ThyssenKrupp: Küssen ja, aber erst später
Die Börse feiert bereits den Turnaround des Essener DAX-Konzerns. Doch schon vor der Hauptversammlung ist klar, dass das laufende Geschäftsjahr eines der bislang härtesten wird.
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von Stephan Bauer, Euro am Sonntag
Es ist zuletzt so einiges knapp geworden bei ThyssenKrupp. Nur drei Vorstände gibt es noch nach drei Rauswürfen im Dezember. Und Ende September war das Eigenkapital des größten deutschen Stahlkonzerns auf 4,5 Milliarden Euro geschmolzen wie Eisenerz in den Duisburger Hochöfen.
Unter Anteilseignern herrscht vor der Hauptversammlung am kommenden Freitag hingegen kein Mangel an Engagement. Es hagelt Gegenanträge zur Tagesordnung. Der Tenor: Vorstand und Aufsichtsrat seien wegen der katastrophalen Pannen nicht zu entlasten.
Bernd Günther, Großaktionär und seit 40 Jahren Kämpfer für Anlegerinteressen auf den Versammlungen, tritt in der Regel als erster Redner auf. „Der Aufsichtsrat war sein Geld nicht wert — inklusive des Mitglieds Peer Steinbrück. Ich fordere eine neue Qualität im Kontrollgremium“, sagt der Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Idunahall, die bislang meist über 100 Millionen Euro Aktienwert vertreten hat.
Gründe, als Anleger in Wallung zu geraten, gibt es bei dem DAX-Konzern genug. Über fünf Milliarden Euro Verlust musste Konzernchef Heinrich Hiesinger für das Ende September abgelaufene Geschäftsjahr melden. Die völlig fehlkalkulierten Stahlwerke in Brasilien und den USA haben mehr als zwölf Milliarden Euro vernichtet. Die Investitionsentscheidungen, noch unter Exchef Ekkehard Schulz getroffen und von Chefaufseher Gerhard Cromme abgenickt, sind der Hauptgrund für den finanziellen Aderlass des Traditionskonzerns, dessen Eigenkapital nur noch etwa halb so groß ist wie vor Jahresfrist. Die Unzufriedenheit mit den Kontrolleuren entzündet sich insbesondere am SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der bis Ende 2012 im Gremium saß. Steinbrück soll gut informierten Kreisen zufolge nur auf zwei von vier Sitzungen im Krisenjahr 2011/12 erschienen sein. Auch eine Strategiesitzung hat er dem Vernehmen nach geschwänzt. Gleichwohl kassierte der Kanzlerkandidat 55.750 Euro Vergütung. Laut einem Sprecher war Steinbrück durch Termine infolge seines Bundestagsmandats verhindert.
Vorstand beruhigt Börsianer
Hiesinger ist es bislang trotz all der Horrormeldungen gelungen, einen Crash des Aktienkurses zu verhindern. Der ehemalige Siemens-Industriechef, der als Hoffnungsträger des Traditionsunternehmens gilt, will aus dem Stahl- einen Technologiekonzern machen und hochprofitable Perlen wie die Aufzugsparte Elevators stärken. An den Finanzmärkten kommt das gut an.
Schließlich werden Maschinenbauer wesentlich höher bewertet, weil sie nicht so stark von Rohstoffpreisen und Konjunkturschwankungen abhängig sind wie Stahlkonzerne. Zudem ist die Rendite höher. Während es Thyssens Stahlsparte Steel Europe laut Schätzungen im laufenden Geschäftsjahr auf eine Kapitalrendite von knapp vier Prozent bringen wird, soll das Aufzuggeschäft einen eingesetzten Euro Kapital mit rund 25 Cent vergüten.
An der Börse wird bereits hoffnungsvoll auf einen Komplettausstieg aus dem Stahlgeschäft gewettet. Der Kurs zog in den vergangenen Wochen an, doch Unternehmenskenner warnen: Die Sparte sei derzeit nicht zu verkaufen — und es drohten noch harte Quartale.
Insidern zufolge leidet Steel Europe trotz hochwertiger Flachstahlprodukte, die vor allem an die Automobilindustrie verkauft werden, unter der schwächelnden Konjunktur. Der Auftragseingang soll hier im abgelaufenen Quartal rückläufig gewesen sein. Überdies drückt die seit vergangenen Sommer angesetzte Kurzarbeit auf die Renditen. In den Technologiesparten laufen die Geschäfte offenbar besser. In der Sparte Components etwa, die Autoteile oder Lager herstellt, oder im Anlagenbau Plant Technology seien die Ordereingänge stabil. Auch im Aufzuggeschäft laufe es gut. Und der Rohstoff- und Materialhandel soll sich im ersten Quartal besser geschlagen haben als die Konkurrenz.
Es drohen hohe Lasten
Eins steht indes fest: Im laufenden Geschäftsjahr stehen noch hohe Belastungen an. Die Werke in Übersee allein werden laut Schätzungen des Bankhauses Kepler 700 bis 800 Millionen Euro verschlingen.
Schäden aus Altbeständen kommen hinzu. Da wären etwa die Schadenersatzansprüche der Geschädigten des Schienenkartells. Die Essener hatten jahrelang mit Konkurrenten die Deutsche Bahn und eine Reihe kommunaler Verkehrsbetriebe abgezockt. Die Bahn hat in einer Klage gegen die Kartellmitglieder den Streitwert auf 550 Millionen Euro beziffert.
Konkrete Forderungen aus der Schienenaffäre liegen dem Konzern offiziell noch nicht vor. Rückstellungen seien ebenfalls nicht gebildet, erklären Insider. Die Eigenkapitalquote wäre zu stark gesunken, das Rating womöglich gekippt. Deshalb stünden Belastungen von bis zu 750 Millionen Euro an, für die es keine Vorsorge gibt.
Ein Lichtblick ist, dass der weltgrößte Stahlkonzern, ArcelorMittal, für das US-Stahlwerk bietet. Das Risiko, dass Hiesinger mit dem bis Ende September geplanten Verkauf der Amerika-Aktivitäten doch noch scheitern könnte, besteht aber weiterhin. „Thyssen muss man küssen“, hatte Aktionärs-Urgestein Günther einst gedichtet. Derzeit lautet seine Devise: „Küssen ja, aber man muss noch ein Weilchen warten.“ ThyssenKrupp Nicht mehr billig Mit den Vorstandspersonalien und der Milliardenabschreibung der Amerika-Aktivitäten sowie deren geplantem Verkauf hat sich der Aufsichtsrat klar für Hiesingers Strategie ausgesprochen. Künftig geht die Reise Richtung Technologiekonzern. Allerdings sind die finanziellen Mittel zum Ausbau der Maschinenbausparten stark begrenzt, ein baldiger Verkauf des europäischen Stahlgeschäfts scheint unrealistisch. Die Aktie ist hoch bewertet. Stopp beachten.
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