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Carsten Maschmeyer: "Mein Analyseobjekt ist der Mensch"

02.05.17 16:05 Uhr

Carsten Maschmeyer: "Mein Analyseobjekt ist der Mensch" | finanzen.net
Carsten Maschmeyer

Der Ex-Chef des Finanzproduktvertriebs AWD, Start-up-Investor und TV-Promi gilt vielen als umstritten. Im Interview spricht er über die Gründershow "Die Höhle der Löwen", seine Investorentätigkeit und den Streit um Geld mit einem Ex-Konzernchef.

von Mario Müller-Dofel, €uro Magazin

€uro: Herr Maschmeyer, wer über Sie in klassischen Medien recherchiert, liest immer wieder, dass Sie umstritten sind und polarisieren. Nützt oder schadet Ihnen dieser Ruf?
Carsten Maschmeyer: Weder, noch. Mein Eindruck ist, dass sich die Fakten durchsetzen. So sind Schadensersatzklagen, die honorargierige Anwälte für Anleger mit Wertverlusten bei geschlossenen Fonds vor Gericht eingebracht hatten, zu nahezu 100 Prozent abgewiesen worden, weil sie nach Meinung der befassten Gerichte sowohl unzulässig als auch unbegründet waren.

Was wird Ihrer Ansicht nach aus Ihrer Zeit als AWD-Chef bleiben?
Millionen Kunden haben durch meine Erfindung der unabhängigen Finanzberatung geringere Versicherungsbeiträge und weniger Bankgebühren bezahlt sowie oft höhere Renditen erzielt. Vor zehn Jahren habe ich mein Finanzdienstleistungsunternehmen verkauft. Seitdem investiere ich insbesondere in Start-ups. Und was die an mir schätzen, mag manch anderem vielleicht nicht vorteilhaft erscheinen. Unter dem Strich überwiegt für mich als Investor der Erfolg der Gründer der Firmen an denen ich beteiligt bin.  

Was schätzen Start-ups an Ihnen?
Wir haben in vielen erfolgreichen Investitionsrunden die Erfahrung gemacht: Start-up-Gründer benötigen mein Kapital, mein Netzwerk und meine Vertriebsexpertise. Allerdings gibt es schon wegen der Begrifflichkeiten bei manchen, die keine besondere Nähe zur Gründerszene haben, falsche Assoziationen: Unter "Netzwerk" versteht manch einer in Deutschland: Da wird gemauschelt. Beim Wort "Vertrieb" meinen einige, Verkaufen sei etwas Unanständiges. Und wer Kapital hat, ist für manch einen der böse Kapitalist. Wer dann noch erfolgreich im Finanzsektor ist, steht in einem Land, in dem es viele Neiddebatten gibt und die Bankenwelt so kritisch gesehen wird wie nie zuvor, schnell grundsätzlich unter Generalverdacht.  

Das ärgert Sie, oder?
Ach wissen Sie, negative Wahrnehmungen von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auch die meiner Person, stammen oft aus veralteten Pressearchiven. Mir ist wichtiger, wie Menschen über mich denken, die mich länger und intensiver kennen - zum Beispiel aus der persönlichen Zusammenarbeit.  

Welche Zuschreibungen würden Sie lieber als "umstritten" und "polarisiert" über sich lesen?
Ich habe keine Erwartungshaltungen an mein Rollenbild in den Medien. Menschen, die mich genauer kennen, sagen, dass ich empathisch bin. Ich kann mich gut in Menschen und ihre Bedürfnisse hineinversetzen, was mir den Umgang mit Gründern, Co-Investoren und Geschäftspartnern erleichtert. Außerdem werde ich als helfend und unterstützend eingeschätzt, ein Urteil, das zahlreiche Unternehmensgründer und Erfinder sowie Geschäftspartner teilen.  

Sie beginnen unser Gespräch recht leise, langsam und überlegt. Sind Sie immer so oder schreien Sie auch gerne mal herum?
Ich bin beobachtend, selbstreflektierend und im persönlichen Gespräch eher leise. Wenn Sie mit Ihrer Frage auf bestimmte Vertriebsveranstaltungen in den 90-er Jahren anspielen: Da konnte es schon mal lauter zugehen. Solche Auftritte sind wie die jährlichen Parteitagsreden und nicht geeignet, auf das Wesen des Redners zu schließen. Ich bin kein Tschakka-Typ.  

