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Belastungsfaktor Brexit

30.08.16 10:29 Uhr

Belastungsfaktor Brexit | finanzen.net

Der Ausgang des Referendums sorgt für mehr Unsicherheit in Europa. Das Wachstumstempo dürfte sich in Großbritannien und der Eurozone abschwächen.

In seinem 1921 erschienenen Buch "Risk, Uncertainty and Profit" unterschied der US-Ökonom und Pionier der Risikoforschung Frank Hyneman Knight zwischen Risiken, denen exakte Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können, und Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten nur schwer abgeschätzt werden können. Der Brexit zeigt, dass Knights Überlegungen weiterhin aktuell sind.

Vor der Abstimmung ließ so manche Umfrage ein Brexit als eher unwahrscheinlich erscheinen. Der Brexit-Entscheid war daher eine Überraschung. Noch überraschender war aber, dass die politische Führung in London auf so einen Ausgang unvorbereitet war. Wann und wie genau der Austritts aus der Europäischen Union (EU) erfolgen soll, ist nach wie vor unklar. Großbritannien sieht sich nun mit Ungewissheiten konfrontiert, denen sie keine Wahrscheinlichkeiten zuordnen kann.

Bisher leitete die neue Premierministerin Theresa May nicht den Austritt des Landes aus der EU ein. Stattdessen erklärte die Führung des Landes, dass zuerst das Verhältnis von Großbritannien zur EU nach dem Austritt geklärt werden muss. Die Vertreter der EU wollen dagegen die Verhandlungen erst nach der Austrittserklärung starten. Damit ist noch nicht einmal geklärt, ob es zum Austritt kommt.

Was bleibt, ist Ungewissheit. Und diese Ungewissheit hat negative wirtschaftliche Folgen. Investoren und Konsumenten reagieren darauf mit einer Reduzierung ihrer Ausgaben. Und diese kann man zwar nicht exakt, aber in etwa, quantifizieren. Wir erwarten, dass sich das Wirtschaftswachstum Großbritanniens im kommenden Jahr auf 0,8 Prozent abschwächt. Dies dürfte zu einem Rückgang der Importe führen. Die Eurozone wird als wichtigster Handelspartner davon am stärksten betroffen sein. Zwar gibt es inzwischen erste Anzeichen einer Erholung, etwa bei der Kreditnachfrage. Das Wachstum in der gemeinsamen Währungszone dürfte sich durch das Brexit-Votum aber - gemessen an unseren Vorhersagen kurz vor dem Referendum - um 0,3 Prozentpunkte auf 1,2 Prozent im kommenden Jahr abschwächen.

Länder mit geringeren Verflechtungen zu Großbritannien beim Handel von Gütern und Dienstleistungen dürften dagegen kaum vom Brexit-Referendum tangiert werden. Unsere US-Wachstumsprognose von zwei Prozent für 2017 haben wir beibehalten. Die Wachstumsprognosen für Japan und die Schwellenländer, die wir Mitte Juni berechnet haben, haben wir ebenfalls nicht verändert.

Von den Notenbanken wird der Brexit-Entscheid als Belastungsfaktor gesehen. Sie sehen sich in der Pflicht, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Votums abzumildern. Die US-Notenbank wird vermutlich nur noch maximal zwei moderate Leitzins erhöhungen von jeweils 25 Basispunkten bis Mitte 2017 durchführen. Und die Diskussionen, ob die Europäische Zentralbank (EZB) im Frühjahr 2017 mit der Drosselung des Volumens ihrer Anleihen-Ankaufsprogramme (Tapering ) beginnt, sind im Moment verstummt. Die weiterhin lockere Geldpolitik dürfte auch zu einer Beruhigung an den Kapitalmärkten beitragen.

Um stärkere wirtschaftliche Rückschläge in Großbritannien abzumildern, dürfte die Bank of England (BoE) wieder zu dem Kreis der Notenbanken mit laufendem Quantitative Easing (QE) hinzustoßen. Zudem dürfte sie in diesem Fall ihren Leitzins um 25 Basispunkte senken, auf ein Jahr rechnen wir mit einem weiteren Zinsschritt, der zu einem Leitzins von 0,1% führen sollte. Ihr erstes Aufkaufprogramm endete im Oktober 2012 nach dem Erwerb von Wertpapieren im Wert von 375 Milliarden Pfund. Die Bank of Japan (BOJ) macht weiterhin QE - allerdings nicht wegen des Brexit-Referendums. Das sehr magere Wirtschaftswachstum verbunden mit einer Inflationsrate nahe der Nulllinie bereiten Japans Zentralbank Sorgen. Das dürfte dazu führen, dass die BOJ ihr Wertpapierkaufprogramm ausdehnt und die Zinsen weiter drückt.

