Euro am Sonntag-Interview

Burkhard Schwenker: Welt voller Ungewissheit

04.08.14 03:00 Uhr

Burkhard Schwenker: Welt voller Ungewissheit | finanzen.net

Der Chef des Aufsichsrats der Unternehmensberatung Roland Berger erklärt, warum guter Rat teurer wird, Firmen diversifizieren und Europa nicht nur sparen sollte.

von Peer Leugermann, Euro am Sonntag

Zweimal schon war Burkhard Schwenker Chef von Roland Berger. Zweimal haben die Berater bereits erwogen, sich mit einer großen amerikanischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zusammenzutun, um ihre Stellung im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Bei den ersten Verhandlungen war Schwenker kurz zuvor vom Chefposten auf den Sitz des Aufsichtsratvorsitzenden gerutscht, bei den zweiten Gesprächen war er wieder Chef. Doch weder mit Deloitte (2010) noch mit Ernst &  Young (EY) (2013) kam es zur Einigung. Im Interview mit €uro am Sonntag erklärt der jüngst wieder zum Chef des Aufsichtsrats gewählte Schwenker, warum Partner kein Thema mehr sind und vor welchen Herausforderungen die deutsche und europäische Wirtschaft steht.

€uro am Sonntag: Als Sie 2010 Aufsichtsratschef wurden, war Roland Berger in guter Verfassung. 2013 übernahmen Sie erneut die Führung. Damals diskutierten die Partner, ob die Firma allein bestehen könne, während die Rendite einbrach. Was ist passiert?
Burkhard Schwenker:
Zwischendrin gab es eine Phase, in der wir zu schnell und nicht profitabel genug gewachsen sind. Das hat zu Verunsicherung geführt und deswegen haben wir reagiert. Heute sind wir wieder auf einem profitablen Wachstumskurs und die Firma ist für die Zukunft neu ausgerichtet.

Eine Zukunft, für die Sie zweimal einen Partner suchten. Warum ist Unabhängigkeit plötzlich besser?
Wir haben nicht gesucht, sondern sind gefragt worden, nicht nur von Deloitte und Ernst & Young. Und daran ist ja auch nichts Schlechtes - wir sind halt attraktiv! Und trotzdem ist Unabhängigkeit besser, weil wir nicht daran glauben, dass Strategieberatung zur austauschbaren Massenware wird, in der nur noch Preisdruck herrscht und nur Kosten und Skaleneffekte zählen.

Woran glauben Sie stattdessen?
Wir sind davon überzeugt, dass es in Zukunft einen wieder wachsenden Markt für gute Strategieberatung geben wird. In einer von Ungewissheit geprägten Welt, in der Trends nicht mehr verlässlich sind und immer neue Szenarien herausfordern, wird gute Beratung immer bedeutender. Besonders solche, die geopolitische Entwicklungen einbezieht, interdisziplinär ist und Orientierung geben kann. Genau dafür sind wir als unabhängiger Anbieter bestens positioniert.

Dennoch gibt es Zweifel, ob Roland Berger international genug ist?
Den Zweiflern sei nochmals gesagt: Rund 70 Prozent unserer Umsätze stammen nicht aus Deutschland. Wir haben ja bereits Ende der 90er-Jahre angefangen, konsequent strategisch zu internationalisieren. Heute sind wir an den Hotspots für wichtige Industrien in Europa, Asien und Südamerika bestens aufgestellt, besetzen die Drehkreuze der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung.

Warum wurde die Frage, ob Sie unabhängig bleiben, dann so lange unter Ihren Partnern diskutiert?
Weil es um eine zutiefst strategische Frage ging. Auch in unserer Branche sind in den vergangenen Jahren die Unwägbarkeiten gewachsen, unsere Märkte sind volatiler geworden, andere versuchen, in unser Geschäft einzusteigen. Wie PwC, die jüngst die Beratung Booz & Co. übernommen hat. Wir müssen solche Entwicklungen diskutieren, denn eine Partnerschaft funktioniert nur dann, wenn am Ende die große Mehrheit von einer Lösung überzeugt ist und alle für ein Szenario einstehen.

Ist mehr Unwägbarkeit in der Welt als Beleg für steigenden Beratungsbedarf nicht etwas dünn?
Sie sprechen von Unwägbarkeit, ich von Ungewissheit. Und das macht den Unterschied: Weder die Richtung noch Geschwindigkeit noch Wahrscheinlichkeit von Ereignissen und Entwicklungen sind heute noch bekannt. Es gibt keine festgefügten Antworten mehr, viele strategische Instrumente greifen nicht mehr, weil keine verlässlichen Projektionen möglich sind und sich Trends von heute auf morgen ändern können. Die Umsetzung der Strategie muss damit schneller und mutiger passieren, selbst wenn noch nicht alles im Detail ausformuliert ist.

