel überein­gekommen, die Rente zu einem der Themen des Bundestagswahlkampfs 2017 zu machen.

Walter Riester verantwortete die kritisierte Rentenreform als Sozialminister. Die - ursprünglich als Förderrente bezeichnete - zusätzliche Altersvorsorge trägt inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch seinen Namen. Der Begriff "riestern" ist sogar im Duden zu finden.


€uro am Sonntag: Herr Riester, CSU-Chef Horst Seehofer hat sich als erster Vorsitzender einer Regierungspartei gegen die Riester-Rente ausgesprochen. Trifft Sie das?
Walter Riester:
Was kann man schon von etwas halten, das von Horst Seehofer kommt? Er hat in allen möglichen Fragen eine sehr populistische Position. Das sieht man in der Flüchtlingsfrage, aber auch beispielsweise bei der Pkw-Maut. Er stürzt sich mit voller Kraft auf Themen, von denen er meint, eine Mehrheit zu bekommen - ohne sich möglicherweise umfassend inhaltlich damit auseinandergesetzt zu haben.

Aber die Zustimmung zur RiesterRente bröckelt auf breiter Front, nicht nur in der Union.
Es gab von Anfang an viel ideologisch motivierte Kritik an der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das begann bei den Gewerkschaften, aus denen ich ja ursprünglich stamme, bis hin zu Politikern, die für das traditionelle, umlagefinanzierte Rentensystem stehen. Und es gibt ja genügend berechtigte Kritikpunkte, beispielsweise durch das Verhalten angelsächsischer Fonds für die Altersvorsorge, die ihren Anlegern massive Verluste brachten. Aber dieser Kritik habe ich vorgebeugt, indem Riester-Sparen weltweit der einzige Weg der kapitalgedeckten Altersvorsorge ist, bei dem die eingezahlten Beiträge garantiert sind. Und so hat kein einziger Riester-Sparer Geld verloren, wenn er bei der Stange geblieben ist - trotz der Aktiencrashs 2003 und 2008.


Sogar in Ihrer eigenen Partei wird der Widerstand lauter. Der stell­vertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sagt: "Wer die Riester-Rente bräuchte, kann sie sich nicht leisten, und wer sie sich leisten kann, braucht sie nicht." Hat er recht?
Die einzigen relevanten Daten hat die Zentrale Zulagenstelle, und diese Zahlen sprechen eine andere Sprache. Demnach liegen im letzten erfassten Jahr 2011 knapp zwei Drittel der betrachteten Zulagenempfänger unterhalb eines Bruttojahreseinkommens von 30.000 Euro, gut ein Viertel sogar unter 10.000 Euro. Zum Vergleich: Der bundesdeutsche Durchschnittsverdienst betrug damals knapp 31.000 Euro. Es wäre eine Leichtigkeit für die Mitarbeiter von Ralf Stegner gewesen, diese Zahlen zu finden. Das wird aber nicht wahrgenommen, da kann ich zum Stier werden.

Eine weitere Kritik an der Riester-­Rente lautet: Wer wenig ­verdient, kann es sich nicht leisten, Rück­lagen zu bilden und einen Vertrag abzuschließen. Stimmt das?
Bei solchen Behauptungen kommt bei mir ein bisschen Verbitterung auf. Das ist eine rein ideologische Diskussion. Das sehen Sie am Beispiel einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Wenn sie 60  Euro im Jahr einzahlt, bekommt sie 754 Euro an Zulagen und hat also 814 Euro zurückgelegt. Allerdings gibt es eine Entwicklung, die uns tatsächlich Schwierigkeiten macht. Als wir die Rentenreform des Jahres 2001 durchgeführt haben, hatten wir noch Teilzeitquoten von 15 bis 20 Prozent. Mittlerweile haben wir 35 bis 40 Prozent Teilzeitbeschäftigte. Die haben tatsächlich geringere Möglichkeiten für Rücklagen.

Es heißt immer wieder, Geringverdiener sollten lieber nicht riestern. Begründung: Die spätere Rente wird auf eine eventuelle Sozialhilfe angerechnet, und die Einzahlungen sind dann quasi verloren.
Das ist eine weitere Debatte, die mich extrem stört. Wenn ich so etwas höre, werde ich fast verrückt. Denn wer so argumentiert, müsste auch die Geringverdiener auffordern, nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Aber auch das wäre Unsinn. Denn wer mitten im Erwerbsleben steht, weiß nicht, ob er in der Rente tatsächlich in der Grundsicherung landet.

