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Das große Bild

29.02.16 09:36 Uhr

Das große Bild | finanzen.net

An den Kapitalmärkten grassieren Konjunkturangst sowie Sorgen um systemische Risiken. Beides ist ebenso berechtigt wie übertrieben.

"Die Lage ist besser als die Stimmung. Sofern diese nicht auf die Lage schlägt. "

Herr Kreuzkamp, die Kurseinbrüche zu Jahresbeginn erreichen historische Dimensionen. Nimmt man Börsen als Prognosevehikel - steht die Weltwirtschaft vor einer Rezession?

Kreuzkamp: Das glauben wir nicht. Der Aufschwung in den Industrieländern ist allerdings im historischen Kontext so mäßig, dass sich beinah jede Konjunkturzahl auch negativ als Wendepunkt lesen lässt.

Das reicht, um diesen katastrophalen Jahresstart zu erklären?

Kreuzkamp: Nein. Eine Häufung negativer Entwicklungen hat zur gestiegenen Risikosensibilität der Anleger geführt: Die Turbulenzen am chinesischen Aktien- und Devisenmarkt, Spannungen im Nahen Osten, politische Verwerfungen in Europa. Dazu der andauernde Preisverfall von Öl, der auch wesentlich zur Spreadausweitung der Hochzinsanleihen beigetragen hat.

Einige dieser Faktoren begleiten uns aber schon einige Monate.

Kreuzkamp: Richtig. Aber dieses Jahr nahmen, Arbeitsmarktstärke hin oder her, die Sorgen um das US-Wirtschaftswachstum zu. Immer mehr Schätzungen liegen unter zwei Prozent für 2016, was meines Erachtens realistisch ist. Dazu die Unsicherheit über Chinas Wirtschaft, und schon landen wir bei globalen Rezessionsängsten - Gift für die Märkte. Ebenso wie der Einbruch der Bankentitel weltweit. Das ist einerseits der Konjunktursensitivität der Banken geschuldet, andererseits machen sich aber auch konkrete Sorgen um die Ertrags- und Bilanzstärke einiger Institute breit.

Zum Glück helfen uns die Zentralbanken wieder aus der Patsche.

Nolting: Daran dürften jetzt die Märkte zu zweifeln beginnen. Die Fed hat ihren Zinserhöhungszyklus gerade erst eingeleitet, sie wird so schnell keine Kehrtwende machen, sondern höchstens die weiteren Zinsschritte verschieben wollen. Japans Zentralbank hat im Januar erstmals negative Einlagenzinsen eingeführt und im Ergebnis wurden Bankaktien abverkauft, gleiches geschah im Februar in Schweden. Vor diesem Dilemma steht auch die Europäische Zentralbank (EZB), sollte sie den Einlagenzins weiter senken. Angesichts der bereits vollzogenen Kurseinbrüche wird sie genau überlegen müssen, ob sie eines der Kerngeschäftsfelder der Banken weiter aushöhlen möchte. Allerdings glauben wir, dass die EZB innerhalb ihres Mandats trotz allem genug angemessene Mittel hat, um die Lage in den Griff zu bekommen.

Also alles in Kasse und Gold?

Nolting: Nicht auf mittlere Sicht. Wir haben immer betont, dass in der Spätphase des Konjunkturzyklus mit erhöhter Volatilität an den Kapitalmärkten zu rechnen ist. Natürlich müssen wir jetzt genau beobachten, inwieweit die Marktverwerfungen auf die Realwirtschaft abfärben, etwa über die Verschlechterung der Finanzierungskonditionen. Aber insgesamt bleibt unser Makrobild konstruktiv, die Weltwirtschaft wird 2016 mit über drei Prozent ähnlich stabil wachsen wie 2015. Was wir sicherlich noch sehen müssen, ist eine größere Konsumbereitschaft der US-Verbraucher, bei denen die Einsparungen durch das billige Öl sowie die besser gefüllten Lohntüten derzeit vor allem die Sparquote erhöhen. Sollte sich zur Kauflaune eine Stabilisierung der Rohstoffpreise sowie belastbare Anzeichen aus China gesellen, dass die dortige Umwandlung des Wirtschaftsmodells das Wachstum nicht deutlich unter 6 Prozent drückt, könnten sich die Märkte wieder erholen.

