Interview: Das große Bild
Die Finanzkrise hat gefährliche Fliehkräfte in Europa entfacht. Die Politik bleibt gefordert - etwa darin, ihren Bürgern Europa wieder schmackhaft zu machen.
"Europa braucht sich nicht zu verstecken, muss sich aber weiterentwickeln."
Herr Wöhrmann, zusammen mit Japan hat sich die Eurozone am langsamsten von der Finanzkrise erholt. 2014 lag das Bruttoinlandsprodukt immer noch unter dem Stand von 2008. Hat Europa ausgedient?
Auf keinen Fall. Natürlich wurde Europa wirtschaftlich um Jahre zurückgeworfen. Insbesondere der Eurozone wurden durch die Krise ihre Geburtsfehler vor Augen geführt. Doch man sollte auch das Positive sehen. Die Politik wurde erst durch die Krise zum Handeln ermutigt, was uns etwa Bankenunion, gemeinsame Regulierung, institutionalisierte Rettungsmechanismen und nicht zuletzt die überfällige Diskussion über notwendige Strukturreformen bescherte. Es ist zum Glück nicht immer nur bei Diskussionen geblieben. Die Baltischen Staaten, Irland, Portugal und Spanien etwa haben schon einiges erreicht. Auch aus Italien kommen ermutigende Signale. Wir rechnen für das laufende Jahr in der Eurozone mit einem Wachstum von 1,3%; das ist kein Krisenmodus mehr
Warum ist es dennoch zu früh zum Entspannen?
Rückblickend muss man sagen, dass vor allem in den Peripherieländern der Ernst der Lage und die Dringlichkeit des Handelns unterschätzt wurden. Dadurch wurde so viel Zeit verloren, dass letztlich die EZB über verschiedene geldpolitische Maßnahmen diese wieder kaufen musste. Wir wissen nicht, wie Europa ohne diese Interventionen heute dastehen würde, was man bei aller Kritik an der Zentralbankpolitik nie vergessen sollte. Aber, und die EZB betont das auch immer wieder, die nachhaltige Genesung der Eurozone kann nur auf politischer Arbeit fußen. Allerdings ist die Versuchung für alle Staaten groß, den Reformeifer zu zügeln, wenn die disziplinierende Wirkung der Kapitalmärkte in Form risikoadäquater Staatsanleihezinsen fast gänzlich entfällt. Das verleitet nicht nur die Sorgenländer zu weniger Disziplin. Auch im angeblichen Musterland Deutschland verteilt die Regierung wieder Geschenke, die in keiner Weise dazu geeignet sind, der künftigen Herausforderungen Herr zu werden.
Wo sehen Sie weitere politische Probleme?
Das größte sehe ich darin, dass die Krise in auf Vertrauen basierenden Gebilden wie der Eurozone und der EU Fliehkräfte entfaltet, die von politischen Stimmenfängern aufgenommen und verstärkt werden. Die Erfolge populistischer Parteien finde ich erschreckend. Egal ob links- oder rechtsradikal, diese Parteien eint ihre destruktive Haltung gegenüber der europäischen Idee. Frustrierte Bürger lassen sich leichter von einer Bewegung anstecken, die gegen und nicht für eine Sache kämpft. Leider hat das Beispiel Griechenland gezeigt, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass diese populistischen Parteien sich in Regierungsverantwortung vernünftiger verhalten.
Gibt es weitere Parallelen zwischen Griechenland und der Eurozone?
In Griechenland verdichten sich die Herausforderungen Europas. Ich will dafür drei Beispiele anreißen: Der Versuchung, die Ursachen für das eigene Ungemach nicht bei sich, sondern bei äußeren Umständen zu suchen, erliegen nicht nur die Griechen, wie allein der Erfolg populistischer Parteien in Europa zeigt. Ebenso ist der Wunsch, zur Problemlösung die Abkürzung statt des steinigen langen Wegs zu gehen, kein exklusiv griechischer. Eine weitere Gemeinsamkeit, und in meinen Augen eine der größten Herausforderungen Griechenlands und Europas: Beide sind an einem Punkt angelangt, an dem sie mutige, langfristig denkende Politiker brauchen, die bereit sind, ihre eigene Karriere für das längerfristig Notwendige zu riskieren. Die dafür kämpfen, ihren Bürgern das gemeinsame Projekt Europa wieder schmackhaft zu machen, anstatt diese Idee für ein paar schnelle Stimmen zu opfern. Und die auch nicht davor zurückschrecken, ihren Wählern zu sagen, welche Hürden sie auf diesem Weg noch zu bewältigen haben. Letzteres muss in Griechenland angesichts der angespannten Liquiditätslage jetzt passieren. Solange Griechenland keinen reinen Tisch macht und seine Verantwortung an der eigenen Lage anerkennt, und solange es daraus nicht die notwendigen Konsequenzen zieht, sind alle Hilfspakete umsonst. Aber auch die vormals als Troika
bekannten Institutionen müssen dazulernen. Die Ausgabenkürzungen derart gegenüber den Strukturreformen zu priorisieren war ein Fehler. Griechenlands Schulden sind das kleinere Problem, die Strukturen und die damit verbundene Wettbewerbsfähigkeit sind das eigentliche. Um diese zu verbessern, müssen die Institutionen einen klaren Entwicklungsplan - der Hilfe zur Selbsthilfe einbezieht - vorlegen, dessen Einhaltung sie auch rigoros überwachen. Die Institutionen müssen sich der politischen Dimension ihrer Aufgabe bewusster werden.
