Claus Hipp: "Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch ehrbar"
Ein Gespräch mit Claus Hipp, dem Firmenchef und Biopionier, über die Themen Geld, Glaube und unternehmerische Verantwortung.
von Lucas Vogel, Euro am Sonntag
Bereits 1901 können Kunden der Konditorei Hipp in Pfaffenhofen an der Ilm Babynahrung kaufen: Zwiebackmehl, das mit Milch angereichert wird. Georg Hipp verkauft das Mehl in München von Tür zu Tür und gründet 1932 ein Unternehmen, das sich auf Babynahrung spezialisiert. 1957 kommen die ersten Breie auf den Markt. Claus Hipp übernimmt 1968 das Unternehmen, das heute mit 2.000 Angestellten unter anderem in Russland, Ungarn und Kroatien produziert. Er, sein Bruder Paulus und seine Söhne Stefan und Sebastian sind geschäftsführende Gesellschafter. €uro am Sonntag sprach mit Claus Hipp am Firmenhauptsitz in Pfaffenhofen, 50 Kilometer nördlich von München.
€uro am Sonntag: Hipp ist ein Familienunternehmen in der dritten Generation. Was unterscheidet Unternehmer von Managern?
Claus Hipp: Unternehmer denken langfristig, oft in Generationen. Manager sind hingegen nur für eine begrenzte Zeit bei einem Unternehmen angestellt. Das ist für mich der größte Unterschied, denn er hat weitreichende Folgen.
Die wären?
Wer langfristig denkt, verzichtet auch einmal kurzfristig auf Erträge, weil er zum Beispiel in die Zukunft investiert. Das tut er dann, wenn er der Überzeugung ist, dass sich die Investition später auszahlt, sie höhere Erträge in der Zukunft möglich macht - unter Umständen nachdem er die Unternehmensführung abgegeben hat. Wer kurzfristig denkt, investiert weniger in die Zukunft, will schnelle Erträge und läuft auch eher Gefahr, unehrbar zu handeln.
Ist die Fixierung auf kurzfristige Erträge ein neues Phänomen?
Nein. Kaiser Vespasian, der kein besonders ehrbarer Mensch war, ging nicht nur mit dem Zitat "Geld stinkt nicht" in die Geschichte ein. Er hat auch gesagt: "Ibi fas ubi proxima merces" - dort ist das Recht, wo das schnelle Geld ist. Aber schon damals gab es den Grundsatz: "Non omni quod licet, honestum est - nicht alles, was erlaubt ist, ist auch ehrbar." Dieses Spannungsfeld gibt es also schon lange.
Sind Unternehmer ihren Angestellten gegenüber mehr verantwortlich als Manager?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich stelle schon Unterschiede fest. In Krisenzeiten wird ein Manager - gerade bei börsennotierten Gesellschaften - schneller Menschen entlassen als ein Unternehmer. Denn sein Gehalt ist an die Entwicklung des Aktienkurses gekoppelt. Und der steigt häufig bei Entlassungen. Ein Unternehmer fragt sich eher, wann die Krise wieder vorbei ist, und weiß, dass er dann wieder Leute braucht.
Macht es einen Unterschied, ob ein Unternehmen börsennotiert ist oder nicht?
Sicherlich werden die Entscheidungen bei notierten Unternehmen stark davon abhängig gemacht, wie sie sich auf den Aktienkurs auswirken. Das hat sich verstärkt, seit die Vergütung der Manager so stark an den Kurs gekoppelt wurde. Das müsste man wahrscheinlich wieder zurückdrehen, wenn man erreichen will, dass börsennotierte Unternehmen wieder langfristiger ausgerichtet werden.
Muss der Staat dies bekämpfen?
Nein. Da sind die Aufsichtsräte gefragt. Sie legen doch die Vergütungen für den Vorstand fest. In den Aufsichtsräten müsste sich das langfristige Denken wieder stärker durchsetzen. Auch hier wurde in den letzten Jahren zu kurzfristig agiert.
Kann man sich diesen langfristigen Ansatz auch leisten, wenn es in Krisenzeiten um die Existenz des Unternehmens geht?
Unternehmerisch denken heißt nicht, nie jemand zu entlassen. Auch wir mussten schon Angestellte freistellen. Aber das geschieht wiederum nur aus einem langfristigen Ansatz heraus: Ich muss jetzt handeln, um langfristig das ganze Unternehmen nicht zu gefährden. Nur dann bin ich als Unternehmer später in der Lage, bei gut laufendem Geschäft wieder einzustellen.
Sie haben eine Ethik-Carta und pflegen das Image des sorgsamen Familienunternehmers - das passt zu Ihrem Kernprodukt, Bio-Babynahrung. Würden Sie so handeln, wenn Sie etwas anderes produzieren würden?
