EZB: Draghis schwieriges Erbe
Mit seinem Satz "Die EZB wird alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten" aus dem Jahr 2012 wird der scheidende EZB-Chef Mario Draghi wohl in die Geschichte eingehen. Nun kommt es auf die künftige EZB-Strategie an.
von Christian Kopf, Gastautor von Euro am Sonntag
Jahreswechsel sind immer Wendepunkte. Das gilt dieses Mal auch für die Geldpolitik in der Eurozone. Denn: Ende Dezember läuft das Ankaufprogramm der Zentralbanken des Eurosystems aus. Gleichzeitig nähert sich die Amtszeit des aktuellen Notenbankchefs ihrem Ende.
Investoren stellen sich daher die Frage: Was kommt nach Mario Draghi und den Anleihekäufen?
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) stützt sich derzeit auf das komplexe Zusammenspiel dreier Instrumente: negative Einlagezinsen, das Ankaufprogramm und längerfristige Refinanzierungsgeschäfte. Die Notenbank ist nun bemüht, dieses Paket zu entflechten, ohne große Ausschläge an den Kapitalmärkten zu provozieren.
Dabei bereitet der EZB vor allem die Möglichkeit eines plötzlichen Anstiegs der Laufzeit- und Risikoprämien am Rentenmarkt Sorge, wie wir ihn im Frühjahr 2015 erlebt haben. Damals stiegen die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in wenigen Wochen von 0,07 auf 0,98 Prozent - ein Schock für die Kapitalmärkte und eine Gefahr für die Konjunktur.
Geldpolitische Normalisierung
bei konjunktureller Abkühlung
Die bevorstehende, zaghafte geldpolitische Normalisierung wird zudem durch die Konjunkturabkühlung erschwert, die derzeit auf den Euroraum zukommt. Vorlaufindikatoren und Stimmung haben sich überraschend deutlich eingetrübt. Bis zu Beginn dieses Jahres profitierten die europäischen Volkswirtschaften enorm von einem Nachfrageschub aus China. Die Binnennachfrage ist hierzulande wenig dynamisch, und der Wachstumsanstieg 2017 wurde vor allem von den Nettoexporten getragen.
Dieser Impuls schwindet nun, da China die hohe Verschuldung des Privatsektors in den Griff bekommen will und sich zudem die Folgen des Handelskonflikts mit den USA bemerkbar machen. Verstärkt wird die Konjunkturdelle durch die politischen Probleme in Italien und nun auch in Frankreich.
Was also tun? Die EZB wird zunächst an ihrem Plan festhalten. Denn trotz der Abschwächung wächst die Eurozone immer noch deutlich über ihrer Potenzialrate. Aus Sicht der Währungshüter dürfte also zunächst kein Grund bestehen, von ihrem Pfad der langsamen geldpolitischen Straffung abzukommen. Konkret bedeutet das: Im September 2019 sollte die EZB den Einlagesatz um 15 Basispunkte auf dann noch -0,25 Prozent anheben. Dieser ersten Bewegung dürfte ein weiterer Schritt um 25 Basispunkte im Dezember 2019 folgen.
Die Nulllinie wäre also wieder erreicht, die Geschäftsbanken müssten für die kurzfristige Geldanlage bei der Zentralbank keinen "Strafzins" mehr zahlen. Ende 2019 sollte die EZB also den Einsatz von zwei der anfangs angesprochenen drei Instrumente aus ihrem Werkzeugkasten ausgesetzt und damit ihre äußerst expansive Politik etwas zurückgefahren haben.