Was muss in der Eurozone noch passieren?
Naja, sie hat zwar auf die Krise reagiert, aber eigentlich stehen wir auf einem ad-hoc zusammengenähten Flickenteppich. So profitieren die Euro-Länder zwar von einem quasi-gemeinschaftlichen Zinssatz und wir sind de facto bereits einer Gemeinschaftshaftung für die Staatsschulden sehr nah. Aber der formale Rahmen fehlt noch und die Länder bleiben in ihrer Fiskalpolitik autonom. Das ist keine Dauerlösung, an der Fiskalunion führt theoretisch kein Weg vorbei.
Woran muss darüber hinaus die Europäische Union arbeiten?
Obwohl die Menschen täglich von den Vorteilen der Union profitieren, fehlt ihnen eine rationale - emotionale sowieso - Bindung zu Europa. Die Institutionen der EU werden als anonyme Bürokratiemonster wahrgenommen. Es fehlt ein demokratisch legitimiertes, aber auch handlungsfähiges Organ im Herzen dieser Institutionen, das von einer Europa-bewährten Persönlichkeit von internationalem Statut geführt wird. Derzeit füllt am ehesten noch Mario Draghi dieses Vakuum. Dass er aber, ohne entsprechendes Mandat, Aufgaben der Politik übernehmen muss, ist langfristig nicht tragbar.
Was heißt das alles für Europas Stellung in der Welt?
Europa hat keinen Grund, sich zu verstecken. Es sollte sich um seiner selbst willen weiterentwickeln und nicht aus Angst vor Konkurrenz aus Übersee. Die anderen Länder haben ebenso Probleme. Teils größere als Europa, darüber können auch höhere Wachstumszahlen nicht hinwegtäuschen.
Asoka Wöhrmann: Europa darf nicht nur reagieren
Die Finanzkrise hat Europa bereits zu einigen Reformen gezwungen, insbesondere die Staaten der Eurozone. Trotz aller Fortschritte bleibt die Politik gefordert, sich nicht auf der Schützenhilfe der EZB auszuruhen. Den am Erfolg populistischer Parteien erkennbaren Fliehkräften muss mit einer neu entfachten Begeisterung für die europäische Idee begegnet werden. Dazu gehört auch, in Griechenland wie im Rest Europas, den Bürgern nichts vorzumachen.
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Deutsche Asset & Wealth Management
Mit 923 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen (Stand 31. Dezember 2013) ist Deutsche Asset & Wealth Management¹ einer der führenden Vermögensverwalter weltweit. Deutsche Asset & Wealth Management bietet Privatanlegern und Institutionen weltweit eine breite Palette an traditionellen und alternativen Investmentlösungen über alle Anlageklassen. Deutsche Asset & Wealth Management steht zudem für maßgeschneiderte Wealth Management-Lösungen und eine ganzheitliche Betreuung wohlhabender Privatanleger und Family Offices.
¹ Deutsche Asset & Wealth Management ist der Markenname für den Asset-Management- und Wealth-Management-Geschäftsbereich der Deutsche Bank AG und ihrer Tochtergesellschaften. Die jeweils verantwortlichen rechtlichen Einheiten, die Kunden Produkte oder Dienstleistungen der Deutsche Asset & Wealth Management anbieten, werden in den entsprechenden Verträgen, Verkaufsunterlagen oder sonstigen Produktinformationen benannt.
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Mit 160 Milliarden Euro betreutem Kundenvermögen ist DWS Investments im Publikumsfondsgeschäft Marktführer in Deutschland*. 1956 gegründet, ist DWS Investments heute integraler Bestandteil der Deutschen Asset & Wealth Management, die weltweit fast eine Billion Euro** treuhänderisch für ihre Kunden verwaltet und eine der vier strategischen Säulen der Deutschen Bank ist.
Als aktiver Vermögensverwalter ermöglicht die DWS Kunden den Zugang zu einer umfassenden Palette an Anlageprodukten. Mehr als 500 Research- und Investment-Experten weltweit identifizieren Markttrends und setzen diese zum Nutzen unserer Anleger um. Führende Positionen in Rankings unabhängiger Ratingagenturen und Auszeichnungen belegen unseren Erfolg, die überdurchschnittliche Performance der DWS-Produkte und den herausragenden Service.
*Quelle: BVI, Stand 31. Mai 2013, inkl. DB-Produkte
**Stand: 30. Juni 2013
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*Quelle: BVI, Stand 31. Mai 2013, inkl. DB-Produkte
**Stand: 30. Juni 2013