Euro am Sonntag-Ausland

Türkei-Krise: Erdogan bricht die Währung weg

22.08.18 15:00 Uhr

Türkei-Krise: Erdogan bricht die Währung weg | finanzen.net

Der Wert der Lira fällt massiv - mit Folgen für Devisen, Anleihen und Aktien weltweit. Experten schätzen die Ansteckungsgefahr für andere Länder aber als gering ein.

von Thomas Strohm, Euro am Sonntag

Das Vertrauen ist weg - und was der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt und macht, ist kaum geeignet, um das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen. Im Gegenteil. Den Verfall der Lira verstärkte Erdogan zuletzt noch mit Sätzen wie: "Wenn sie ihre Dollars haben, haben wir unseren Gott!"



Die Türkei-Krise zog schnell Kreise. Sichere Häfen wie Dollar, Franken und Yen waren gefragt, die Währungen von Schwellenländern verloren teils massiv. Italienische und griechische Staatsanleihen wurden abgestoßen, ausfallsichere Bundesanleihen und US-Staatsanleihen gekauft. Aktien gerieten unter Druck, vor allem die Titel europäischer Banken. Die ersten Reaktionen an den Devisen-, Aktien- und Anleihemärkten dürften überzogen sein, sie verdeutlichen aber die wachsende Nervosität der Investoren angesichts der Vielzahl von Unsicherheiten weltweit - und eines US-­Präsidenten, der dazu neigt, Konflikte eher anzuheizen als sie zu lösen.

Denn auch wenn die Ursachen in der Türkei liegen, der Auslöser für den Lira-­Absturz war letztlich Donald Trump. Anfang August verhängte er Sanktionen gegen zwei türkische Minister, weil das Land - übrigens schon seit 2016 - einen US-Pastor wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten festhält. Als die Lira daraufhin deutlich abwertete, verstärkte Trump den Verfall noch, indem er die Strafzölle auf Aluminium und Stahl für die Türkei verdoppelte. In der Trump’schen Welt soll sich schließlich kein Land mithilfe einer schwächeren Währung seinen Strafzöllen entziehen können. Erdogan reagierte seinerseits mit Sanktionen für US-Minister und Strafzöllen für US-Waren. Er forderte die Bürger auf, Dollar in Lira zu tauschen, um den Verfall aufzuhalten, und Produkte wie das iPhone zu boykottieren. Der Streit hat sich hochgeschaukelt, eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung scheint nicht in Sicht.

Abhängigkeit der Notenbank

Die Ursachen sind indes in der Türkei zu finden. Ökonomen weisen darauf hin, dass die Abwertung der Lira 2007 begonnen hat, als die Türkei den Reformkurs verließ. Massiv beschleunigt hat sich der Verfall wegen des auf Erdogan zugeschnittenen Präsidialsystems, dessen Einführung mit den Wahlen Ende Juni dieses Jahres abgeschlossen wurde.

Als Finanzminister installierte Erdogan seinen Schwiegersohn Berat Albayrak, der am Donnerstag versuchte, die Investoren zu beruhigen. Kapitalverkehrskontrollen schloss er aus, ebenso einen Hilfsantrag beim IWF. Sorge bereitet vor allem die Unabhängigkeit der Notenbank. Diese hatte den Leitzins im Juli trotz hoher Inflationsraten unverändert gelassen - offensichtlich unter dem Druck des Präsidenten. In der Erdo­gan’schen Welt sorgen hohe Zinsen für hohe Inflation, laut gängiger Meinung ist es umgekehrt: Mit höheren Zinsen kann einer steigenden Inflation entgegengewirkt werden. Höhere Zinsen bremsen allerdings auch das Wirtschaftswachstum. Das will Erdogan verhindern.



Das Bruttoinlandsprodukt ist 2017 um 7,4 Prozent gewachsen - angetrieben nicht zuletzt vom Kapital ausländischer Investoren, die Erdogan nun zunehmend verschreckt. Dabei ist das Land auch in den kommenden Jahren auf Geld aus dem Ausland angewiesen, in einem so hohen Maße wie kein anderes Schwellenland.