Riester-Gegner argumentieren gern mit den hohen Kosten der Verträge. Was ist da dran?
Wenig. Beispielsweise verlangt die Bayerische Landesbausparkasse grundsätzlich ein Prozent der Vertragssumme als Abschlusskosten - egal ob es sich um einen ungeförderten Vertrag handelt oder um einen geförderten, der ja umgangssprachlich Wohn-Riester heißt. Bei vielen anderen Finanzprodukten läuft die Provisionierung genauso.

Gegenbeispiel Versicherungen: Laut Stiftung Warentest nahm die Barmenia für eine Riester-Police zumindest zeitweise 16,5 Prozent der Prämie als Gebühren plus 7,5 Prozent der Zulagen. Sind es nicht solch horrende Prozentsätze, die den Ruf Ihrer Rente kaputtmachen?
Es gibt bei allen Finanzprodukten teurere und weniger teure. Wenn man aber deshalb sagt: "Lasst eure Finger grundsätzlich von Finanzprodukten", dann ist auch keinem geholfen. Außerdem gibt es bei Riester-Produkten einen höheren Aufwand für die Finanzfirmen als bei ungeförderten, sodass höhere Kosten entstehen.

Warum wurde Riestern nicht als Pflichtversicherung eingeführt - wie die Kfz-Haftpflicht? Immerhin fällt es auf die Allgemeinheit zurück, wenn jemand nicht genügend fürs Alter vorsorgt, weil er dann staatliche Hilfe benötigt.
Ich wollte das unbedingt machen und hatte das auch mit fünf Regierungsmitgliedern und einem Fraktionschef fest vereinbart. Am nächsten Tag kam ein Anruf der "Bild"-Zeitung: "Wir werden morgen mit der Schlagzeile aufmachen ‚Zweite Zwangsrente geplant‘. Und übermorgen mit der Schlagzeile ‚Wann fliegt Riester?‘. Letzteres können Sie verhindern, wenn Sie uns heute ein Exklusivinterview geben." Da war klar, dass es keine Mehrheit in der Fraktion für eine Pflichtversicherung ­geben wird und schon gar keine im gesamten Bundestag. Danach hatte ich nur die Alternative, alles abzublasen oder den jetzigen Weg zu gehen, und habe mich für den jetzigen Weg entschieden. Einzig Gerhard Schröder stand immer zu mir und hat gesagt: "Du hast völlig recht." Das hat dann aber auch nicht gereicht.

Die gesetzliche Rente läuft in den jüngsten Jahren besser als erwartet, weil die Wirtschaft boomt. Und die Riester-Rente entwickelt sich schlechter, weil die Marktzinsen ins Bodenlose sinken. Hatten Sie mit dem Projekt, das Ihren Namen trägt, ganz einfach historisches Pech?
Was die gesetzliche Rente betrifft: Ich wünsche ihr ein gutes Standing. Nur muss klar sein, dass sie tendenziell absinkt - trotz der massiven ­Erhöhung in diesem Jahr. Und die schrumpfenden Zinsen sind tatsächlich ein Problem, vor allem für Versicherungen und Banksparpläne. Aber es wurde niemand daran gehindert, in Fondssparpläne zu gehen und damit weitgehend in Aktien zu investieren, etwa bei Union Invest­ment ...

... in deren Aufsichtsrat Sie jahrelang saßen. Würde es die Attraktivität der Riester-Rente steigern, wenn die Zulagen oder die Einkommensgrenzen erhöht würden?
Die Förderung ist bereits sehr, sehr hoch. Ich halte nichts davon, sie noch weiter zu erhöhen. Es kommt eher darauf an, dass sie von den Sparern auch tatsächlich ausgeschöpft wird. Außerdem sollten Selbstständige und Freiberufler mit reingenommen werden. Das geht ja derzeit nur, wenn es einen Partner gibt, der riesterfähig ist. Das ist auch ein Konstruktionsfehler der Riester-Rente, da hatte ich anfangs andere Vorstellungen, konnte sie aber ebenfalls nicht durchsetzen.

