Schwellenländer

Lateinamerika: Wachstum im Verborgenen

18.08.10 05:34 Uhr

Alle Anleger schauen immer nur auf Brasilien. Dabei boomen viele Nachbarländer in Südamerika ebenfalls. Wo das Wachstum am stärksten ist, wie Anleger profitieren.

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von Julia Groß, €uro am Sonntag

Vermutlich hatte sich Sebastian Pinera das alles etwas anders vorgestellt, als er Anfang des Jahres zum Präsidenten von Chile gewählt wurde. Statt einer ruhigen Präsidentschaft zum Ausklang seiner Karriere bekam es der 60-jährige Milliardär zum Amtsantritt mit einer der schlimmsten Naturkatastrophen der jüngeren Geschichte zu tun: Ein Erdbeben der Rekordstärke 8,8 kostete rund 500 Chilenen das Leben und verursachte einen Schaden von rund 30 Milliarden Dollar.

In Popularitätsratings ist Pinera seitdem abgestürzt, Umfragen kürten ihn im Juli zum unbeliebtesten neuen Präsidenten seit rund 20 Jahren. Zur Begründung heißt es, ihm mangle es an Charisma. Denn an der Performance kann der schlechte Ruf eigentlich nicht liegen. „Wie sich Chiles Wirtschaft nach dem Erdbeben erholt hat, ist wirklich verblüffend“, sagt Will Landers, Portfoliomanager der BlackRock-Lateinamerika-Fonds. Konjunkturexperten erwarten, dass der Andenstaat trotz Erdbeben bis 2013 ein jährliches Wachstum von sechs Prozent erreichen wird und ­Pinera seine Zusage, pro Jahr 200 000 neue Jobs zu schaffen, einhalten kann.
Die chilenische Zentralbank erhöhte die Leitzinsen im Juli bereits den zweiten Monat in Folge auf nunmehr 1,5 Prozent, weil die Wirtschaft zuletzt so schnell gewachsen und die Inflation leicht gestiegen war. Von globaler Rezession keine Spur: „Die Auswirkungen der europäischen Kreditkrise auf Chiles Wachstum sind sehr, sehr begrenzt“, erklärt Finanzminister Felipe Larrain.

Chile ist kein Einzelfall. Zahlreiche lateinamerikanische Länder warten mit hohem Wachstum, mustergültigen Staatshaushalten und gesunden Unternehmen auf. Doch EmergingMarkets-Investoren konzentrieren sich meistens auf China und Indien, allenfalls Brasilien ist unter Anlegern noch präsent. Ein Fehler, meint Brett Diment, Investmentmanager für Schwellenländer bei dem britischen (und in London börsennotierten) Vermögensverwalter Aberdeen Asset Management. „Südamerikanische Länder sind solide, kontinuierliche Wachstumsmotoren. Und nachdem Brasilien in den vergangenen Jahren wirtschaftlich die Nase vorn hatte, könnten jetzt interessan­tere Anlagechancen in anderen Ländern Lateinamerikas warten.“ Tatsächlich stehen viele Staaten zwischen Amazonas und Anden weit besser da als so manche Industrie­nation.
„In der Vergangenheit schwankte Lateinamerika quasi regelmäßig zwischen Boom und Krise, was nicht gerade zum Vertrauen der Investoren beitrug“, sagt BlackRock-Manager Landers. „Aber seit einem Zeitraum von mindestens sechs Jahren sind die Fundamentaldaten stark, die Regierungen halten die ­Inflation unter Kontrolle – wenn es Störungen gab, dann kamen sie von außen.“ Tatsächlich liegen die Haushaltsdefizite vieler lateinamerikanischer Länder mit weniger als vier Prozent weit unter denen der USA oder mancher Eurostaaten. Auch die Verschuldung lateinamerikanischer Unternehmen ist gesunken, ihre Corporate-Governance-Standards sind hoch. „Die Dividenden sind dort zuletzt schneller gestiegen als in vielen anderen Schwellenmärkten und in den entwickelten Nationen“, sagt Aberdeen-Schwellenländerexperte Brett ­Diment.


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Die positive Entwicklung beruht nicht nur auf dem bekannten Reichtum an Öl, Gold oder Kupfer vieler lateinamerikanischer Länder. Längst ist der Binnenkonsum zu einer bedeutenden Größe geworden. Die Bevölkerung wächst schnell, der Anteil der Rentner ist niedrig – in Chile, Kolumbien oder Mexiko im einstelligen Prozentbereich. Zum Vergleich: 15 Prozent der Bewohner der Eurozone sind über 65 Jahre alt. Bei sinkenden Arbeitslosenzahlen wächst der Anteil des finanzstarken Mittelstands. Und der treibt mit seinem Bedürfnis nach Konsumgütern und dem eigenen Haus wiederum das Wirtschaftswachstum an. Schwellenländer-Guru Mark Mobius wird nicht müde, die größere Kaufkraft der inländischen Verbraucher in den Emerging Markets zu ­betonen, da dort mit 5,7 Milliarden Menschen weltweit mehr als viermal so viele Menschen leben wie in den Industrieländern.

