Es wird stürmischer

Rentenmärkte: Die neue Zinswelt

05.07.15 17:00 Uhr

Rentenmärkte: Die neue Zinswelt | finanzen.net

Anleger müssen sich an den Rentenmärkten auf größere Schwankungen und bei Bundesanleihen auf höhere Zinsen einstellen.

von Frank Engels, Gastautor von Euro am Sonntag

Wie sich die Zeiten ändern: Gerade als Mitte April alle Investoren dachten, dass negative Renditen auch bei zehnjährigen Bundesanleihen möglich sein könnten, drehte der Wind. In einem ersten heftigen Sprung kletterte die Rendite von 0,05 Prozent auf über 0,7 Prozent. Anfang Juni stand erstmals seit rund acht Monaten eine Eins vor dem Komma. Mitte Juni hatten sich die Zinsen im Bereich von 0,8 Prozent einigermaßen stabilisiert.

Was war geschehen? Wie so oft, wenn quasi alle Investoren der gleichen Meinung sind, waren sie auch nahezu gleich positioniert. Es herrschte Konsens dahingehend, dass das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) zu niedrigeren Renditen und flacheren Renditestrukturkurven führen würde. Das hatte für übertrieben hohe Kurse gerade bei Bonds mit längeren Laufzeiten gesorgt. Als dann die Euroland-Staaten nahezu zeitgleich ein hohes Volumen neuer Anleihen mit langen Laufzeiten emittierten, war der Markt zeitweise überversorgt - und es kam zur unvermeidlichen Kurskorrektur.

Es folgte also ein abrupter Rendite­anstieg, und als bei 0,7 Prozent für die zehnjährige Bundesanleihe alle dachten, er hätte ein Ende gefunden, kam die zweite Welle. Auslöser dürften die Inflationsdaten aus der Eurozone gewesen sein, die zum ersten Mal seit langer Zeit höher als erwartet ausgefallen waren. Kurz darauf äußerte sich EZB-Präsident Mario Draghi zu fundamentalen Verbesserungen und betonte, dass sich die Rentenmärkte auf höhere Schwankungen einstellen müssten. Mit anderen Worten: Die EZB würde nicht versuchen, die Märkte aktiv zu beruhigen. Das hatte einen weiteren Abverkauf zur Folge, und die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen schoss kurzfristig über die Marke von einem Prozent. War das die Trendwende oder gar das Ende des Niedrigzinsumfelds in der Währungsunion? Eher nicht. Zehnjährige Bundesanleihen sind auch mit einem Prozent noch historisch niedrig verzinst. Gegen nachhaltig höhere Zinsen steuert zudem auch die EZB an: Zum einen, indem sie die Leitzinsen mittelfristig niedrig hält, und zum anderen durch das aktuell laufende Wertpapierankaufprogramm. Denn derzeit erwerben die Währungshüter pro Monat für 60 Milliarden Euro Wertpapiere - vor allem Staatsanleihen. Und diese Nachfrage trifft gerade in den Sommer­monaten Juli und August auf wenig neues Angebot. Über diese Ankäufe der Zentralbank sollen das Zins­niveau und auch die Refinanzierungskosten in den Staaten des Währungsverbunds niedrig gehalten werden.

US-Markt dürfte ab September
die Führung übernehmen

Ungeachtet dieser eher stabilisierenden Käufe der EZB befindet sich der Rentenmarkt in einer Phase erhöhter Schwankungsanfälligkeit. Das hängt auch damit zusammen, dass die US-Zentralbank sich und den Markt auf die erste Leitzinserhöhung seit Juni 2006 vorbereitet. Momentan beeinflussen zwar die Entwicklungen am europäischen Anleihemarkt noch den US-Markt. Das sollte sich ab September dieses Jahres aber ändern. Denn dann wird nach der aktuellen Erwartungshaltung die US-Notenbank die Zinswende einläuten. Damit übernimmt die Entwicklung der Renditen für US-Staatsanleihen wieder die Führung. Mit anderen Worten: Wenn in den USA die Renditen steigen, dürften sie es mit kurzer Verzögerung auch in Deutschland und Europa tun.

Ebenfalls für steigende Renditen sprechen die sich weiter verbessernden volkswirtschaftlichen Daten der Eurozone sowie die Inflationszahlen, die zuletzt die Experten überrascht hatten. Allein aufgrund der Energiepreisentwicklung der vergangenen Monate sollten die Teuerungsdaten demnächst höher ausfallen. Und das Potenzial für erneute Überraschungen in Richtung höherer Inflationsraten ist vergleichsweise groß.

Nimmt man all diese Entwicklungen zusammen, dann sollten die kommenden Wochen an den Rentenmärkten vor allem eines werden: volatil. Unter dem Strich aber sollten die Faktoren überwiegen, die für einen leichten Anstieg der Renditen im Jahresverlauf sprechen. Ende 2015 rechnen wir mit einer Rendite für zehnjährige Bundesanleihen von einem Prozent.

Kurzvita

Frank Engels, Leiter des
Renten­managements bei Union Investment

Der promovierte Volkswirt leitet ein 52-köpfiges Rententeam und ist für ein Portfoliovolumen von mehr als 50 Milliarden Euro verantwortlich. Zuvor arbeitete er unter anderem für den Internationalen Währungsfonds und die Europäische Zentralbank.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und verwaltet aktuell ein Vermögen von über 250 Milliarden Euro.

Bildquellen: Union Investment, StockThings / Shutterstock.com