Digitaler Nachlass: Bis in alle Ewigkeit
Wer stirbt, ist nicht automatisch offline. Wie Erben mit dem digitalen Nachlass umgehen und wie sie die Spuren des Verstorbenen im Netz finden.
von Maren Lohrer, Euro am Sonntag
Alle drei Minuten stirbt hierzulande ein Facebook-Nutzer, ohne zu Lebzeiten entschieden zu haben, was mit seinen geposteten Texten, Likes und Fotos passieren soll. "Vielen ist nicht klar, dass fast jede Person ein beträchtliches virtuelles Erbe hinterlässt", sagt Stephanie Herzog, Fachanwältin für Erbrecht aus Würselen. Dabei wird das Leben immer digitaler. Nicht nur junge Leute sind als "Digital Natives" online unterwegs. Auch für deren Eltern und Großeltern ist es vielfach selbstverständlich, nicht nur E-Mails zu schreiben, sondern auch Angebote bei Ebay, Facebook, Paypal oder Twitter zu nutzen. Doch acht von zehn Internetnutzern geben an, dass sie ihren digitalen Nachlass noch nicht geregelt haben, ergibt eine Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom.
Was bedeutet das für den Erbfall? Wer ein Erbe antritt, ist auch für den digitalen Nachlass verantwortlich. "Das deutsche Erbrecht regelt klar: Im Fall des Todes gilt der Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge, Universalsukzession genannt. Der oder die Erben treten in alle Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein", sagt Stephanie Herzog. Wer Erbe ist, bestimmt ein Testament. Liegt keines vor, entscheidet die gesetzliche Erbfolge.
Wie schwierig der Umgang mit Daten nach dem Tod sein kann, zeigt ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das oberste Zivilgericht hat geprüft, ob Eltern auf die Daten des Facebook-Kontos ihrer verstorbenen Tochter zugreifen dürfen, und geurteilt: Erben müssen Zugriff auf den Facebook-Account des Verstorbenen erhalten (BGH, Az. III ZR 183/17). Die klagende Mutter hoffte, in dem sozialen Netzwerk mehr über die Umstände des Todes ihrer damals 15-jährigen Tochter zu erfahren. Doch ihr Profil befand sich bereits im sogenannten Gedenkzustand, und die Mutter konnte sich nicht einloggen, obwohl sie die Zugangsdaten hatte. "Dieser bedeutende Eingriff in das Profil wird von Facebook äußerst lax gehandhabt", bemängelt Christian Pfaff von KV Legal, der in den beiden Vorinstanzen Prozessbevollmächtigter der klagenden Mutter war.
In erster Instanz hatte das Landgericht Berlin im Sinne der Klägerin geurteilt, doch das Kammergericht Berlin entschied dagegen, hielt den Schutz der Nachrichten durch das Fernmeldegeheimnis hoch. Auf diesen Schutz hatte sich Facebook berufen. Nun jedoch haben die BGH-Richter klargestellt, dass das digitale Konto in einem sozialen Netzwerk genauso auf die Erben übergeht wie Briefe.
Das Urteil ist richtungsweisend. Es betrifft jeden, der auf Social-Media-Plattformen unterwegs ist.
"Bislang hat Facebook das Urteil nicht umgesetzt", sagt Pfaff. So heißt es bei Facebook unverändert: "Wenn jemand verstorben ist, können wir das Konto dieser Person in den Gedenkzustand versetzen, wenn ein Familienmitglied oder ein Freund einen Antrag einreicht." Als Angaben genügen der Name und das ungefähre Todesdatum ("Wenn dir das genaue Datum nicht bekannt ist, dann schätze es bitte"). Optional kann noch der Link zu einem Todesnachweis eingefügt werden.
Im erstinstanzlichen Urteil steht aber, dass der Gedenkzustand einem "Untergehen" des zum Nachlass gehörenden Accounts gleichkomme. Er mache den Erben den Zugang zu ihnen zustehenden Inhalten unmöglich. "Der Gedenkzustand beim Account der Tochter besteht allerdings weiterhin", sagt Pfaff. Auf Nachfrage dieser Zeitung antwortete Facebook lapidar, dass das Urteil sorgfältig analysiert werde, "um die Auswirkungen abschätzen zu können".
Schulden im Dunkeln
Die Geschäftsbedingungen der Internetprovider können also dem Erbrecht entgegenstehen - was letztlich den Gang vor Gericht bedeutet. Generell gilt: Ohne E-Mail-Zugang und ohne digitales Testament lassen sich die Online- Aktivitäten einer Person kaum rekonstruieren. Schulden können dann im Dunkeln bleiben - zumindest bis der Mahnbescheid zugestellt wird. Verkauft jemand kurz vor seinem Tod beispielsweise Ware bei Ebay, so muss sich der Erbe um die Lieferung kümmern. Gleiches gilt für etwaige Außenstände bei Bezahldienstleistern wie Paypal oder unbezahlte Onlinerechnungen. Auch Guthaben könnten unentdeckt bleiben. Etwa wenn der Verstorbene beim Onlinepoker gewonnen hat oder bei Online-Bezahlsystemen wie Paypal Guthaben angehäuft hat, die seine Erben bislang nicht kennen.
Wer gerade in Zeiten der Trauer nicht Stunden mit der Spurensuche im Netz verwenden will, kann sich auch an seinen Bestatter wenden. Viele Bestatter greifen auf die Dienstleistungen von Columba zurück. Das Unternehmen wurde 2012 gegründet. Die Geschäftsidee: ein Online-Schutzpaket. Also ein Nachsorgeprodukt für Hinterbliebene, ganz bewusst kein Vorsorgeprodukt, da weniger als 30 Prozent der Deutschen ein Testament hinterlassen. Inzwischen hat Columba 55 Mitarbeiter, wurde 2015 Preisträger im Wettbewerb "Deutschland - Land der Ideen" und ist Kooperationspartner von rund 1.500 Bestattungsunternehmen in Deutschland. "Über unseren Service lassen sich Abmeldungen aller Art vornehmen und auch Verträge des Verstorbenen recherchieren", sagt Mitgründer Oliver Eiler, "so sparen sich Hinterbliebene unnötige Kosten, wie sie bei Verträgen mit fester Laufzeit entstehen können." Im Jahr 2017 wurde der Columba-Service in mehr als 90.000 Fällen gebucht.
So nutzt beispielsweise die Ahorn-Gruppe mit ihren bundesweit 230 Filialen den digitalen Service, um die Formalitäten zu erledigen. "Pro Sterbefall fallen im Schnitt acht Abmeldungen für analoge und digitale Dienste an", berichtet Paul Mack-Börner von Ahorn.
Lizenz zum Lesen
Manchmal ist jedoch weniger zu vererben, als der Erblasser vermutet: Im Kleingedruckten des Onlinehändlers Amazon steht etwa: "Ihre Kindle-Inhalte werden durch den Anbieter von Inhalten lizenziert, nicht aber verkauft." Auch bei iTunes, der Musik und Filmplattform des Computerkonzerns Apple, heißt es: "Mit jeder Transaktion erwerben Sie nur eine Lizenz zur Nutzung der Inhalte." Während Schallplatten-, CD- und DVD-Sammlungen sowie Bücher von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden können, ist die Vererbbarkeit bei den digitalen Varianten noch völlig unklar.
Weitere News
Bildquellen: LisaS. / Shutterstock.com, zvg