Neben Handel und dem Baugeschäft profitieren vor allem Banken von dem Boom. In die Kreditverwicklungen der USA und Europa waren die Institute im lateinamerikani­schen Raum wenig bis gar nicht involviert. Tendenziell sind Finanzdienstleistungen, Kredit- und Hypothekenvergabe in den entsprechen­den Ländern noch lang nicht so flächendeckend verbreitet wie in den westlichen Industrienationen. Die aktuelle Situation – wachsender Wohlstand, niedrige Zinsen – sorgt hier für ideale Wachstumsbedingungen. „Gerade im Hypothekengeschäft gibt es noch reichlich Raum nach oben“, sagt Will Landers.
Speziell in Brasilien kommen zum privaten Hausbauboom noch riesige Infrastrukturprojekte für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 hinzu. Das größte Wachstum in Kombination mit den aussichtsreichsten Bedingungen für Anleger sieht Lionel Bernard, Fondsmanager des Amundi Latin America Equities, in Brasilien, Peru und Chile. Obwohl Brasilien nach wie vor den mit Abstand größten und am günstigsten bewerteten Markt bietet, erklären einzelne institutionelle Investoren wie Schroders und Prudential inzwischen, dass sie den Wachstumszenit dort überschritten sehen. Roberto Lampl von Baring Asset Management erwartet eine ­gewisse Unsicherheit aufgrund der Präsidentschaftswahlen im Oktober: Die favorisierte Kandidatin Dilma Rousseff könnte mehr Kontrolle über die Wirtschaft ausüben wollen als bisher.

Mark Mobius, der zu den führenden Köpfen bei dem Vermögensverwalter Templeton Asset Management gehört, befürchtet, dass die geplante 25 Milliarden Dollar schwere Kapital­erhöhung von Petrobras im September den Markt weiter nach unten drückt. Zumindest vorerst halten sich deshalb viele Institutionelle beim Aufbau neuer Positionen in ­Brasilien zurück – es gibt ja durchaus Alternativen. „Uns gefällt der chilenische Markt zusehends besser“, sagt BlackRock-Fondsmanager Will Landers. „Es ist ein recht kleiner, vor allem von Kupferproduzenten dominierter Markt, und die Kupferpreise sind hoch.“ Aufgrund eines starken Pensionsfondssystems, das einen Teil des Vermögens im Land investieren muss, waren chilenische Aktien lange Zeit deutlich teurer als die der Nachbarländer – doch die Bewertungsunterschiede haben sich in letzter Zeit relativiert.

Gute Chancen in Peru sieht dagegen Amundi-Fondsmanager Lionel Bernard: „Neben Brasilien halte ich Peru für den besten Ort, um von der Outperformance der Schwellenländer zu profitieren. Peru hat gesunde makroökonomische Daten, niedrige Zinsen, eine geringe öffentliche und private Verschuldung, eine starke Binnennachfrage, und nicht zuletzt nutzen der Wirtschaft die hohen Rohstoffpreise.“ Perus Wirtschaft ist im Mai um 9,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gewachsen, im Juni voraussichtlich um knapp zehn Prozent, erklärte der peruanische Zentralbankpräsident Julio Verlarde, der die endgültige Statistik kommende Woche veröffentlichen wird.

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Weniger optimistisch sehen Experten die Lage in Mexiko. Auch wenn der riesige Mobilfunkkonzern America Movil unter Führung des reichsten Manns der Welt, Carlos Slim Helu, in keinem Lateinamerika-Fonds fehlen darf, ist Mexiko insgesamt in der Gunst der Investoren weit nach unten gerutscht. „Mexiko ist zu sehr vom amerikanischen Markt abhängig, das ist für uns im Moment weniger interessant“, sagt Latein­amerika-Experte Will Landers.
Auch Lionel Bernard missfällt die enge Verzahnung der beiden Hauptindustriezweige – Öl und Autos – mit den USA, solange die US-Wirtschaft keine deutlicheren Erholungssignale sendet. „Dazu kommt, dass die mexikanischen Ölvorkommen zur Neige gehen und der Staat infolgedessen weniger Steuern einnimmt“, sagt Bernard. Auch der zunehmend eskalierende Drogenkrieg schreckt Anleger ab – ein gutes Investitionsklima und freundliche Bedingungen für private Konsumenten sehen anders aus.

