Nobelpreis für Wirtschaft: Die Erkenntnisse der Genies
Die Turbulenzen an den Finanzmärkten betreffen jedermann. Eine Auszeichnung der Forscher, die diese Preisbewegungen analysieren, war überfällig. Was wir von den klugen Köpfen lernen können.
von Frank-B. Werner, Euro am Sonntag
Das würde wohl nicht jeder Ökonom unterschreiben: „Die Preisträger haben die Grundlagen für das derzeitige Verständnis von Vermögenspreisen gelegt“, hieß es zur Begründung von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, als sie am vergangenen Montag die Gewinner des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises bekannt gab.
So richtig scheint das auch das Vergabekomitee nicht zu glauben; denn neben dem nur in Fachkreisen bekannten Ökonometriker Lars Peter Hansen, Professor an der Universität Chicago, wurde die Auszeichnung an zwei — auch in der Öffentlichkeit bekannte — Streithähne vergeben. Während Eugene F. Fama, ebenfalls Professor in Chicago, auf dem Standpunkt steht, dass die Märkte immer recht haben und es keine Preisblasen gibt, hält der als Dritter ausgezeichnete Yale-Professor Robert J. Shiller Famas Theorie der effizienten Märkte für den „größten Irrtum in der Geschichte ökonomischen Denkens“.
Bumm, das sitzt. Immerhin hat Shiller aber nicht nur anekdotische, sondern auch empirische Evidenz auf seiner Seite. Er warnte — mehrfach, laut und deutlich — sowohl vor dem Platzen der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende als auch (bereits 2006) vor den Preisexzessen an den US-Immobilienmärkten, die im September 2008 im Zusammenbruch der Lehman-Bank gipfelten. Mit seinem Buch „Irrationaler Überschwang“ wurde Shiller auch in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Dort erklärt er, wie euphorischer Optimismus einerseits und abgrundtiefer Pessimismus anderseits immer wieder zu Kursübertreibungen führen.
Tatsächlich ist die offizielle Auszeichnungsbegründung — „empirische Analyse der Preise von Vermögenswerten“ — die einzige Klammer zwischen den drei Preisträgern. Hansen ist dabei der einzig unverdächtige Laureat, weil er sich nicht in die öffentliche Debatte über wünschenswerte Marktergebnisse einmischt.
Der 60-Jährige hat sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit im Wesentlichen auf die Entwicklung von Instrumenten und Methoden zur Untersuchung von Zeitreihen beschränkt. Mit ihnen kann man die Rationalitätshypothese in koordinationseffizienten Märkten überprüfen. Hansen selbst hält sie in der Regel nicht für erfüllt. Darüber hinaus beschäftigt sich Hansen viel mit dem Transmissionsmechanismus zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft.
Spannend für Anleger sind in erster Linie die unterschiedlichen Ansätze von Fama und Shiller. Dabei äußert sich Fama oft nicht eindeutig. In einem Interview mit der FAZ sagte er beispielsweise 2005: „Zufällige Über- oder Untertreibungen bei Kursbewegungen, die sich in Echtzeit nicht vorhersehen lassen, widerlegen nicht die Hypothese von der Effizienz der Märkte. Ich will aber hinzufügen, dass es mir nicht darum geht, einzelne Kursbewegungen rational zu begründen.“
Der Streit um die Blase
In einem aktuellen Interview bezog er dann wieder die totale Gegenposition zur Überschwangthese: „Ich glaube nicht daran, dass Aufseher oder Notenbanker gut darin sind, Blasen zu erkennen, weil es keine Blasen an den Finanzmärkten gibt. Blasen sind etwas, was Menschen den Märkten anheften, um im Nachhinein einen Crash zu erklären. Aber Blasen sind nicht prognostizierbar. Auch wenn die Preise schon lange gestiegen sind, weiß man nicht, ob sie noch weiter steigen oder zusammenbrechen werden.“ Die Stabilität der Märkte hänge davon ab, wie gut die Spieler finanziert seien und davon, wie groß die echte Unsicherheit in der Welt sei: „Gibt es sehr viel Unsicherheit, kann man die Schwankungen nicht beruhigen.“
Für die Anlagepraxis ergibt sich nun eine entscheidende Frage: Wenn die Märkte ziemlich effizient sind, warum sind dann noch so viele Anleger, private wie institutionelle, bemüht, besser abzuschneiden als der Durchschnitt?
Fama macht es sich mit dieser Frage etwas leicht. So erklärt er das Angebot aktiv gemanagter Fonds kurzerhand mit dem Erwerbstrieb der Fondsanbieter: „Wer verspricht, überdurchschnittlich hohe Erträge zu erwirtschaften, der kann höhere Gebühren verlangen.“ Komplizierter, so räumt er ein, sei es mit der Nachfrageseite, also mit den Anlegern, die diese Fondsprodukte erwerben: „Wahrscheinlich spielt hier eine Rolle, dass jeder gern daran glaubt, auf dem Tisch sei auch noch ein wenig Geld für ihn übrig.“ Da blitzt dann der verhaltensökonomische Ansatz von Shiller durch.
Tatsächlich haben wir es an dieser Stelle mit einem Paradoxon zu tun, das weder Fama noch Shiller (und auch Hansen nicht) auflösen können. Anleger, die von der Richtigkeit der Effizienzhypothese überzeugt sind, gehen davon aus, dass der Kurs einer Aktie neue Informationen unmittelbar widerspiegelt. Da sich überraschende, neue Nachrichten definitionsgemäß nicht vorhersagen lassen, glauben sie auch nicht daran, dass sich Kursbewegungen prognostizieren lassen. Anhänger der Theorie effizienter Kapitalmärkte vertreten folglich die Auffassung, dass die Suche nach Trends und die Analyse der Fundamentaldaten eines Unternehmens reine Zeitverschwendung sind (und kaufen beispielsweise ETFs, die einen ganzen Markt abbilden).