Die betriebliche Altersvorsorge steht in gewisser Konkurrenz zur Riester-Rente, doch ihr Image ist weitaus positiver. Es ist sogar im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie gestärkt werden soll. Zu Recht?
Reden wir mal von der Entgeltumwandlung, dem mittlerweile häufigsten Weg bei Neuabschlüssen in der betrieblichen Altersvorsorge. Hier gibt es angeblich einzigartige Vorteile, doch das stimmt so nicht. Zum einen bei der Steuerfreiheit: Ein bestimmter Anteil der Einzahlungen ist steuerfrei, dafür muss man auf die Renten zumindest teilweise Steuern zahlen. Aber das gilt auch für die gesetzliche Rente. Zum anderen bei der Freiheit von Sozialabgaben: Man muss auf eine bestimmte Summe keine Sozialabgaben zahlen, beispielsweise was die gesetzliche Rentenversicherung betrifft. Aber dafür bekommt man im Alter eben weniger an gesetzlicher Rente. Man muss also nicht furchtbar klug sein, um zu sehen, dass man hier ins Klo gegriffen hat.

Ein Reformvorschlag lautet hier, ­die sogenannte Deutschland-Rente einzuführen. Demnach soll jeder ­ Arbeitnehmer verpflichtet werden, einen Teil seiner Vergütung in betriebliche Altersversorgung umzuwandeln. Er darf dieser Pflicht ­jedoch widersprechen - ein sogenanntes Opting-out-Modell. Ist das eine gute Lösung?
Der Name Deutschland-Rente ist gut gewählt. Das ist aber auch das einzig Neue. Beim Opting-out bin ich skeptisch. So etwas haben wir beispielsweise schon, wenn es um geringfügig Beschäftigte und die gesetzliche Rentenversicherung geht. Und die meisten Betroffenen gehen anschließend wieder raus, wählen also das Opting-out. Um das bei der Deutschland-Rente zu verhindern, bräuchten Sie einen Stab von Vertriebsmitarbeitern. Von solchen Umsetzungsproblemen habe ich in der Diskussion noch nichts gehört.

Eine weitere Komponente der Deutschland-Rente ist, dass der Beitrag in einen zentralen Staatsfonds fließt. Was halten Sie davon?
Ich bin in dieser Frage unentschieden. Staatliches Management allein ist noch kein Qualitätsmerkmal. Denn es gibt erhebliche Zwänge, ­unter denen staatliches Handeln manchmal steht. Das sieht man schon bei der gesetzlichen Rentenversicherung, die ja auch politischen Pressionen ausgesetzt ist. Andererseits kommt es auch bei privaten Fondsmanagern zu Fehlern.

Warum haben Sie selbst keine ­Riester-Rente abgeschlossen?
Sowohl als Minister als auch als Abgeordneter ist man kein Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung und deshalb nicht direkt förder­fähig. Eventuell wäre es als Abge­ordneter über Nebentätigkeiten möglich gewesen. Doch bei Start des Gesetzes war ich schon 57 Jahre alt, da ist so etwas nicht mehr sinnvoll.

Hätte es mittelbar über Ihre Frau funktioniert?
Auch nicht, weil sie lediglich beitragsfreies Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung war.

Es zeichnet sich ab, dass die Rente ein zentrales Thema im Bundestagswahlkampf 2017 wird. Was sagt Ihr politischer Instinkt - kommt es tatsächlich so weit?
Ja, ich könnte mir das durchaus vorstellen. Ich hoffe nur nicht, dass es so läuft wie im Wahlkampf 1998. Damals ging es um den sogenannten demografischen Faktor ...

... der die Renten faktisch gekürzt hätte ...
... was unter der damaligen schwarz-gelben Regierungskoalition bereits im Gesetz war und kurz nach der Wahl gegriffen hätte. Die SPD war komplett dagegen, anschließend waren die Fronten ex­trem verhärtet. Eine Wiederholung in dieser Form kann ich unserem Volk nicht wünschen.

zur Person:

Der Namensgeber
Der SPD-Politiker Walter Riester (72) hat ursprünglich Karriere in der ­Industriegewerkschaft Metall gemacht, zuletzt als deren Vizechef. Von 1998 bis 2002 war der gelernte Fliesenleger Bundesminister für Arbeit und ­Sozialordnung und saß bis 2008 im Bundestag. Gegen Ende seiner Abgeordnetentätigkeit zog er viel Kritik auf sich, weil er enorme Summen über Nebentätigkeiten verdiente - vor allem durch Vorträge über die Rente, die seinen Namen trägt. Von 2009 bis 2012 gehörte Riester dem Aufsichtsrat von Union Investment an. Die Tochtergesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken ist Marktführer bei Riester-Fondssparplänen. Heute ist der gebürtige Allgäuer aller Mandate ledig - bis auf einen Sitz im Aufsichtsrat von ArcelorMittal Bremen, das in der Hansestadt ein Stahlwerk betreibt und zum börsennotierten Konzern ArcelorMittal gehört.

Bildquellen: Lichtblick/Achim Melde/Dt. Bundestag