Schwere Zeiten

Startups in der Krise: Zahlreiche Fintechs müssen Mitarbeiter entlassen

15.06.22 23:35 Uhr

Startups in der Krise: Zahlreiche Fintechs müssen Mitarbeiter entlassen | finanzen.net

In den vergangenen Jahren sind Fintechs die Gelder nur so zugeflogen. Investoren haben sich praktisch darum gerissen in die Startups einsteigen zu dürfen. Nun stellen die Folgen des Ukraine-Kriegs, der Corona-Krise und der Inflation die jungen Unternehmen auf eine harte Bewährungsprobe. Selbst große Namen sind dazu gezwungen Mitarbeiter abzubauen.

Trade Republic entlässt Mitarbeiter

Eines der bekanntesten deutschen Fintechs ist der Berliner Neobroker Trade Republic. Erst jüngst hat dieser in einer Erweiterung seiner letzten Finanzierungsrunde 250 Millionen Euro von Investoren eingesammelt. Wie das Handelsblatt berichtet, hat es dadurch seine Bewertung auf fünf Milliarden Euro gesteigert. Nur eine Woche später habe das Unternehmen aber angekündigt, sich von einigen Mitarbeitern zu trennen. Die Vorstellung der Umstrukturierung fand nach Angaben des Handelsblatts in einem internen Townhall-Meeting statt. Eine Sprecherin soll dazu gesagt haben: "Wir haben gestern unseren Mitarbeitern vorgestellt, wie wir uns fokussieren, um unsere strategischen Ziele zu erreichen: Künftig wollen wir uns etwa auf der Produktseite zielgerichteter aufstellen und schauen, was kurzfristig zur Profitabilität beiträgt." Demnach müssten einige Mitarbeiter das Unternehmen verlassen oder in anderen Bereichen eingesetzt werden. Angestellte, die mit ihren Kollegen also erst den Erfolg der letzten Finanzierungsrunde gefeiert haben, müssen jetzt womöglich gehen. Eine Verkleinerung soll aber nicht stattfinden. Eine Unternehmenssprecherin sagte gegenüber dem Handelsblatt, dass die Unternehmensgröße von 700 Mitarbeitern beibehalten werde. Während in manchen Bereichen ein Personalabbau stattfinde, erfolge in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Software, ein Stellenaufbau.

Auch Klarna ist betroffen

Neben Trade Republic ist auch ein anderer Stern am Fintech-Himmel von Entlassungen betroffen. Das wertvollste Startup Europas, Klarna, plane laut dem Handelsblatt 700 von 7.000 Stellen zu streichen. Der Abbau sei nötig, um die hohen Verluste des Unternehmens zu beschränken. Diese würden nämlich immer mehr ansteigen. Große Geldmengen sollen in die Kundengewinnung fließen, was Investoren allerdings zusehends nervös mache. So sinke beispielsweise die Bewertung des Startups beträchtlich. Vor einem Jahr sei es noch auf knapp 46 Milliarden Euro geschätzt worden. Im Rahmen einer möglichen neuen Kapitalrunde könnte der Wert möglicherweise auf etwa 30 Milliarden US-Dollar sinken. Wie die Website Finance Forward berichtet, war Klarna sonst immer das absolute Liebling der Investoren. Tatsächliche Geschäftszahlen habe es bei einer Finanzierungsrunde nur für die größten Investoren gegeben. Der Rest durfte per Video-Call nur kurz das Management kennenlernen. Und trotzdem flossen Abermillionen Euro an das Startup. Wirkliche Analysen soll es nicht gegeben haben. Laut Angaben von Finance Forward müssten sich nun manche Investoren erst wieder daran gewöhnen, eine Due Diligence durchzuführen, bevor sie Millionen in ein Fintech investieren.

Die Zeiten für Fintechs werden schwieriger

Die äußerst bekannten Fintechs Trade Republic und Klarna sind nur die Spitze des Eisbergs. Laut Heise muss auch der deutsch-britische Payment-Anbieter SumUp ca. 100 Mitarbeiter in Brasilien entlassen. Ob auch in Deutschland Stellen abgebaut werden, sei unklar. Ebenso zu Entlassungen gezwungen seien außerdem das Banking-Startup Kontist und der Kryptowährungsspezialist Nuri. So sollen innerhalb weniger Wochen nach Angaben von Finance Forward in der gesamten europäischen Fintech-Szene rund 930 Mitarbeiter gefeuert worden sein.

Der Grund für die Entlassungswelle in der Branche ist die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Der Ukraine-Krieg, die steigende Inflation und die Zinserhöhungen machen den Fintechs zu schaffen. Während in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype um die (noch) verlustreichen Startups herrschte, wollen Investoren nun eine Verbesserung bei der Profitabilität sehen. Die Fehlbeträge sollen deshalb eingedämmt werden. Die jungen Unternehmen müssen nun für die Aufrechterhaltung des Erfolgs beweisen, dass sie auch künftig Gewinne erwirtschaften können. "Noch vor einem Jahr konnten sich Fintechs ihre Investoren aussuchen", sagt Volker Brühl, Professor für Banking und Finance an der Goethe Universität in Frankfurt, gegenüber dem Handelsblatt. Mittlerweile habe sich jedoch einiges geändert. "Der Effizienzgedanke ist in den Vordergrund gerückt, die Profitabilitätsgrenze soll schnell erreicht werden." Große Investoren sollen laut Finance Forward heute deutlich risikoscheuer auftreten. Im vierten Quartal des Jahres 2021 sollen 14 Finanzierungsrunden jenseits der 100 Millionen Dollar zustande gekommen sein. Im ersten Quartal 2022 waren es nur noch halb so viele. Dabei seien die Fonds der Wagniskapitalgeber immer noch gut gefüllt. Für Thomas Prüver, Techexperte und Partner bei Ernst & Young, sei der Rückgang aber keine Überraschung. "Im Markt war aber auch jedem klar, dass es nicht jedes Jahr eine Verdreifachung des Finanzierungsvolumens geben wird", erklärt er gegenüber Finance Forward. Im Jahr 2022 brechen für die Fintechs also neue Zeiten an, in denen es für sie deutlich schwieriger sein wird, an die nötigen Gelder für die Fortführung ihrer Geschäfte zu kommen.

Nicolas Flohr / Redaktion finanzen.net

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