Türkei vor der Wahl: Machtgewinn und Kursverlust
Währung und Leitindex sind deutlich gefallen. Anleger fürchten nach der morgigen Wahl Interventionen des Staatspräsidenten in die Geldpolitik der Zentralbank.
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von Jörg Billina, Euro am Sonntag
In den vergangenen 15 Jahren haben Recep Tayyip Erdogan und seine AKP-Partei jede Wahl gewonnen. Die erstmals in der Geschichte der Türkei zusammengelegten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 24. Juni wollen der türkische Staatspräsident und die von ihm geführte Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung erneut für sich entscheiden. Es geht um viel. Der 64-Jährige wäre dann noch mächtiger, als er es jetzt schon ist.
Nach der Wahl tritt das vom ihm initiierte und von den Bürgern in einem Referendum gebilligte Präsidialsystem in Kraft. Es verleiht dem Staatsoberhaupt neue und weitreichende Befugnisse: Es gibt dann keinen Ministerpräsidenten mehr. Der Staatspräsident ist Chef der Regierung und ernennt oder entlässt die Minister. Er kann per Dekret Gesetze erlassen. Noch dazu legt der Staatspräsident den Staatshaushalt fest. Und er allein entscheidet über Einführung und Aufhebung des Ausnahmezustands. Dagegen verliert das Parlament deutlich an Kontrollmöglichkeiten.
Anleger sehen die Machtfülle mit Argwohn. Sie zweifeln insbesondere, ob Erdogan die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank respektieren wird. In der Vergangenheit hatte er die Währungshüter mehrmals scharf kritisiert. Zinserhöhungen sind Erdogans Meinung nach nicht das probate Mittel, um die Inflation in den Griff zu bekommen, sondern "Mutter und Vater aller Übel". Wer die Zinssätze erhöht, begehe Landesverrat, sagt Erdogan. Denn das treibe die Preise. Wenn aber die Bürger den Gürtel enger schnallen müssten, machten sie den Staatspräsidenten verantwortlich. Erdogan verspricht: Nach den Wahlen wolle er die Zinspolitik stärker kontrollieren.
Der frühere Zentralbank-Chef Durmus Yilmaz hält die Rhetorik des Staatspräsidenten für "extrem gefährlich". Allein schon die Ankündigung zunehmender Einmischung in Geldpolitik und Wirtschaft schade der Konjunktur, stellt Yilmaz fest. Zu Recht. Bei den Unternehmen wächst der Pessimismus. Beispielsweise ist der türkische Einkaufsmanagerindex auf 46,4 Punkte gefallen, den schlechtesten Wert seit 2009. Alles unter 50 deutet auf nachlassende wirtschaftliche Dynamik hin.
Noch ist davon nichts zu spüren. In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die wirtschaftliche Gesamtleistung um über sieben Prozent gestiegen. Doch in den nächsten Quartalen werde sich die Konjunktur merklich abkühlen, prognostiziert Capital Economics. Die Investmentgesellschaft erwartet für das Gesamtjahr ein Plus von nur noch vier Prozent.
Toxischer Mix
An der Börse lösen Erdogans Äußerungen, die ökonomischen Lehrmeinungen widersprechen, Talfahrten aus. Seit Jahresanfang verlor der Leitindex ISE 100 rund 20 Prozent. Türkische Aktien sind daher mittlerweile günstig. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei sieben. Doch der Abwärtstrend droht anzuhalten. Zu den großen Verlierern dürften weiterhin die Banken zählen.
Moody’s hatte jüngst die Bonitätsnote aller türkischen Kreditinstitute um eine Note herabgestuft. Die Rahmenbedingungen hätten sich massiv verschlechtert, begründet die Ratingagentur ihre Entscheidung. Die Machtkonzentration und die Einmischung in die Geldpolitik böten erheblichen Anlass zur Sorge. Die Türkei, so Moody’s, sei zunehmend verwundbar gegenüber ökonomischen Schocks.
Die Warnsignale bleiben nicht ungehört. Investoren ziehen massiv Gelder ab, wodurch sich die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes zusätzlich verdüstern. Auf ausländisches Kapital ist die Türkei aber angewiesen. Das Land muss jedes Jahr ein Leistungsbilanzdefizit von rund sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts finanzieren. Der Kapitalabfluss wiederum drückt den Kurs der Währung. Innerhalb nur eines Monats verlor die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar fast sechs und gegenüber dem Euro 4,5 Prozent.