Die Emerging Markets sind nach Ansicht vieler Experten zu Unrecht in Sippenhaft genommen worden, einige Anlagestrategen sehen nun sogar Kaufgelegenheiten. "Die Probleme der Türkei sind länderspezifisch, es ist eher unwahrscheinlich, dass daraus echte Probleme für andere Schwellenländer resultieren", sagt Kim Catechis, Fondsmanager bei der Legg-Mason-Tochter Martin Currie. Die Bewertungen spiegelten dieses allzu negative Szenario allerdings wider. "Weshalb wir jetzt einen guten Einstiegszeitpunkt für Schwellenländer erleben dürften - die Türkei natürlich ausgenommen", so Catechis.

In die Euro-Peripherieländer strahlte der Lira-Verfall ebenso aus - die Kurse von griechischen, aber auch von italienischen Staatsanleihen gerieten unter Druck, spiegelbildlich stiegen ihre Renditen. "Anleger gewichten politische Risiken deutlich stärker und haben Befürchtungen, dass wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen in Rom das Land ebenfalls in Schieflage bringen könnten", sagt DZ-Bank-Analyst Daniel Lenz.

Wenig hilfreich ist es da, wenn die mitregierende Lega-­Partei von der EZB fordert, die Euroländer vor Spekulationen zu schützen, und verlangt, der Risikoaufschlag von Staatsanleihen zu Bundesanleihen solle auf 1,5 Prozentpunkte begrenzt werden. Den Einsturz einer Brücke in Genua wiederum brachte die Regierung in Rom in Zusammenhang mit den Sparvorgaben der EU, die Menschenleben in Gefahr bringen könnten.

Zusätzlich belastet wurde Italien davon, dass die Banken des Landes hinter spanischen und französischen Instituten am stärksten in der Türkei engagiert sind. Folgt auf die Lira- eine Wirtschaftskrise und Pleitewelle, wären sie davon betroffen. "Die absolute Höhe der Türkei-Engagements erscheint uns als zu gering, um die in den vergangenen Jahren gestärkte Kapitalbasis der europäischen Banken ernsthaft unter Druck zu bringen", sagt LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Der Stoxx 600 Banks Index, der Bankaktien aus Europa bündelt, sackte dennoch ab. Auch für die meisten anderen internationalen Unternehmen sei der Beitrag des Türkei-Geschäfts und damit das Risiko überschaubar, meint Burkert. Jedenfalls solange die Türkei nicht die Weltkonjunktur anstecke - womit aber kaum ein Experte rechnet.

Bittere Pillen für den Präsidenten

Erdogan wird früher oder später umlenken müssen, bevor eine Rezession seine Beliebtheit im Land in Gefahr bringen könnte. Eine für ihn bittere Pille wäre, die Wirtschaftspolitik zu ändern und den Notenbankern freie Hand zu lassen. Eine noch bitterere Pille wäre die Bitte um Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF). Diese hat die Türkei in der Vergangenheit schon des Öfteren in Anspruch nehmen müssen, erst 2013 hat das Land die letzte Rate zurückgezahlt und war zum ersten Mal seit 1961 ohne Schulden beim IWF.

Da es das Geld des Währungsfonds nur mit strengen Auflagen gibt, würde Erdogan wohl lieber darauf verzichten. Zudem könnten die USA den IWF drängen, die Hilfe zu verweigern. Da kommen die 15 Milliarden Dollar, die Katar in der Türkei investieren will, gerade recht. Allein damit wird Erdogan die Krise aber kaum meistern können.

Investor-Info

Emerging Markets
Ausländisches Kapital

Die Lage der Türkei ist kaum mit der Situation anderer Schwellenländer vergleichbar. "Es gibt in vielen Ländern großen Finanzierungs­bedarf", sagt Fondsmanagerin Maya Bhandari von Columbia Threadneedle. Die Türkei steche aber mit kurzfristigen, externen Schulden her­vor, mit denen das Land sein breites Bilanz­defizit finanziere, während es gleichzeitig an der extrem lockeren Geldpolitik festhalte.

Candriam Equities Em. Mkts.
Chance in Schwellenländern

Fondsmanager Jan Boudewijns investiert breit gestreut in Aktien von Unternehmen aus Emerging Markets. Die zehn Länder mit dem größten Anteil reichen von China mit 40 und Korea mit 16 Prozent bis Polen und Indonesien mit je zwei Prozent, die Türkei ist nicht darunter. Zuletzt hat auch dieser Fonds eingebüßt, auf längere Sicht gehört er zu den Top-Fonds der Kategorie mit einem Plus von im Schnitt fünf Prozent per annum binnen zehn Jahren.




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