Darin liegt Ihre Stärke?
Ja. Eine Idealstrategie zu erstellen ist immer eine kreative Leistung - und mit den richtigen Leuten zu schaffen. Viel schwieriger ist es, von einem Idealkonzept zu einer Lösung zu kommen, die man tatsächlich umsetzen kann. Dazu sind Kompromisse notwendig. Doch in jedem Projekt gibt es den einen Kompromiss, der aus einem guten Konzept ein schlechtes macht. Den muss man erkennen und offen ansprechen. Genau das macht gute Strategieberatung aus.

Strategien diskutieren Sie auch mit Ihren Kunden. Vor welchen Herausforderungen steht die Wirtschaft?
Die eine große Herausforderung gibt es heute nicht mehr, dazu ist die Welt zu vielschichtig geworden. Wenn das Wachstum in den BRIC- Staaten abnimmt, wird es wieder darum gehen, auch in saturierten Märkten Geld zu verdienen. Wenn die Digitalisierung voranschreitet, geht es um die Vernetzung über Branchengrenzen hinweg. Und es wird sich sicher die Frage stellen, ob die Fokussierung auf Kerngeschäfte noch das richtige strategische Paradigma ist.

Warum?
Weil auch die Wachstumspotenziale in den Kerngeschäften der Unternehmen begrenzt sind. Ich glaube daher, dass wir vor einer neuen Welle der Diversifikation stehen. Wollen die Firmen wachsen, müssen sie neue Wachstumsfelder erschließen, die außerhalb ihres Kerngeschäfts liegen.

Und was muss der deutsche Wirtschaftsstandort zukünftig leisten?
Entscheidend ist die Frage, ob es uns gelingt, unsere industrielle Kompetenz zu behaupten. Denn die Digitalisierung sämtlicher Prozesse, mit den Schlagworten Big Data und Industrie 4.0, bedingt die Frage, wo die künftigen Wachstumsmotoren liegen. Zugespitzt formuliert: Ist es das Silicon Valley, weil alles digital wird? Oder liegt der Treiber in Europa, vor allem in Deutschland, wegen unserer industriellen Fertigungs- und Umsetzungskompetenz.

Und wie lautet Ihre Antwort?
Entscheidend wird sein, industrielle und IT-Kompetenz näher zusammenzubringen, Old und New Economy besser zu verbinden, Kapitalmärkte für Start-ups zu schaffen und gleichzeitig die klassischen Industrien zu fördern. Dazu gehört auch die richtige Infrastruktur, von virtuellen Netzen über intelligente Energiekonzepte bis hin zur "Hardware": Straßen, Schienen, Häfen. Für eine global vernetzte Wirtschaft wie die unsere ist das von entscheidender Bedeutung. Dies anzugehen würde definitiv zusätzliches Wachstum freisetzen.

Wachsen müssen auch Europas Krisenstaaten. Diese wollen daher die Sparpolitik lockern - ist das der richtige Weg?
Wachstum ist die entscheidende Zielgröße für Europa - nur wenn es gelingt, die jetzt erkennbaren Wachstumsansätze zu verstetigen, wird es auch gelingen, den Menschen wieder Perspektiven zu geben. Ich halte die Verkürzung auf den vermeintlichen Gegensatz zwischen Wachsen und Sparen ohnehin für falsch - mit Sparen alleine wird es nicht gelingen, die Krise zu überwinden, sondern nur durch Strukturreformen in den betroffenen Ländern: auf den Arbeitsmärkten, in der Sozialpolitik, durch Privatisierung und Re-Industrialisierung. Flankiert durch neue Wachstumsimpulse auf europäischer Ebene insgesamt.

Welche?
Ich sehe da drei wichtige Ansatzpunkte: Erstens die schnelle Umsetzung des transatlantischen Bündnisses TTIP. Zweitens die konsequente Revitalisierung des europäischen Binnenmarktes - das ist aus meiner Sicht die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe der neuen Kommission. Und drittens die Modernisierung unserer Mobilitäts- und Versorgungsnetze, also ein europäisches Infrastrukturprogramm. Alles zusammen kann Wachstumsimpulse von bis zu drei Prozent bringen.

zur Person:

Berater, Dozent, Autor
Burkhard Schwenker
wurde am 20. April 1958 im westfälischen Minden geboren. Nach Mathematik und BWL-Studium an der Universität Bielefeld kam er nach ersten beruflichen Stationen 1989 zu Roland Berger Strategy Consultants. 1992 wurde er Partner und leitete die Firma von 2003 bis 2010 sowie vom Mai 2013 bis Juli 2014 als deren Vorstandsvorsitzender. Anschließend wurde er erneut zum Aufsichtsratschef gewählt, eine Position die er bereits von 2010 bis 2013 innehatte. Zusätzlich ist er Honorarprofessor und Kuratoriumsmitglied verschiedener Unversitäten. Darüber hinaus schreibt er als Autor zum Thema Unternehmensführung.

Bildquellen: Axel Griesch für Finanzen Verlag