Wie wichtig ist Selbstmarketing für Sie?
Wenn eine Geschäftsidee schlecht ist, nützt Selbstmarketing nicht viel. Aber gute Ideen brauchen unbedingt ein gutes Selbst- und Unternehmensmarketing. Ich investiere zum Beispiel nur in Gründerteams, in denen mindestens einer im Team kommunikationsstark ist. Umgekehrt kann ich nur gute Start-ups für eine Partnerschaft gewinnen, wenn auch ich als Investor unseren Zusatznutzen überzeugend darstelle.  

Sie sind Juror in der erfolgreichen TV-Show "Die Höhle der Löwen" des Senders VOX, in der Gründer um Investoren werben. Wegen des Selbstmarketings?
Warum fragen Sie danach?  

Weil Sie neue Geschäftsideen auch auf anderen Plattformen finden können.
Natürlich hat mein VOX-Engagement etwas mit Marketingunterstützung zu tun - in vielerlei Hinsicht. So sagen viele Menschen, wir müssten hierzulande den Gründergeist fördern, belassen es aber bei Worten. Und ich - genauso wie meine vier Löwen-Kollegen - tue in dieser Sendung etwas dafür. Die Sendung ist übrigens die erfolgreichste Eigenproduktion, die VOX je ausgestrahlt hat. Gerade haben wir die Aufzeichnungen für die nächsten Folgen abgeschlossen, die ab Anfang September zu sehen sein werden. Da ist sogar eine Gründerin dabei, die erst durch die Sendung zur Gründerin wurde!  

Welche Art Firma hat sie gegründet?
Die Regularien der Sendung bedingen, dass wir alle bis zur Ausstrahlung über einzelne Inhalte nicht konkreter werden können. Aber so viel kann ich schon mal verraten: Es wird noch spannender und interessanter.   

Inwiefern nützt Ihnen die Sendung?
Ein Vorteil ist, dass jetzt alle drei Millionen Zuschauer wissen, dass ich Investor bin - auf der Suche nach guten Erfindungen. Inzwischen kennt wahrscheinlich jedes Gründerteam in Deutschland die Maschmeyer Group als Frühphaseninvestor. So bekommen wir mehr und eher Investmentanfragen von Gründern auf den Tisch, die explizit uns mit unseren Stärken als Investoren wollen! Dadurch sehen wir die Start-ups oft früher als andere Investoren und können meist günstiger einsteigen.  

Die Sendung ist sozusagen eine Deal-Quelle für Sie?
Eine zusätzliche, ja. Und zwar eine gute. Ohne die Sendung stellen sich ohnehin im Schnitt rund 20 Start-ups pro Woche bei uns vor. Hierzu trägt auch unser Co-Investoren-Netzwerk bei, zu dem der chinesische Internetkonzern Baidu, deutsche Unternehmen wie Metro, Daimler, Rewe und auch Family Offices sowie Fonds-Investoren gehören.  

Apropos Co-Investor: Beim vom Ex-Chef des Energiekonzerns EnBW, Utz Claassen, gegründeten Medizintechnik-Start-up Syntellix hatten Sie 2013 investiert. Bald danach stritten Sie sich mit ihm vor Gericht. Es ging um Untreue, Verleumdungen, Geheimnisverrat und mehr. Dabei galten Sie beide mal als Freunde. Was hat Sie die Lektion gelehrt?

Dass man nie davor gefeit ist, sich in einem Menschen zu irren. Und dass man Personen, die durch viele Rechtsstreitigkeiten schon vorher bekannt geworden sind, meiden sollte. 

Dieser Satz könnte Sie genauso treffen. Auch Sie geraten mitunter wegen Rechtsstreitigkeiten in die Schlagzeilen.

Es kommt immer darauf an, wer wen täuschen wollte. Dann muss man sich natürlich juristisch wehren! Zum Thema Claassen möchte ich nichts sagen. Dieses Thema ist seit Dezember 2016 für mich erledigt Ich habe eine sehr gute Einigung erzielt.