An dieser Stelle kommt das Paradoxon ins Spiel. Denn wenn die Verfechter der Effizienzhypothese in der Mehrheit wären, dann würde neuen Entwicklungen kaum noch Beachtung geschenkt. Versuchen aber nur vergleichsweise wenige Investoren, den Markt zu schlagen, wird dieser nicht rasch auf neue Informationen reagieren. Damit sorgt ein überwältigender Glaube an die Richtigkeit der Theorie für deren Widerlegung. Und Research lohnt sich. Andersherum: Wenn die Mehrzahl der Anleger davon überzeugt ist, dass die Märkte nur recht gemächlich auf neue Informationen reagieren, so werden sie die Suche nach Trends und die Unternehmensanalyse für eine sehr lohnende Beschäftigung halten. Dadurch, dass sie aktiv Wertpapieranalyse betreiben, sorgen sie wieder für einen effizienten Kapitalmarkt. Der Researchaufwand lohnt sich nicht.
Zwischen diesen beiden Polen schwanken die Märkte. Und da darf man zu Recht als Anleger ein bisschen irrational werden. Shiller führt diesen Gedanken weiter. Er stellt der Rationalität der Marktwirtschaft, wo ein Stück Tierfell nach langer Abwägung gegen einen Tontopf voller Honig getauscht wird oder ein Stück Wildbret oder Käse gegen einen Kupferpfennig den Besitzer wechselt, den Kapitalismus der Börsen gegenüber. Dieser lebt von Visionen, ist fantastisch und hat in der amerikanischen Kultur ein einprägsames Bild mit jenen Dollarzeichen gefunden, die anstelle der Pupillen in Onkel Dagoberts weit aufgerissenen Augen kleben.
Börse versus Marktwirtschaft Ein solcher Traum, von Gier befeuert, kann eine schier unwiderstehliche Kraft entwickeln. Sein Medium ist nicht die nüchterne Kalkulation, sondern der irrationale Überschwang. Dort sind keine Kaufleute, sondern Künstler am Werk, die mit kreativ gestalteten Bilanzen eine Handvoll lausiger Daten so fantasievoll extrapolieren, dass in den Köpfen der Anleger eine neue — virtuelle — Realität entsteht. Wenn dann die galaktisch anmutende Entfernung der flimmernden Zahlenkolonnen auf die Normalsprache des Warenverkehrs trifft, dann scheint das Diktum von Herbert Hoover, US-Präsident während der Großen Depression von 1929 bis 1933 zuzutreffen, wonach das einzige Problem des Kapitalismus die Kapitalisten und ihre Gier seien. Am Ende platzt die Spekulationsblase, nicht mit einem Knall allerdings, wie es die Physik gebieten würde, sondern — wie bei einem Luftballon — durch ein kleines Loch pfeifend und ruckweise herabtrudelnd.
Insofern hat Per Lennart Krusell, Vorsitzender des Wirtschaftspreiskomitees der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, wohl recht: „Die Forschung von Fama, Hansen und Shiller hat nicht nur die Sichtweise unter Wissenschaftlern radikal verändert, sondern auch die Marktpraxis beeinflusst.“ Es wäre interessant zu erfahren, wie die Laureaten das Preisgeld von 920.000 Euro anlegen.
zu den Personen:
Eugene Fama
Großer Glaube an
die Rationalität
Eugene F. Fama, Professor an der Universität von Chicago. Geboren am 14. Februar 1939 in Boston. War nach dem Anruf, der ihm den Nobelpreis antrug, erst einmal „völlig sprachlos“. Wechselte zur Ökonomie, weil er des Französisch-Studiums überdrüssig war. Was ihn antreibt: Kreativer Austausch mit schlauen Köpfen. Wofür er den Preis bekommt: Empirischer Beleg, dass Preisentwicklung unabhängig von historischen Preisen ist. Zentraler Aufsatz: „Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work“, Journal of Finance, Mai 1970.
Bob Shiller
These vom irrationalen Überschwang
Robert J. Shiller, Professor an der Yale University New Haven. Geboren am 29. März 1946 in Detroit. War beim Anziehen, als er vom Preis erfuhr, und bestellte als Erstes das Taxi ab, das ihn zum Flughafen bringen sollte. Was ihn antreibt: Den Menschen und sein Handeln verstehen. Wofür er den Preis bekam: Die Einführung verhaltenstheoretischer Ansätze in die Kapitalmarktforschung. Zentraler Aufsatz: „Do Stock Prices Move Too Much To Be Justified By Subsequent Changes in Dividends?“, American Economic Review, Juni 1981.
Lars Hansen
Im Zaubergarten
der Mathematik
Lars Peter Hansen, Professor an der Universität von Chicago. Geboren 26. Oktober 1952 in Champaign, Illinois. Frühaufsteher, der schon mit seinem Hund unterwegs war, bevor ihn die Nachricht vom Nobelpreis ereilte. Was ihn antreibt: Etwas Vernünftiges tun, um die Welt besser zu verstehen. Wofür er den Preis bekam: Entwicklung ökonometrischer Methoden zur Untersuchung von Zeitreihen. Entscheidender Aufsatz: „Large Sample Properties of Generalized Method of Moments Estimators“, Econometrica No. 4, 1982.