Die Lira-Schwäche treibt die Teuerung. Im Mai sind die Preise gegenüber dem Vorjahresmonat um 12,5 Prozent geklettert. Die Menschen spüren es: Ihr Geld wird weniger wert. Die Türkei importiert pro Jahr für mehrere Hundert Milliarden Euro Waren, aber auch Öl aus dem Ausland. Ebenso leiden die Unternehmen. Viele haben Kredite in Dollar aufgenommen. Fällt die Lira, erhöht sich der Schuldendienst.
Um den Währungsverfall zu stoppen, hat die Zentralbank gegen den Willen Erdogans den Leitzins auf 17,75 Prozent angehoben. Experten bezweifeln, ob das ausreicht, die Lira zu stabilisieren. Das Analysehaus Oxford Economics erwartet, dass noch in diesem Monat der Leitzins auf mindestens 19,5 Prozent hochgesetzt wird.
Lange Zeit zweifelte niemand am Sieg des zunehmend autokratisch regierenden Amtsinhabers Erdogan. Nicht zuletzt sind türkische Medien überwiegend auf Linie des Staatspräsidenten. Doch angesichts steigender Inflationsraten und gedämpfter Wachstumserwartungen schöpft die Opposition nach langen Jahren erstmals wieder Hoffnung. Vier Parteien haben eine Wahlkoalition gegründet und können so die für den Einzug ins Parlament geltende Zehn-Prozent-Hürde überwinden. Der AKP drohen daher Stimmenverluste.
Oppositionskandidat holt auf
Zudem legt der Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen CHP, Muharrem Ince, in den Umfragen zu. Der starke Redner und frühere Physiklehrer will unter anderem Erdogans umstrittenen Präsidentenpalast in ein Lehrinstitut umwandeln sowie die Rechte des Präsidenten wieder beschneiden. Das kommt an. Ince warnt vor einer drohenden Wirtschaftskrise, wenn die AKP und Erdogan weiterregieren: "Die fahren den Karren an die Wand." Er wolle den "müden Mann" (Erdogan) ablösen, den drohenden Bankrott vermeiden und für Jobs und Bildung sorgen. Eine Einmischung in die Politik der Notenbank lehnt Ince ab. Und er sieht den Platz der Türkei in der Europäischen Union.
Sollte Ince tatsächlich gewählt werden, ist eine Erholungsrally an der Börse in Istanbul denkbar. Doch das ist eher unwahrscheinlich. Erdogan wird wohl weiter an der Macht bleiben. Ince aber könnte ihn in eine Stichwahl am 8. Juli zwingen. Für den auch "Sultan aus Ankara" genannten Erdogan wäre dies eine herbe Niederlage. Von seinem autoritären Kurs dürfte er dennoch nicht abweichen.
Investor-Info
DWS Türkei
Baisse am Bosporus
Dem Abwärtstrend kann Fondsmanager Sebastian Kahlfeld wenig entgegensetzen. Seit Jahresanfang verlor der DWS Türkei rund 32 Prozent. Im Portfolio sind Finanztitel wie Turkiye Garanti Bankasi und Akbank hoch gewichtet. Die aber stehen derzeit ganz oben auf der Verkaufsliste. Eine nachhaltige Kurswende zeichnet sich noch nicht ab. Auch wenn die Bewertungen günstig sind: Fonds, die ausschließlich auf türkische Werte setzen, sind derzeit noch zu riskant.
Schroder ISF Fund Middle East
Türkische Titel im Portfolio
Der Fonds eignet sich für Anleger, die auf eine Erholung in Istanbul setzen, das Risiko dennoch durch Streuung reduzieren wollen. Türkische Titel sind mit 20 Prozent gewichtet. 21 Prozent der Mittel sind an der Börse in Riad investiert. In Erwartung einer Aufnahme in den MSCI Emerging Markets erfreuen sich diese Werte steigender Nachfrage. Der Rest entfällt auf Unternehmen aus den Vereinigten Emiraten, Kuwait, Katar und Ägypten.
BlackRock EM Local Currency
Erholungspotenzial
Die Anlageklasse Schwellenländeranleihen
in lokaler Währung steht derzeit wegen anziehender Zinsen in den USA unter Druck. Doch in vielen Emerging Markets ist der Aufschwung weiterhin intakt, die Währungen sollten sich erholen. Investoren mit längerem Anlagehorizont bleiben daher investiert. Unter anderem sind neben mexikanischen und indonesischen Staatsanleihen türkische Lira- Anleihen mit sieben Prozent gewichtet.
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