Die wie aussieht?
Ich soll mein investiertes Geld komplett zurückbekommen. Hoffentlich liegen die Skeptiker falsch und Utz Claassen kriegt das Geld dafür zusammen. Zusätzlich habe ich einen in der Höhe unbegrenzten Besserungsschein. Insofern wünsche ich dem Unternehmen jeden erdenklichen Erfolg.  

Hört bei Geld die Freundschaft auf?
Im Gegenteil: Beides kann sehr gut zusammengehen. Nehmen wir wieder die Gründer: Die sind oft miteinander befreundet, was eine starke Vertrauensbasis schafft. Die haben oft auch eine besonders enge Beziehung zu den Erstinvestoren, die weit über Frühphase des Unternehmens hinaus hält. Meine Erkenntnis ist, dass aus Geschäftsbeziehungen durch positive Erfahrungen oft Freundschaften werden.  

Zurück zur "Höhle der Löwen". Die Show lebt sehr von den Selbstmarketing-Qualitäten der Gründer. Was machen die Erfolgreichen da besser als die Verlierer?
In der Sendung sind die Gründereigenschaften wichtiger als die Produkteigenschaften. Wenn ich mich entscheiden muss zwischen einem first class team with a second class product oder anders herum, nehme ich das bessere Team.   

Weil?
Weil ein starkes, begeisterndes Team sogar mittelmäßige Produkte erstklassig machen kann. Es heißt nicht umsonst: Man muss für seine Idee brennen, sonst kann man andere nicht anzünden.  

Vor den VOX-Kameras sind bislang rund drei Dutzend Deals zustande gekommen. Einige davon scheiterten danach hinter den Kulissen. Waren die Juroren in diesen Fällen naiv?
Die Handschläge in der Sendung sind vorbehaltlich der intensiven Firmenprüfung, Due Diligence genannt. Verglichen mit der durchschnittlichen Deal-Quote im Venture Capital- und Private Equity-Bereich, hat die Gründer-Sendung eine super Quote.  

Woran scheitern Investitionszusagen aus der Sendung später?
Manche bisherige Gesellschafter, die wir erst nach der Sendung kennenlernen, haben andere Bewertungsvorstellungen als die mit den Gründern vor der Kamera vereinbarten. Oder die Gründer meinten in der Sendung, dass sie zum Beispiel ein Patent auf ihr Produkt haben, doch tatsächlich ist es nur ein Gebrauchsmuster, weshalb ihr Produkt leicht kopierbar ist. Mitunter werden in der Sendung auch Risiken verschwiegen oder es stellt sich nachträglich heraus, dass die Gründer an mehreren Firmen beteiligt sind und das Unternehmen nicht wie verkündet hauptberuflich geführt wird.  

Was ist dagegen einzuwenden?
Ich investiere lieber in Gründer, die sich zu 100 Prozent auf ein Geschäft konzentrieren.  

Wie viele Start-ups schaut sich Ihr Investment-Team jährlich an?
Für die Maschmeyer Group arbeiten derzeit rund 15 Investment-Experten. Die haben 2016 etwa 1200 Start-ups vor allem aus Deutschland, aber auch manche aus den USA analysiert. Ich selbst sehe im Schnitt fünf Gründerteams pro Woche.  

Worauf schauen Sie bei denen besonders?
Mein Analyseobjekt ist der Mensch. Ich versuche, die Gründer als Persönlichkeiten einzuschätzen: ob sie durchalten, wenn es schwierig wird; ob sie im Team kooperieren oder mit ihren Co-Gründern rivalisieren; ob sie Management- und Vertriebspower mitbringen, fortbildungsbereit und führungsstark sind.  

Binnen wieviel Zeit glauben Sie die Lage beurteilen zu können?
Nach einer Minute habe ich ein Bauchgefühl. In der Interaktion wird es klarer. Und spätestens nach einem zweiten Treffen, welches nie im gleichen Raum und in der gleichen Sitzordnung stattfindet, weiß ich, wie die Gründer miteinander umgehen. Wir investieren nur in harmonierende Teams, deren Mitglieder sich mit ihren Stärken ergänzen.  

Wie hoch ist Ihre Investitionsquote?
2016 lag sie bei 0,5 Prozent. Von den 1200 Firmen, die wir im vergangenen Jahr angeschaut haben, haben wir in sechs Jungunternehmen Kapital eingebracht.  