Gewinner der aktuellen Entwicklung könnten die Schwellenländer sein. Die dortigen Unternehmen und Regierungen haben das Niedrigzinsumfeld genutzt und ihre Schulden seit 2007 deutlich ausgedehnt. Mit dem Schuldenanstieg hat die Abhängigkeit von der Geldpolitik in den Industrieländern, insbesondere gegenüber der Geldpolitik in den USA, zugenommen. Die Verschiebung der US-Leitzinserhöhungen nach hinten sorgt entsprechend für eine Entlastung. Rohstoffexportierenden Schwellenländer wie Brasilien und Russland profitieren zudem vom Anstieg der Rohstoffpreise. Beide Länder dürften nach einer Rezessionsphase 2017 wieder um ein Prozent wachsen.

Chinas politische Führung setzte in den Vorjahren auf kreditfinanzierte Investitionen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Dies führte in verschiedenen Branchen zu Überkapazitäten und einem Anstieg der Problemkredite. Damit steigt der Druck auf die Regierung in Peking, Strukturreformen einzuleiten. Der Blick auf Indien zeigt, dass wirtschaftliche Restrukturierungen und marktwirtschaftliche Reformen lohnen. Für 2017 erwarten wir für Indien eine Wachstumsbeschleunigung um 0,3 Prozentpunkte auf 7,8 Prozentpunkte, für China eine Wachstumsabschwächung um 0,3 Prozentpunkte auf sechs Prozent.

Unsere Prognosen

Die Weltwirtschaft befindet sich weiterhin auf einem solidem Wachstumspfad. Nach einem schwachen Jahresauftakt nimmt die US-Wirtschaft an Fahrt auf.

Das Jahr 2016 entwickelt sich politisch turbulent. In Großbritannien stimmte das Volk für den Brexit. In Spanien gestaltet sich die Regierungsbildung weiterhin schwierig. Am 8. November steht zudem die US-Präsidentschaftswahl an. Wir gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft trotz der politischen Unsicherheit stabil entwickelt. Unsere globale Wachstumsprognose für 2017 haben wir allerdings im zweiten Quartal um 20 Basispunkte auf 3,4 Prozent gesenkt. Verursacher der wirtschaftlichen Eintrübung ist Europa. Neben der Politik belastet auch die zu geringe Kapitaldeckung in Italiens Bankensektor die Eurozone. Offen ist, ob dabei private Gläubiger zur Kasse gebeten werdenes zu einem Bail in kommt. Der Anstieg der Target2 -Salden ist ein Zeichen, dass die Unsicherheit in der Eurozone noch nicht abgebaut ist.

Rohstoffe

Im Januar 2016 endete am Rohstoffmarkt eine rasante Talfahrt, die Mitte 2014 begann. Auftrieb erhielt der Markt von Energierohstoffen und von Edelmetallen. Der Preis für Erdöl (WTI) legte seit dem Jahrestief am 20. Januar um rund 85 Prozent zu (Stand: 29.06.2016). Gründe dafür sind die stark rückläufige US-Ölproduktion und eine steigende globale Ölnachfrage. Abgemildert wurde der Preisanstieg durch eine Produktionsausweitung im Iran. Wir erwarten einen nur noch moderaten Ölpreisanstieg bis Mitte 2017. Gold war ebenfalls im ersten Halbjahr gefragt. Ein Grund dafür ist die wachsende politische Unsicherheit. Das Brexit-Votum sorgte für einen weiteren Kurssprung. Die Investoren reagierten damit darauf, dass die Fed vermutlich ihre Leitzinserhöhungen nach hinten verschiebt und die EZB ihre ultralockere Geldpolitik länger als erwartet beibehält.

Zukunftsgerichtete Erklärungen beinhalten wesentliche Elemente subjektiver Beurteilungen und Analysen sowie deren Veränderungen und/oder die Berücksichtigung verschiedener, zusätzlicher Faktoren, die eine materielle Auswirkung auf die genannten Ergebnisse haben könnten. Wertentwicklungen in der Vergangenheit sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Wertentwicklungen. Es kann keine Gewähr übernommen werden, dass Anlageziele erreicht oder Ertragserwartungen erfüllt werden. Prognosen basieren auf Annahmen, Schätzungen, Ansichten und hypothetischen Modellen oder Analysen, die sich als falsch herausstellen können. Deutsche Asset Management Investment GmbH; Stand: 18.07.2016

1 Quelle: Deutsche Asset Management Investment GmbH; Stand: 26.07.2016
2 Kernrate private Konsumausgaben (PCE), Dez/Dez in %
3 Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 26.07.2016

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*Quelle: BVI, Stand 31. Mai 2013, inkl. DB-Produkte

**Stand: 30. Juni 2013

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