Jens und Jan Ehrhardt: Aktien auf Kaufniveau
Im exklusiven Doppelinterview erklären die Vermögensverwalter Jens und Jan Ehrhardt, welche Investments sie 2012 favorisieren und warum Gold unbedingt ins Depot gehört
Das Interview führten die €uro-Redakteure Ralf Ferken und Lucas Vogel.
€uro: Die Politik hat in den vergangenen Wochen einiges entschieden, um die europäische Schuldenkrise in den Griff zu bekommen: 50 Prozent Schuldenschnitt für Griechenland, Rekapitalisierung der Banken, Erhöhung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Ist die Euro-Krise damit gelöst?
Jan Ehrhardt: Das Maßnahmenpaket enthält einige gute Aspekte. Anstatt einer zu starken Hebelung des Rettungsschirms wäre mir der verstärkte Kauf von Anleihen der Peripherieländer durch die EZB allerdings lieber. Zudem ist die Euro-Krise durch das Maßnahmenpaket langfristig nicht gelöst, da die Grundprobleme der zu hohen Staatsverschuldung sowie der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Länder ungeklärt bleiben
War der Schuldenschnitt bei Griechenland der richtige Schritt? Brauchen die USA für ihr Verschuldungsproblem auch bald eine große Lösung?
Jens Ehrhardt: Ja, Staatspleiten müssen möglich sein, wenn Sparen nicht mehr reicht. Und Deutschland kann nicht alles bezahlen, sondern muss aufpassen, dass am Ende die eigene Bonität nicht verloren geht. Beim Druckabfall im Flugzeug müssen die Gesunden und Kräftigen auch zuerst die Masken aufsetzen und dann den Kindern und Alten helfen. Deutschland darf die eigene Sauerstoffmaske nicht vergessen, sonst ist keinem geholfen.
Jens Ehrhardt:
Amerika ist auf einem schlechteren Weg als Europa?
Jens Ehrhardt: Während Europa einige Schritte in die richtige Richtung gegangen ist, wird in Amerika die Krankheit nur mit immer mehr Schmerzmitteln behandelt. Mehr Staatsausgaben, mehr monetärer Stimulus. Wenn da die Probleme erst einmal auf den Tisch kommen, wird auch der Dollar fallen.
Trotzdem sind US-Aktien sind im Herbst weit weniger eingebrochen als europäische und vor allem deutsche Titel. Warum?
Jens Ehrhardt: Die Geldmenge steigt in Amerika am schnellsten – mit zweistelligen Wachstumsraten. Von diesem Geld werden auch Aktien gekauft. Als Folge sind US-Aktien aber mittlerweile sehr teuer.
Also sollten Anleger europäische Aktien bevorzugen?
Jens Ehrhardt: Wenn man die Banken herausnimmt und sich verlässliche Bewertungsgrößen wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis und das langfristige Kurs-Gewinn-Verhältnis ansieht, sind wir in Europa auf dem Niveau von 2009 und damit eigentlich in einer Kaufzone.
Was spricht noch für Aktien?
Jens Ehrhardt: Im kommenden Jahr wird sich das Wirtschaftswachstum abschwächen. Das erhöht den Druck auf die Notenbanker. Und wenn die dann erneut die Geldschleusen öffnen, werden Aktien profitieren. Für mich ergibt sich ein ähnliches Bild wie 2009, als es der realen Konjunktur noch schlecht ging, aber die Aktien schon stiegen.
Wird 2012 also ein Aktienjahr?
Jens Ehrhardt: Ich kann mir vorstellen, dass es am Jahresende – nach holprigem 1. Quartal wegen Konjunkturschwäche - wesentlich besser sein wird als in diesem Jahr, weil die monetären Voraussetzungen einfach besser werden. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass es keinen Bank-Zusammenbruch gibt. Ein Schock im Bankensektor würde alle Prognosen zur Makulatur machen.
Und welche Aktien sollten Anleger dann haben?
Jan Ehrhardt: Defensive Titel werden von den Anlegern gesucht werden, weil die Angst nach so vielen Crashs in der jüngeren Vergangenheit einfach noch groß ist. Der Fokus auf Dividenden-Aktien ist daher sinnvoll. Aber auch in den Schwellenländern war der Absturz in diesem Jahr so heftig, dass man von steigenden Kursen im kommenden Jahr ausgehen kann.
Welche Branchen meinen Sie konkret?
Jan Ehrhardt: Konsumtitel aus Asien, Pharmawerte, Edelmetall-Minen, ausgewählte Versicherer, Telekom, Versorger. Bei letzteren drei werden noch Gewinnrückgänge kommen, so dass sich vielleicht noch eine günstigere Einstiegsmöglichkeit ergibt.
Hört sich gut an – aber viele Anleger sind noch sehr vorsichtig. Staatsschulden und finanzschwache Banken schicken die Aktienkurse auf Berg- und Talfahrt. Staatsanleihen verlieren den Status des sicheren Hafens. Selbst der Goldpreis bricht ein.