2016 ergab eine Umfrage einer Unternehmensberatung in 27 deutschen Uni-Städten, dass 32 Prozent der Studenten am liebsten Beamte werden würden. Damit war der Staatsdienst ihr beliebtestes Berufsziel. Das spricht nicht gerade für den deutschen Gründergeist.
Ich kenne die Erhebungsgrundlage dieser Umfrage nicht. Vermutlich wurde sie an einem sonnigen Freitagnachmittag durchgeführt, an dem die Befragten dachten, wie schön es doch wäre, Beamter zu sein. Dann könne man schließlich schon im Biergarten sitzen. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass es ein repräsentatives Ergebnis ist, denn dazu habe ich zu viele engagierte und motivierte junge Leute kennengelernt.  

Macht der deutsche Staat genug, um den Gründergeist zu fördern?
Ich kann mit dem immerwährenden Ruf nach dem Staat gerade in diesem Zusammenhang wenig anfangen. In den USA wird beispielsweise überhaupt nichts gefördert! Unternehmertum ist eine Geisteshaltung, die kein Staat verändern kann. An Leidenschaft, Mut und Beharrlichkeit müssen die Menschen schon selbst arbeiten. Und die guten Gründer tun genau das.

  Wie tun sie das?
Ein Beispiel: Ich bin häufig im Silicon Valley, weil wir ein Büro in der Bay Area von San Francisco haben. Dort stellen sich Gründer mitunter so vor: "Hallo! Ich habe schon zwei Firmen an die Wand gefahren. Daraus habe ich viel gelernt - und jetzt bin ich richtig fit für die dritte Gründung." Im Gründungszentrum der USA werden Fehler als Fortschritte gewertet, aus denen man lernen kann! Und die Öffentlichkeit dort nimmt vor allem die Erfolge wahr. In Deutschland läuft das Gegenteil.   

Sie meinen, hier reitet man vor allem auf Misserfolgen herum?
Es ist kein Geheimnis, dass bei uns grundsätzlich eher über Misserfolge von Investitionen berichtet wird als über Erfolge. Das schadet der Start-up-Szene.  

Woran meinen Sie, liegt die Defizitorientierung?
Hierzulande gilt Scheitern als Manko und Disqualifikation. Folglich schämen sich Gründer dafür. Genauso ist es bei Investoren. Dagegen gilt in den USA als erfolgreich, wer mit nur einem von zehn Investments erfolgreich war. In Deutschland wiederum werden vor allem Fehlversuche thematisiert. Schon deshalb halten sich viele potenzielle Investoren und Gründer zurück. Die denken: Ehe ich als Loser dargestellt werde, gehe ich lieber auf Nummer sicher und versuche es erst gar nicht. Da können wir alle noch besser werden.  

Vielen Dank für das Gespräch.

Kurzvita

Carsten Maschmeyer, geboren am 8. Mai 1959 in Bremen, begann 1978 ein Medizinstudium - und gleichzeitig eine Karriere als Finanzproduktverkäufer bei der OVB Vermögensberatung. Um sich letzterem vollständig zu widmen, gab er das Studium 1982 auf. 1987 verließ er auch die OVB und stieg beim Allgemeinen Wirtschaftsdienst (AWD) als Miteigentümer ein. Er führte das Unternehmen zu beachtlicher Größe und brachte es im Jahr 2000 an die Börse. Die Geschäftspraktiken des AWD waren bei Kunden und Branchenbeobachtern umstritten. 2007/2008 verkaufte Maschmeyer den AWD an den Schweizer Versicherungskonzern Swiss Life. Danach gründete Maschmeyer die Alternative Strategic Investment GmbH (ALSTIN), um sich an Wachstumsunternehmen zu beteiligen. Mit einer anderen Firma investiert er in Start-ups. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde der heute 57-Jährige durch seine Hochzeit mit der Schauspielerin Veronica Ferres im Jahr 2014 und seinen TV-Auftritten als Juror und Investor in der Gründer-Show "Die Höhle der Löwen" auf VOX. Medien beziffern sein Vermögen auf bis zu 1,2 Milliarden Euro.

Bildquellen: Andreas Nestl für €URO