UBS-Chefvolkswirt: Die Politik ist das größte Hindernis
Andreas Höfert, der Chefvolkswirt der Schweizer Großbank UBS spricht über die Folgen einer restriktiveren US-Geldpolitik, die Chancen für Europa und die Risiken einer Korrektur an den globalen Aktien- und Anleihemärkten.
von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Andreas Höfert ist promovierter Volkswirt und arbeitet als Konjunkturprognostiker. Er weiß also wovon er spricht, wenn er sagt, dass „Prognosen viel öfter falsch als richtig sind“. Zu seiner eigenen Zunft bleibt der Chefvolkswirt der Schweizer Großbank UBS daher auf Distanz. Besonders misstrauisch ist Höfert, wenn Volkswirte und Zentralbanker behaupten, alles sei unter Kontrolle. Vor allem seit es den Top-Ökonomen der Welt nicht gelang, rechtzeitig vor der globalen Finanzkrise zu warnen. Sich selbst nimmt Höfert bei der Kritik nicht aus. Es sei wichtig, bei aktuellen Vorgängen die Zusammenhänge zu erklären.
€uro am Sonntag: Herr Höfert, viele Ökonomen sehen die lockere Geldpolitik der US-Notenbank Fed als den wesentlichen Faktor für das Comeback der US-Wirtschaft.
Liegen sie damit richtig?
Andreas Höfert: Volkswirte können die Folgen großer geldpolitischer Experimente nie genau abschätzen. Mit dem Programm der US-Notenbank, über das den Finanzinstituten im großen Stil Hypothekenanleihen abgekauft werden, sollen Banken entlastet und die US-Wirtschaft angekurbelt werden. Doch trotz der riesigen Geldmenge, die in das System gepumpt wird — in diesem Jahr sind es knapp tausend Milliarden Dollar —, bleibt der Impuls mäßig. Das Wachstum der US-Wirtschaft müsste deutlich höher sein.
Warum greift diese ultralockere Geldpolitik nicht wie erhofft?
Vielleicht weil nicht Geld, sondern Kredite Volkswirtschaften bewegen. Wegen der niedrigen Zinsen und der immer noch erheblichen Lasten in den Bankbilanzen ist es für US-Finanzinstitute rentabler, dem Staat Geld zu leihen als den Firmen. Banken finden es weiterhin interessanter, vermeintlich sichere Staatsanleihen zu kaufen. Deshalb wird die Fed vermutlich im März die Zügel bei der Geldpolitik anziehen. Ich wäre auch nicht überrascht, wenn das schon im Dezember oder Januar passiert.
Sehen Sie größere Risiken, dass die US-Wirtschaft nicht nachhaltig auf Wachstumskurs ist?
Nein. Unser zentrales Szenario ist, dass dieser Aufschwung in den USA zwar einige Dellen hat, aber robust bleibt. Die Konjunktur sollte von den aktuell treibenden Sektoren wie Bau und Energie im kommenden Jahr auf die konsumnahen Sektoren übergreifen. Wir erwarten deshalb zwei bis drei Prozent Wachstum.
Wird die Fed wegen der zuletzt starken Auswirkung ihrer Geldpolitik auf die Schwellenländer künftig mehr Rücksicht nehmen?
Nein. Ich lebe in Amerika und ich habe immer das Gefühl, Amerika interessiert sich überhaupt nicht für das, was im Rest der Welt passiert. Das Einzige, was US-Bürger interessiert, sind niedrige Erdölpreise. Amerikas Sicht auf andere Staaten hat sich nicht geändert. „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem“, hatte US-Finanzminister John Conally 1971 während der Amtszeit von US-Präsident Richard Nixon in seinem berühmt gewordenen Satz gesagt. Ich habe keinen Amerikaner getroffen, der sich Sorgen um den Wert des Dollar macht. Ein Dollar wird für Amerikaner immer ein Dollar sein. Vor drei Jahren haben sich Regierungen aus Schwellenländern beschwert, der Dollar sei zu schwach, jetzt klagen sie, er sei zu stark.
Anleger wurden in diesem Jahr von Schwellenländern enttäuscht. Haben die aufstrebenden Volkswirtschaften ihren Reiz verloren?
Nein. Das fundamentale Problem für die Verwerfungen zwischen Schwellenländern und Industrienationen waren die wechselnden Botschaften von Fed-Chef Ben Bernanke. Seine ursprünglichen Pläne wurden als restriktive amerikanische Geldpolitik interpretiert. Der Dollar wurde aufgewertet und damit stiegen auch die Zinsen, sodass es sich für US-Investoren lohnte, wieder stärker auf Industrieländer zu setzen. Die Kapitalabflüsse waren so stark, dass viele Kunden, mit denen ich Anfang September in Hongkong sprach, eine neue Asienkrise befürchtet haben.
Sind die Schwellenländer so anfällig wie vor der Asienkrise im Jahr 1997?
Nein, die meisten zumindest nicht. Die Starken haben im Vergleich zu damals Überschüsse statt Defizite in ihrer Handelsbilanz. Das hilft, Kapitalabflüsse vorübergehend aufzufangen. Zweitens haben viele hohe Währungsreserven aufgebaut. Auch das ist ein Puffer. Drittens ist die Staatsverschuldung vieler Länder gering und oft in lokaler Währung, nicht in US-Dollar. Steigt der US-Dollar, geraten diese Länder volkswirtschaftlich nicht unter die Räder.
Wen werden die Änderungen in der US-Geldpolitik dann treffen?