Was heißt das für den Investor?

Kreuzkamp: Unserer Meinung nach ist die Stimmung schlechter als die Lage. Wir bleiben vorsichtig optimistisch, erwarten mittelfristig also keine zweistelligen Renditen mehr. Gleichzeitig sehen wir die größten Chancen bei einzelnen Sektoren und Titeln. Den richtigen Einstiegszeitpunkt zu treffen ist schwer, doch die hohen Handelsvolumina im Februar lassen hoffen, dass wir den Ausverkauf bei Aktien gesehen haben. Auch bei Unternehmensanleihen sehen wir in einigen Bereichen Übertreibungen, hier werden höhere Ausfallraten eingepreist als von uns erwartet. Und schließlich glauben wir auch, dass man selektiv im Immobilienmarkt Schutz und Rendite suchen kann.
Kurzum: Nach den Kurseinbrüchen dieses Jahr sollte man, selbst auf Basis eines negativeren Makroszenarios, mit sorgfältiger Titelselektion einiges erreichen können.

Also doch wieder nur ein Marktrücksetzer, der zum Einstieg einlädt?

Kreuzkamp: Ich warne davor, sich zu viel Erkenntnisgewinn durch Zyklenvergleich zu versprechen. Oder auf Basis historischer Mittel die Wahrscheinlichkeit der nächsten Rezession oder Baisse vorherzusagen. Dafür sind die Zyklen zu unterschiedlich. Der aktuelle zeichnet sich ja nicht nur durch das "lower for longer" aus, sondern auch durch zweifaches Neuland: Die konjunkturelle Abschwächung eines mittlerweile wirtschaftlichen Riesen im Umbauprozess, der eine rasant gestiegene Verschuldung aufweist, also China. Und dann den Ausstieg - ob teils oder nur vermeintlich - aus der Ära unkonventioneller Geldpolitik. Die Nebenwirkungen des billigen Geldes tauchen jetzt überall auf.

Wo denn noch?

Nolting: Wenn etwa ein weiteres Absinken des Ölpreises automatisch über alle Sektoren und Regionen negativ interpretiert wird, oder etwa ein Index wie der deutsche Dax, der keine Ölfirmen aber ungemein viele Profiteure billigen Öls enthält, positiv mit dem Ölpreis korreliert, sind dies weitere Nebenwirkungen. Dabei, und das sollten Anleger nicht vergessen, ist ein niedriger Ölpreis trotz kurzfristigen Disruptionspotenzials ein Segen für den Großteil der Volkswirtschaften und Unternehmen. Und dies ist nur einer der positiven Faktoren, die der Markt in der aktuellen Phase übersieht, in der Negativnachrichten überwiegen und damit zu Kursrücksetzern führen.

Christian Nolting, Global Chief Investment Officer für Deutsche Bank Wealth Management

Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer für Deutsche Asset Management

Gemeinsame andere Sache machen

*Die ungewöhnliche Form des Doppelinterviews in dieser Ausgabe ist der jüngst vollzogenen Abspaltung des Wealth Managements vom Asset Management der Deutschen Bank geschuldet. Dies ändert einiges, aber nicht alles. So werden sich auch in Zukunft beide Segmente bei der Formulierung eines globalen Konjunktur- und Kapitalmarktbildes sowie der Ausarbeitung der Anlagestrategie gegenseitig befruchten.

Mit 160 Milliarden Euro betreutem Kundenvermögen ist DWS Investments im Publikumsfondsgeschäft Marktführer in Deutschland*. 1956 gegründet, ist DWS Investments heute integraler Bestandteil der Deutschen Asset & Wealth Management, die weltweit fast eine Billion Euro** treuhänderisch für ihre Kunden verwaltet und eine der vier strategischen Säulen der Deutschen Bank ist.

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*Quelle: BVI, Stand 31. Mai 2013, inkl. DB-Produkte

**Stand: 30. Juni 2013