Jens Ehrhardt: Ja, die Angst ist da. Es fehlt einfach das Vertrauen in die Lösungen der Politik. Gleichzeitig kann sich auch der einfachste Mensch vorstellen, dass es nicht gut für den Wert des Geldes ist, wenn viel davon gedruckt wird. Genau das tun aber die Zentralbanken. Die Bilanzsumme der amerikanischen FED beträgt mittlerweile 2900 Milliarden Dollar.
Aber wo können Anleger in so einem Umfeld überhaupt noch investieren?
Jens Ehrhardt: Das Gelddrucken und der damit verbundene negative reale Zins sollte Sachwerten grundsätzlich entgegen kommen. Dazu zählen wir neben Aktien und auch Gold.
Der Kursrutsch von 15 Prozent beim Gold im September ist für Sie keine Trendwende?
Jens Ehrhardt: Nein, der langfristige Aufwärtstrend ist weiter intakt. Man kann ja fast ein Lineal an den Chart anlegen. Aber Gold allein macht nicht glücklich. Anleger sollten ihr Vermögen streuen. Dazu gehören auch Staatsanleihen – deutsche und niederländische Kurzläufer als Kasseposition zum Beispiel.
Frankreich bietet mehr Rendite.
Jens Ehrhardt: Aber ich sehe hier auch mehr Risiko. Das Defizit wird wohl deutlich über den angepeilten fünf Prozent in diesem und vier Prozent im kommenden Jahr liegen. Und Frankreich hat viele Banken mit großen Problemen, die gestützt werden müssen. Mit diesen Rettungsaktionen kann der Schuldenstand schnell über 100 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Und dann wird es historisch gesehen oft kritisch.
Sind solide Unternehmen die besseren Schuldner?
Jan Ehrhardt: Natürlich ist es sinnvoll, eine gute Unternehmensanleihe anstatt einer schlechten Staatsanleihe zu kaufen. Gerade im Bereich von mittelgroßen Unternehmen des MDAX gibt es sehr solide Schuldner. Bei Laufzeiten zwischen vier und sieben Jahren bekommen Anleger hier Renditen zwischen fünf bis acht Prozent pro Jahr.
Auf was müssen Anleger dabei achten?
Jan Ehrhardt: Wir investieren in Unternehmen mit soliden Geschäftsmodellen, bei denen die Konkursgefahr gering ist. Wir kennen viele dieser Unternehmen durch unsere Aktienanalysen sehr gut und können deshalb die Bonität der Anleihen einschätzen.
Wenn Sie momentan Unternehmen besuchen – was spüren sie vom drohenden Konjunktureinbruch?
Jens Ehrhardt: Das dritte Quartal wird bei Umsätzen und Gewinnen eher positiv überraschen. Da wurde in den Kursen schon sehr viel Negatives vorweggenommen. Sowohl in den USA als auch Deutschland scheint das zweite Quartal konjunkturell eher ein Ausrutscher gewesen zu sein. Aber der Ausblick auf das vierte Quartal und darüber hinaus ist wiederum schlechter.
Zu Recht?
Jens Ehrhardt: Nun ja, viele Länder treten gerade konjunkturell auf die Bremse – ob durch restriktive Geldpolitik wie in China oder Ausgabenkürzungen wie in vielen Ländern Europas. Und das in einem Umfeld eines sehr zerbrechlichen Weltfinanzsystems. Wir hören immer mehr, dass Unternehmen Probleme haben, Kredite zu bekommen. Wenn die Eigenkapitalrichtlinien für Banken weiter verschärft werden, wird das weitergehen.
Stichwort China: Dort fragen sich gerade viele Experten, ob die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zu einer „harten“ oder „weichen“ Landung führt. Was denken Sie?
Jan Ehrhardt: Wir waren erst Ende September gemeinsam in Hong Kong und führten dort viele interessante Gespräche. Wir meinen, dass es im Zuge der enormen Staatsprogramme der vergangenen Jahre zu Überkapazitäten in einzelnen Sektoren kam, auch im Immobilienmarkt. Es wird Anpassungen geben. Doch Haushalte und Unternehmen sind oft schuldenfrei und der Staat ist relativ wenig verschuldet, so dass genügend Raum für Gegenmaßnahmen bleibt und wir von einer Delle und keinem Einbruch ausgehen.
Stützt sich Ihr Optimismus nur auf mögliche Stützungsmaßnahmen?
Jan Ehrhardt: Nein. Viele Wirtschaftsbereiche, wie der private Konsum, wachsen einfach weiter sehr stark. Chinas Wirtschaft besteht nicht nur aus Immobilien oder Export. Aber wenn der Einbruch kommt, hat die Regierung die Mittel und den Willen, einzugreifen. Sollte der Staat stärker unterstützen, ergibt sich im kommenden Jahr wahrscheinlich eine gute Einstiegssituation am chinesischen Aktienmarkt.