Aus politischen Gründen meiden die meisten Investoren Venezuela und Bolivien. „In Venezuela hält der kürzlich wiedergewählte Präsident Hugo Chávez weiterhin an seiner populistischen, auf den riesigen Ölressourcen des Landes aufbauenden Politik fest, während ein großer Teil der Bevölkerung in Arbeitslosigkeit verharrt“, erklärt Brett Diment von Aberdeen. Inspiriert von Chávez, betreiben Länder wie Bolivien eine ähnliche Politik inklusive Verstaatlichungen. „Kurzfristig ist dies po­pulär, langfristig machen solche Maßnahmen die unausweichlichen wirtschaftlichen Anpassungen sehr schwer“, glaubt Diment. Mit Spannung wird auch die Entwicklung in Argentinien beobachtet. „Aus spekulativer Sicht betrachtet, halte ich Argentinien über die kommenden drei bis fünf Jahre für extrem interessant“, sagt Lionel Bernard. „Das Kreditausfallrisiko wird ähnlich wie in Griechenland eingeschätzt, die mak­ro­ökonomischen Bedingungen sind aber deutlich besser. Die Bewertungen sind günstig, es könnte im Vorfeld der Wahlen 2011 zu einem starken Rebound kommen.“

Lesen Sie auf der folgenden Seite, welche Fonds in Lateinamerika auf kleine Länder setzen. Amundi Latin America Equities - Fokus auf Brasilien und Öl
Mit einem Plus von über 25 Prozent hat sich der Amundi Latin America Equities im vergangenen Jahr sehr gut entwickelt. Seit Kurzem hat die Wertentwicklung des Port­folios jedoch eine Verschnaufpause eingelegt. Die Manager Patrice Lemonnier und Lionel Bernard legen nach wie vor ein sehr großes Gewicht auf Brasilien. Dabei könnte insbesondere die Neun-Prozent-Position an Petrobras-Aktien den Fonds aufgrund der bevorstehenden Kapitalerhöhung belasten. An sich ein guter Fonds, Kauforders sollten vorerst aber noch nicht erfolgen.

BlackRock Latin America Opport - Renditestarke Small Caps
Der im November 2007 aufgelegte Fonds Latin America Opportunities Strategies profitiert von der großen Erfahrung und Vor-Ort-Know-how des langjährigen BlackRock-Lateinamerika-Experten Will Landers. Er konzentriert sich auf kleine und mittelgroße Unternehmen, die bei den meisten Lateinamerika-Fonds unter dem Radar laufen. Für den Anleger bedeutet das eine interessante Diversifikationsmöglichkeit – aber auch häufig höhere Schwankungen. Dennoch: sehr guter Fonds.

Anleihefonds - Trotz Rally attraktiv
Seit Anfang 2010 haben Emerging-Markets-Bonds bereits eine beeindruckende Rally hinter sich – Lateinamerika macht da keine Ausnahme. Grundsätzlich bleiben die Papiere eine interessante Anlage. Gerade Länder wie Brasilien, Chile oder Peru verfügen über solidere Staatsfinanzen als so manches Mitglied der Eurozone. Der Julius Bär MB Local Emerging Bond B (ISIN: LU0107852195) investiert weltweit in Schuldpapiere aus Schwellenländern; Staatsanleihen aus Brasilien, Kolumbien, Mexiko und Uruguay zählen zu den Toppositionen. Aufgrund der gesunkenen Rendite der Staatsanleihen könnten Corporate Bonds aus Schwellenländern für An­leger zunehmend interessant werden. Experten gehen davon aus, dass dieser Markt wegen der zunehmenden Reife der Volkswirtschaften deutlich wachsen wird. Neu aufgelegt beziehungsweise in Deutschland zugelassen wurden in diesem Bereich der Fisch Bond Value Investment Grade Fund HA (ISIN: LU0504482315) und der Threadneedle Emerging Market Corporate Bonds AUP (ISIN: LU0198719758). Das Segment wird bisher nur von wenigen spezialisierten Anbietern bedient, es gibt daher kaum Erfahrungswerte. Nur risikofreudige ­Anleger greifen hier zu.

ETFs - Einfache Alternative
Auf die Entwicklung der Märkte in Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru setzen Investoren mit einem ETF auf den MSCI EM Lateinamerika – zum Beispiel den Lyxor ETF LatAm (ISIN: FR0010413310) oder den db-x-trackers MSCI EM LatAm (ISIN: LU0292108619 ). Beide kosten jeweils 0,65 Prozent Verwaltungsgebühr.