Emerging Markets - bereit zum Einstieg?
Im vergangenen Jahr kämpften die Schwellenländer mit erheblichem Gegenwind. Anleger zogen sich zurück. Mittlerweile sind viele Risiken eingepreist. Ist die Zeit schon reif für den Einstieg?
von Max Holzer, Gastautor für €uro am Sonntag
Turbulent - das Wort beschreibt am besten die Situation am türkischen Kapitalmarkt im Sommer 2018. Panikartige Verkäufe schickten die türkische Lira auf Talfahrt und die Inflation in schwindelerregende Höhen. Dazu mischten sich besorgniserregende Nachrichten aus Argentinien. Ebenso wie die Türkei hatte das südamerikanische Land kurzfristige Schulden in Fremdwährungen aufgebaut, welche die Devisenreserven überstiegen. Als Konsequenz sagte der Internationale Währungsfonds (IWF) den Südamerikanern schnellere Auszahlungen eines milliardenschweren Kreditpakets zu.
Neben solchen und anderen länderspezifischen Herausforderungen setzten aber vor allem strukturelle Faktoren den Emerging Markets zu. So belasteten insbesondere die steigenden Renditen am US-Rentenmarkt im Zuge der sukzessiven Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Notierungen in den aufstrebenden Volkswirtschaften. Die damit einhergehende Aufwertung des US-Dollars erwies sich als Hypothek für die lokalen Währungs- und Anleihemärkte.
Protektionismus und Streit im Handel - ein toxisches Gemisch Daneben litten die Schwellenländer unter der protektionistischen Politik von US-Präsident Donald Trump und unter der Angst vor einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Auch der fallende Ölpreis wirkte sich negativ auf zahlreiche erdölexportierende Länder aus. Und als wäre das nicht genug, belasteten gegen Ende des Jahres Sorgen um die Weltwirtschaft. Das synchrone globale Wachstum endete im Jahresverlauf. Die USA zeigten sich robust, während China, Europa und die Schwellenländer rückläufig tendierten und sich mit schwächeren Frühindikatoren konfrontiert sahen.
Unter dem Strich gingen die Aktienmärkte der Emerging Markets auf der Indexebene (MSCI-Emerging-Market-Index) im Jahr 2018 um rund 13 Prozent in die Knie. Auch auf der Anleiheseite gaben die Kurse nach. Wenn man die Finanzmärkte außen vor lässt, sind damit Bewertungsniveaus erreicht, die in den vergangenen Jahren eine Kaufgelegenheit darstellten. Die Frage, ob die Zeit für einen Einstieg gekommen ist, kann aber nicht uneingeschränkt mit "Ja" beantwortet werden. Denn die Probleme von gestern begleiten die Schwellenländer auch im neuen Jahr.
Die Entwicklung in den aufstrebenden Volkswirtschaften wird auch in diesem Jahr maßgeblich vom weiteren Verlauf des Handelsstreits zwischen den USA und China bestimmt. Der IWF hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos die globale Wachstumsprognose für das Jahr 2019 auf 3,5 Prozent gesenkt. Damit liegt die Prognose um 0,2 Punkte unter der vom vergangenen Oktober, die bereits gesenkt worden war. Nach Ansicht der Organisation werden unter anderem die mit dem Handelskonflikt einhergehenden Unsicherheiten zunehmend zum Wachstumshemmnis.
Besonders brisant: Mittlerweile setzt sich die Überzeugung durch, dass im Hintergrund ein breit angelegter Paradigmenwechsel in der US-Außenpolitik vollzogen wurde und die USA tendenziell die strategische Konfrontation gegenüber China nicht mehr scheuen. Obwohl sich im Zuge des G-20-Gipfels Ende vergangenen Jahres Entspannung andeutete, ist die weitere Entwicklung damit nach wie vor schwer zu prognostizieren - was bleibt, ist Unsicherheit.
Auch die Normalisierung der Geldpolitik bleibt ein Risiko. Zwar wird die US-Notenbank ihren Kurs deutlich stärker an den wirtschaftlichen Daten ausrichten als noch im vergangenen Jahr. Es bestehen aber Fragezeichen, wie viele Zinserhöhungen die Währungshüter im laufenden Jahr anstreben. Darüber hinaus dürfte die Fed ihre Bilanzsumme weiter zurückführen. Die Europäische Zentralbank hat ihre Anleiheankäufe zwar beendet, wird aber fällige Papiere am Markt reinvestieren. Tendenziell setzt sich somit die Geldverknappung insgesamt fort. Im Ergebnis ist daher von der Geldpolitik weiterhin kein Rückenwind für die Kapitalmärkte der Schwellenländer zu erwarten.
Gezielte Einzeltitelauswahl wegen der Länderrisiken
Neben den beschriebenen Herausforderungen spielen die bestehenden spezifischen Probleme weiterhin eine Rolle. Zwar sind Argentinien und die Türkei zumindest für 2019 durchfinanziert, die Lage bleibt in diesen beiden Ländern aber tendenziell schwierig.
Gleichzeitig stehen in Argentinien ebenso wie in Südafrika und Indonesien in diesem Jahr Wahlen an, die potenziell für Verunsicherung sorgen können. Im Gegensatz zum Vorjahr wird 2019 dennoch kein Superwahljahr. Das sollte die Turbulenzen von politischer Seite eindämmen. Gleichzeitig gibt es aus wirtschaftlicher Sicht aber auch positive Länderbeispiele: So stellt sich mit Blick auf Wachstumsraten und Auslandsverschuldung die Situation in Indonesien weitaus günstiger dar als in anderen Schwellenländern. Auch Brasilien scheint nach der Präsidentschaftswahl aktuell relativ stabil zu sein.
Kauf von Anleihen ist derzeit eine Frage des Anlagehorizonts
Trotz der aktuell eher schwierigen Lage spricht auf lange Sicht vieles für die Schwellenländer. Langfristig werden sie ihr Wohlstandsniveau an das der Industriestaaten annähern. Allein die schiere Anzahl möglicher Konsumenten ist riesig, schließlich lebt nur ein Siebtel der Weltbevölkerung in den Industriestaaten. Es verwundert daher nicht, dass die Schwellenländer schon heute der Wachstumsmotor der Welt sind.
Die Beantwortung der Ausgangsfrage, ob sich ein Einstieg in die Emerging Markets nach dem turbulenten Jahr 2018 nun wieder lohnt, ist also vor allem eine Frage des Anlagehorizonts des jeweiligen Investors. Für kurzfristig orientierte Anleger ist mit Blick auf die weiterhin hohe Volatilität in den Bondmärkten Vorsicht geboten.
Unter langfristigen Überlegungen eröffnen sich schon jetzt Einstiegsmöglichkeiten. Denn nach der Ausweitung der Risikoaufschläge im vergangenen Jahr sind beispielsweise Schwellenländeranleihen vergleichsweise günstig bewertet. Allerdings hält die Divergenz zwischen den einzelnen Schwellenländern weiterhin an. Bei der Länderanalyse gilt es daher, besonders sorgfältig vorzugehen und die Spreu vom Weizen zu trennen.
Kurzvita
Max Holzer
Leiter
Relative Return bei Union Investment
Max Holzer leitet seit 2017 im Portfoliomanagement von Union Investment die Abteilung Relative Return innerhalb des neu aufgestellten Bereichs Multi Asset. Zuvor führte er von 2004 bis 2016 die Einheit Asset Allocation. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell rund 330 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
____________________________
Weitere News
Bildquellen: Pincasso / Shutterstock.com, Carsten Lerp/Union Asset Management Holding AG