Brasilien, Indien, Indonesien, Türkei und Südafrika. Deren Volkswirtschaften erfüllen diese Kriterien nicht. Deshalb kamen die Länder unter Druck. Und bis März, wenn die Fed eine voraussichtlich restriktivere Geldpolitik fahren wird, bekommen diese Länder ihre Probleme nicht in Griff. Anleger sollten diese Länder meiden und auf China, Russland, Mexiko, Südostasien ohne Indonesien, also auf Thailand, Malaysia oder Südkorea setzen.
In den meisten Industrieländern haben die Indizes der Aktienmärkte neue Höchststände erreicht. Wird das so weitergehen?
Gemessen an der Bewertung wirken einige Aktienmärkte teuer. Andererseits ist der Anleihemarkt komplett überbewertet. Am Aktienmarkt sind Investoren während der vergangenen 15 Jahre bereits zweimal durch die Hölle gegangen. Deshalb werden die Notenbanken bei einer deutlichen Korrektur weltweit sehr schnell reagieren. Vor allem bei den Zentralbankern der Fed gilt die These, dass, solange der Aktienmarkt gut läuft, auch die Wirtschaft funktioniert, und das ist auch gut für die Konsumenten.
Was könnte eine Korrektur an den Aktienmärkten auslösen?
Vieles ist denkbar. Die amerikanische Politik, der Nahe Osten oder auch ein Konjunktureinbruch wie 2000 und 2007, wir wissen es nicht.
Im heiß gelaufenen Staatsanleihemarkt ist das Risiko nach dem Hin und Her der Fed jetzt groß. Wird sich die UBS deshalb im Interesse der Kunden weitgehend aus
diesem Markt verabschieden?
Das können wir nicht. Wir predigen es unseren Kunden und machen es selbst: diversifiziert sein. Es gibt keine Anlageklasse, die wir scheuen. Allerdings haben wir bei Staatsanleihen ein starkes Untergewicht gegenüber dem, was wir sonst halten. Wir liegen vier Prozentpunkte unter unserem durchschnittlichen Anteil an Staatsanleihen im Portfolio. Dafür sind wir bei hochverzinslichen Anleihen übergewichtet. Obwohl wir diesen Anteil über das Jahr stark heruntergefahren haben. Diese Gewinnmitnahmen wurden im Aktienmarkt platziert. Dort favorisieren wir kleine und mittlere US-Werte.
Und Europa?
Ist jetzt neu dazugekommen. Wir bauen die Position seit etwa sechs Wochen aus. Hier mögen wir zyklische Branchen wie Chemie. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass die Konjunktur wieder besser laufen wird. Das sollte das Gewinnwachstum der Unternehmen beschleunigen. Den jüngsten Schritt bei der Umschichtung haben wir mit der Reduzierung von Positionen in defensiven Aktienmärkten wie der Schweiz und Großbritannien finanziert.
Gegenwärtig werden die Bilanzen europäischer Banken mit Blick auf die Bankenunion geprüft. Wird es zu Schließungen kommen?
Wohl nicht. Aber es müssen wohl noch viele Bilanzen gesäubert und verkleinert werden. In Amerika wird das weiterhin im großen Stil praktiziert. Allerdings hat man dort einige Jahre Vorsprung. Die Fed hat den Banken in erheblichem Umfang Probleminvestments abgekauft und die Institute mit sehr billigem Geld versorgt. Das leihen die Banken dem Staat, um mit dieser Quersubventionierung ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen. In Europa passiert das in einer wesentlich geringeren Größenordnung und es gibt zudem weiter viel Misstrauen zwischen den Banken. Wie soll eine deutsche Bank einem spanischen Institut Geld leihen, wenn sie keinen Einblick in dessen Bilanz hat? Deshalb ist eine Bankenunion der erste Schritt in die richtige Richtung.
Und was sollte der Bankenunion in Europa folgen?
Die Arbeitsmarkt- und Sozialgesetze sollten so harmonisiert werden, dass es innerhalb Europa keine Standortvor- oder nachteile gibt. In Amerika gibt es zwischen den Südstaaten und etwa Neuengland keine Unterschiede in der Sozialversicherung. Die Fiskalpolitik in der Eurozone sollte so ausgerichtet sein, dass statt der Rettungspakete ein Finanzausgleich für Länder angepeilt wird.
Was könnte 2014 den erwarteten Aufschwung in Europa bremsen?
Das größte Hindernis bleibt die Politik. Je länger die Krise dauert, umso stärker werden die Kräfte, die sagen, jetzt ist Schluss. Bei den Europawahlen 2014 könnten Eurogegner bis zu einem Drittel des Parlaments stellen. Sie sind überall präsent, in Griechenland, Italien, Frankreich, Benelux, in Deutschland und Finnland. Sowohl im rechten als auch linken Parteienspektrum sind Populisten auf dem Vormarsch.
Wo sehen Sie große Spannungen?
In Frankreich, wo Präsident François Hollande nur bei 15 Prozent der Wähler Zustimmung hat. Das ist sehr besorgniserregend.
Ein Schweizer als Bürger New Yorks
Der promovierte Volkswirt wurde 2009 Chefökonom der Schweizer Großbank UBS. Der 46-jährige Schweizer verantwortet auch die Analysen der Sparte Vermögensverwaltung und berät Bankkunden. Weltweit verwaltet die UBS 1.911 Milliarden Euro. Höfert hat in St. Gallen promoviert und ist seit 1999 bei der UBS. Zuvor war er Konjunkturprognostiker an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Hobbys des Kosmopoliten sind Jazz und französische und russische Literatur. Höfert lebt mit seiner Frau Jacqueline Waeber, Musikwissenschaftlerin an der Duke Universität in Durham, N. C.