Sie halten also Ihr Pulver in Asien trocken?
Jan Ehrhardt: Ja, wir halten in unserem Asien-Fonds derzeit noch 35 Prozent Bargeld und wollen in den kommenden Monaten investieren, sollte es nochmals zu einem Rückschlag kommen. Von der Bewertung her ist der Markt in Hong Kong mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von zehn und Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,4 bereits im grünen Bereich. Wenn die Notenbank wieder expansiver wird, werden wir handeln.
Könnten davon auch Unternehmen in Europa profitieren? Wie ist das Chance-Risiko-Verhältnis bei europäischen Aktien?
Jan Ehrhardt: Einzelne Branchen sind sicher auf einem günstigen Bewertungsniveau. In den Sektoren Versicherungen, Öl und Gas, Pharma, Telekom und Energieversorgung liegen die Dividendenrenditen im Schnitt über fünf Prozent. Diese sollte man als Anleger jetzt berücksichtigen. Gerade wenn das konjunkturelle Umfeld schwierig bleibt und Investoren bei Anleihen so niedrige Renditen bekommen, fällt deren Fokus früher oder später auf dividendenstarke Aktien.
Und in Deutschland?
Jan Ehrhardt: Sollte sich die Weltwirtschaft deutlich abkühlen, ist Deutschland mit der hohen Exportquote stärker betroffen, als andere Länder. Gerade für zyklische Werte wie Maschinenbauer wird es schwer werden, sich davon loszulösen.
Also war der Weg deutscher Unternehmen, den Absatz in den Schwellenländern zu erhöhen, vergebens?
Jan Ehrhardt: Nein. Auch wenn China eine Wachstumsdelle vor sich hat, so werden die Wachstumsraten in den kommenden Jahren in den Schwellenländern höher sein, als in Europa. Das wird vielen Unternehmen in Deutschland helfen.
Wenn die Aktienkurse so heftig schwanken, wie in den vergangenen fünf Jahren – was ändert sich da für einen Vermögensverwalter?
Jan Ehrhardt: Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind die Korrelationen zwischen den Anlageklassen aber auch innerhalb der Anlageklassen stark gestiegen. Das bedeutet für Aktien: Wenn es nach unten geht, fällt kurzfristig alles – auch vermeintlich defensive Werte, gut aufgestellte Unternehmen. Diese steigen aber dann im Aufschwung stärker an. Qualität setzt sich über den ganzen Zyklus durch. Für uns Fondsmanager und Anleger heißt das, den Aktien, von denen wir überzeugt sind, länger treu zu bleiben.
Wie kann man als Investor ruhig bleiben, wenn es bei guten Aktien in Panikzeiten einmal 50 Prozent nach unten geht?
Jens Ehrhardt: Wir haben die Mischung aus Makrobetrachtung und Unternehmensanalyse. Das hilft. Auch wenn die Makro-Lage dagegen spricht, verkauft man seine guten Aktien dann eben nicht.
Das nächste Jahr wird Ihrer Meinung nach per Saldo am Schluss ein gutes Aktienjahr. Bekommen wir nach einem verlorenen Jahrzehnt für Aktionäre zehn gute Jahre?
Jan Ehrhardt: Ich denke, Anleger sollten nie alles auf eine Anlageklasse setzen. Mischen ist immer gut. Als Basis können Unternehmensanleihen und defensive Aktien dienen. Und Gold wird so lange attraktiv bleiben, so lange der Realzins negativ bleibt. Staatsanleihen würde ich auf Sicht von zehn Jahren allerdings nicht empfehlen. Dazu sind die Renditen zu niedrig und die Bonität oft zu schlecht.
Die Stimmung gegen eine weitere Bankenrettung steigt. Muss man jetzt einmal eine Bank pleite gehen lassen, um ein politische Zeichen zu setzen: Wir lassen uns nicht erpressen?
Jens Ehrhardt: Nein, Bankenrettungen sind wirklich alternativlos. Was passiert, wenn man Banken reihenweise pleite gehen lässt, kann man in der Geschichte sehen. Die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre ist vor allem deswegen so verheerend gewesen, weil man Banken nicht gestützt hat. Die Folge waren Deflation und ein Einbruch der Wirtschaftsleistung von heute unvorstellbarem Ausmaß.
Sollen die Banker weiter hohe Boni verdienen und der Steuerzahler die Verluste ausgleichen?
Jens Ehrhardt: Dass viele Banker zu viel Geld für schlechte Leistung bekommen, bestreite ich nicht. Es gibt sicherlich einige Exzesse. Aber die Banken deswegen pleite gehen zu lassen, ist unvernünftig. Die europäischen Banken haben zusammen eine Bilanzsumme von über 36000 Milliarden Euro – das vierfache der Wirtschaftsleistung Europas. Boni von weltweit ca. 30 Mrd. € sind zu hoch, aber nicht die Krisenursache.
Vielen Dank für das Gespräch.