Sicher passt das zusammen. Wenn wir Bausteingewebe herstellen würden, wäre die Frage, wie dieses Bausteingewebe hergestellt wird, wohl nicht so wichtig, wie die Frage, ob die Qualität und der Preis stimmt.
Die Basis Ihrer Unternehmensethik ist Ihr christlicher Glaube. Was bedeutet das konkret für das Unternehmen Hipp?
Ich bin der Meinung, dass ein Unternehmer, der glaubt, einen Vorteil gegenüber einem Atheisten hat, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Der Atheist kann alle Informationen einholen, sorgfältig abwägen und dann entscheiden. Das kann aber der gläubige Unternehmer auch. Aber er wird aufgrund seines Glaubens fester in seiner Entscheidung sein. Das ist ein Vorteil.
Seit der Finanzkrise, die in vielen Ländern zu enormen sozialen Spannungen geführt hat, wird die Kritik an unserem Wirtschaftssystem lauter. Was meinen Sie?
Wir haben mit der sozialen Marktwirtschaft das beste Wirtschaftssystem der Welt. Es vereint den Wettbewerb, der Innovationen hervorbringt und verhindert, dass die Preise zu stark steigen, mit dem Schutz für Bedürftige. Natürlich gibt es Auswüchse, bei denen sich einige auf Kosten der Mehrheit bereichern - wie vor der Finanzkrise.
Also brauchen wir mehr sozialen Ausgleich?
Ich verstehe die soziale Marktwirtschaft so wie Ludwig Erhard. Die Schwachen müssen geschützt werden, die Starken dürfen aber auch nicht ausgebeutet werden.
Stimmt in Deutschland diese Balance?
Nein, die haben wir etwas verloren. Ich denke zum Beispiel, dass wir viele Regeln und Regulierungen für Unternehmen haben, die niemandem helfen.
Ein Beispiel?
Wenn wir eine neue Stelle besetzen, wollen wir eigentlich die- oder denjenigen einstellen, die oder der am besten auf die Stelle passt. Aber das Antidiskriminierungsgesetz geht davon aus, dass der Unternehmer per se dem zukünftigen Arbeitnehmer Unrecht tun will, und erlässt eine Fülle von Vorschriften, damit kein Unrecht passiert. Doch diese Regeln bringen nichts in Sachen Gleichberechtigung, sondern behindern lediglich unsere Freiheit, die oder den Richtigen einzustellen. In einer Fußballmannschaft wird auch nur nach Leistung aufgestellt.
Viele Politiker prangern an, die Schere zwischen Arm und Reich gehe seit der Agenda 2010 immer weiter auf? Wie sehen Sie das?
Ich denke, die Schere darf tatsächlich nicht zu weit auseinandergehen und wir müssen uns um Menschen kümmern, die sich nicht helfen können. Aber aus Arbeitsfähigen müssen wir als Gesellschaft auch immer Arbeitswillige machen. Das gilt übrigens nicht nur für Menschen mit schlechter Ausbildung, die besonders häufig arbeitslos sind. Wer ein exotisches Studienfach gewählt hat, kann nicht sein ganzes Leben lang die Gesellschaft dafür verantwortlich machen, dass er keine Arbeit findet. Er muss sich daran orientieren, was die Gesellschaft braucht.
Wir brauchen also nicht mehr Ausgleich zwischen Arm und Reich?
Unsere Steuerbelastung ist an der Obergrenze angekommen. Warum ziehen so viele Menschen in die Schweiz? Weil ihnen am Ende mehr vom Lohn und Gehalt übrig bleibt. Dafür muss man aber auch selbst mehr vorsorgen, Eigenverantwortung übernehmen.
Ihr Unternehmen hat Sie reich gemacht. Was bedeutet Geld für Sie?
Mein Geld steckt in der Firma, um zu arbeiten. Ich bin überzeugt davon, dass ich später mal nicht daran gemessen werde, wie viel Geld ich verdient habe, sondern was ich damit gemacht habe.
Unternehmer, Künstler und Reiter
Claus Hipp, 1938 als zweites von sieben Kindern in München geboren, will eigentlich
Künstler werden, wird jedoch früh in den elterlichen Betrieb eingebunden. Neben einer Promotion in Jura und einer Ausbildung zum Maler wird er 1967 Betriebsleiter der Hipp-Werke, die er zum führenden Produzenten für Babynahrung in Deutschland ausbaut. Neben seiner beruflichen Karriere ist Claus Hipp seit 1970 unter seinem Geburts- und Künstlernamen Nikolaus Hipp als freischaffender Künstler tätig. Der gläubige Katholik ist Kunstprofessor in Tiflis, Georgien, und spricht fließend Russisch.
In den Jahren 1960 bis 1977 ist Hipp im Reitsport aktiv und erzielt Siege bei internationalen Turnieren.
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Bildquellen: Axel Griesch für Finanzen Verlag