Spätestens im Dezember 2019 dürfte die EZB auch den Zinssatz für den Haupttender anheben, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen können. Ein Problem? Nein, denn das Ankaufprogramm hat sehr viel Überschussliquidität im Geldmarkt der Eurozone geschaffen. Und auch auf absehbare Zeit wird das Geschäftsbankensystem als Ganzes über deutlich mehr Liquidität verfügen, als es für seine operativen Zwecke benötigt. Schließlich kauft die EZB zwar keine Wertpapiere mehr an, veräußert aber auch ihren Bestand nicht. Die Überschussliquidität bleibt uns also erhalten. Damit ist der Einlagesatz auf absehbare Zeit der eigentliche Leitzins der EZB - und der wird mit einem Wert von null auch nach den Anhebungen sehr niedrig sein.
Gerade vor diesem Hintergrund ist das dritte der eingangs erwähnten Instrumente, die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte, besonders effektiv. Im Sommer 2020 laufen diese sogenannten LTROs (long-term refinancing operations) aus, mit denen die EZB vor allem den Banken der Peripherie großzügig Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Bereits ein Jahr früher, im Juli 2019, werden die Banken die bestehenden LTROs nicht mehr auf ihre aufsichtsrechtlich vorgesehene strukturelle Liquiditätsquote anrechnen können, weil die Endfälligkeit dieser Instrumente dann weniger als zwölf Monate beträgt.
Die EZB könnte im Frühjahr 2019 eine neue Runde LTROs ankündigen. Das hat der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, Ende Oktober ins Spiel gebracht. Dieser Schritt erscheint uns sehr wahrscheinlich. Die EZB ziert sich noch mit der Ankündigung dieser Maßnahme, da ihr sonst derzeit wenige Instrumente zur Konjunkturstützung bleiben und sie ihr Pulver durch den Ankündigungseffekt noch nicht verschießen will. LTROs würden nicht zuletzt italienischen Banken nutzen, und die EZB will Rom angesichts der Spannungen um den Staatshaushalt für 2019 derzeit kein unterstützendes politisches Signal geben. Aber am Ende werden neue längerfristige Refinanzierungsgeschäfte vermutlich doch kommen. Damit bleibt die Geldpolitik der EZB auf längere Sicht - trotz der nun eingeläuteten moderaten Straffung - insgesamt weiter locker.
Nur langsame Aufwertung des Euro
gegenüber dem US-Dollar
Welche Auswirkungen erwarten wir bei Renditen, Spreads und Währung? Die Rendite auf kurz laufende deutsche Schatzanweisungen sollte mit der Anhebung des Einlagesatzes ansteigen, und damit wächst auch der Druck auf Renditen lang laufender deutscher Bundesanleihen. Die Risikoaufschläge europäischer Unternehmensanleihen steigen durch das Ende des Ankaufprogramms ebenfalls an. Allerdings dürfte der Effekt überschaubar sein, da die Spreads diese Entwicklung bereits weitgehend vorweggenommen haben.
Solange es bei dem langsamen Anpassungspfad bleibt und die US-Notenbank weiter ihre Zinsen anhebt, rechnen wir nur mit einer langsamen Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Nur wenn die Fed pausieren sollte, könnte es zu einer deutlichen Aufwertung der Gemeinschaftswährung kommen.
Mario Draghi wird als einer der ganz großen Geldpolitiker in die Geschichte eingehen - unabhängig davon, wie man seine Entscheidungen bewertet. Seine Androhung aggressiver Marktintervention bewahrte die Währungsunion im Sommer 2012 wahrscheinlich vor dem Auseinanderbrechen. Damit hat er der Politik Zeit verschafft, um das Währungsregime wetterfest zu machen. Ob die von der Politik auf den Weg gebrachten Reformen tatsächlich ausreichen werden für die Abwehr des nächsten Sturms, kann man jetzt jedoch noch nicht sagen.
zur Person:
Christian Kopf,
Leiter
Rentenfondsmanagement bei Union Investment
Kopf leitet seit September 2017 das Rentenfondsmanagement
von Union Investment mit mehr als 50 Mitarbeitern und gut 60 Milliarden Euro Kundengeldern.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit rund 310 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
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Bildquellen: Union Investment, Dursun Aydemir/Anadolu Agency/Getty Images