Hoffen auf den Nachschlag: Was Prämiensparer auf jeden Fall wissen müssen
Seit Jahren streiten Banken, Kunden und Verbraucherschützer über die korrekte Verzinsung von Prämiensparverträgen. Nun soll der Bundesgerichtshof die Details klären.
von Simone Gröneweg, Euro am Sonntag
Auf diesen Termin fiebern Verbraucherschützer und Prämiensparer schon länger hin. Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt jetzt im Oktober über die umstrittenen Zinsänderungsklauseln in den Prämiensparverträgen. Die gehörten einst zu den Lieblingen der deutschen Anleger. Das Besondere: Zusätzlich zum Grundzins gab es eine jährliche Prämie, die mit der Laufzeit anstieg. Vor allem in den 1990er-Jahren und zu Beginn der 2000er-Jahre entwickelte sich das Produkt zum Kassenschlager. Dann kam jedoch die Niedrigzinsphase und die Zahlungen entwickelten sich zur Belastung für die Banken. Sie hätten darum rechtlich umstrittene Klauseln genutzt, um die Verzinsung einseitig zu ändern, kritisieren Verbraucherschützer und fordern Nachzahlungen.
• Welche Klage der BGH verhandelt
Der Dissens wird kommende Woche den BGH beschäftigen. Dann wird die erste einer Reihe von Musterfeststellungsklagen verhandelt. Konkret geht es um die Klage der Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig. Im April 2020 hatte das Oberlandesgericht Dresden entschieden, dass deren Berechnungsklausel unwirksam ist (Az: 5 MK 1/19). Das Gericht stellte klar, die Verzinsung müsse sich an einem angemessenen, langfristigen und öffentlich zugänglichen Referenzzinssatz orientieren. Wie genau die Berechnung geschehen soll, ließ es allerdings offen. Bisher verweigerten die Banken die Nachzahlungen oft, viele tun das immer noch. Nun sind Verbraucherschützer und Kunden gespannt, wie der BGH entscheidet, denn dieses höchstrichterliche Urteil dürfte erst einmal wegweisend sein.
• Zahlreiche Kunden sind betroffen
Manche Verbraucherschützer gehen davon aus, dass Hunderttausende Kunden von dem Zinsärger betroffen sind. Etliche wüssten gar nicht, dass ihnen möglicherweise Tausende Euro zustehen, meint Andreas Eichhorst, Vorstand der VZ Sachsen. Die umstrittenen Zinsklauseln wurden sehr oft von Banken verwendet. Die VZ Baden-Württemberg listet auf ihrer Internetseite etliche Geldhäuser auf. Die Verträge heißen zum Beispiel "Prämiensparen flexibel", "VorsorgePlus", "Vorsorgeplan", "Scala" oder "Bonusplan". Die VZ Baden-Württemberg hat fast 1.700 Fälle überprüft. Im Schnitt zahlten die Banken demnach 3.736 Euro zu wenig Zinsen.
• Finanzaufsicht schaltet sich ein
Selbst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) schaltete sich in die Dauerfehde zwischen Geldhäusern und Verbrauchern ein. Sie drängte die Sparkassen und Banken, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Vergeblich. Die Finanzaufsicht veröffentlichte darum am 21. Juni 2021 eine Allgemeinverfügung und verpflichtete Kreditinstitute dazu, Kunden über unwirksame Zinsklauseln zu informieren und ihnen entweder unwiderruflich eine Nachberechnung zuzusichern oder einen Änderungsvertrag mit einer wirksamen Klausel anzubieten.
• Geldhäuser spielen auf Zeit
Und die Banken? Etwa 1.100 Kreditinstitute legten Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung ein. Damit müssen sie die Anordnung erst einmal nicht befolgen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung könnten Jahre vergehen. Das Problem: In dieser Zeit drohen individuelle Ansprüche auf eine ordnungsgemäße Verzinsung zu verjähren.
• Mögliche Verjährung beachten
An eine Verjährung müssen schon jetzt Kunden denken, deren Sparkasse oder Bank den Vertrag bereits vor längerer Zeit gekündigt hat. Die Frist liegt bei drei Jahren - beginnend ab dem Ende des Jahres, in dem aus Bankensicht der Vertrag endet. Wurde ein Vertrag 2018 beendet, hat man bis Ende 2021 Zeit, dagegen vorzugehen. Wer die Frist stoppen will, kann sich beim Ombudsmann der Banken beschweren. Alternativen bestehen darin, gerichtliche Schritte wie ein Mahn- oder Klageverfahren einzuleiten oder sich einer Musterfeststellungsklage anzuschließen.
• Wenn die Bank kündigt
Landet die Kündigung durch die Bank in diesen Tagen im Briefkasten, müssen Verbraucher sich schlaumachen, ob ein Widerspruch aussichtsreich ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine fest vereinbarte Laufzeit noch nicht zu Ende ist oder der Vertrag überhaupt keine exakte Laufzeit enthält. "Steht im Vertrag etwa konkret die Laufzeit 25 Jahre oder wurden Prämien über 25 Jahre fest vereinbart, dann ist das Kündigungsrecht der Bank für diese Zeit ausgeschlossen", erläutert Niels Nauhauser von der VZ Baden-Württemberg. Musterbriefe für Widersprüche findet man unter anderem unter www.verbraucher.de.
• Was Kunden tun können
Wer den Verdacht hat, einen Vertrag mit fehlerhafter Zinsanpassung zu haben, sollte die Bank auffordern, ihre Berechnung darzulegen und eine Neuberechnung durchzuführen. "Falls die Bank tatsächlich ein Nachzahlungsangebot unterbreitet, ist immer noch Vorsicht geboten", warnt Finanzexperte Nauhauser. So sei es möglich, dass die Offerte nur geringfügig höher als die ursprünglich geleisteten Zahlungen liege. Akzeptiere der Kunde dies, verzichte er auf jegliche weitere Rechte. Darum gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Kunden erhalten bei den Verbraucherzentralen eine Neuberechnung mit rechtlicher Bewertung. Dafür benötigt man eine Kopie des Vertrags sowie eine vollständige Übersicht der Sparraten und Zinszahlungen.
Wenn Verbraucher sich zusammentun
Musterklagen: Seit November 2018 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, Musterfeststellungsklagen zu erheben. Damit können Verbraucherverbände grundsätzlich klären, ob ein Unternehmen Verbraucherrechte verletzt hat. Im einfachsten Fall endet der Musterprozess mit einem Vergleich für alle Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben. Der Vorteil daran: Die Anmeldung bei einer Musterfeststellungsklage ist kostenlos. So wundert es nicht, dass den Aufrufen zu Musterklagen bei Prämien-Sparverträgen bereits Tausende Kunden folgten - vor allem bei der Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen, deren Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig nun beim Bundesgerichtshof verhandelt wird.
Weitere Sammelklagen anderer Verbraucherzentralen sind derweil in Arbeit. So hat die in Halle/Saale ansässige Saalesparkasse Prämiensparern nach Ansicht des VZ Bundesverbandes (VZBV) jahrelang zu wenig Zinsen gezahlt. Der VZBV hat darum eine Musterfeststellungsklage eingereicht, an der sich Sparer noch beteiligen können. Infos dazu gibt es bei der VZ Sachsen-Anhalt. Der VZBV und die VZ Bayern haben jeweils Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Nürnberg und die Stadtsparkasse München eingereicht. Auch dort können sich Kunden noch anschließen. Die VZ Brandenburg sucht Interessenten für eine Klage gegen die Sparkasse Barnim.
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