Analyst: Wie Anleger mit dem Niedrigzinsumfeld umgehen sollten
Das Niedrigzinsumfeld beschäftigt Anleger schon seit einigen Jahren - ein Analyst glaubt, dass es uns auch in Zukunft weiter begleiten wird und gibt Tipps, wie Anleger damit umgehen sollten.
• Realwachstum und Inflation gehen immer weiter zurück
• Nachfrage nach sicheren Investments größer als Angebot
• Niedrigzinsumfeld dürfte auch in den kommenden Jahren bleiben
Bereits seit Jahrzehnten fällt die Verzinsung von sicheren Anlageklassen wie US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit - im Dezember 2020 lag diese laut Statista bei unter 1 Prozent. Bei den Renditen von Staatsanleihen einiger anderer Länder in Europa sieht die Entwicklung ähnlich aus. In Europa fielen die Zinsen teils sogar noch tiefer und erreichten negative Niveaus. Im Dezember 2020 lag die Rendite für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit laut Statista so z.B. in Deutschland bei -0,57 Prozent, in Österreich bei -0,42 Prozent und in den Niederlanden bei -0,49 Prozent.
Werner Krämer, Senior Economic Analyst bei Lazard Asset Management, geht in einem Beitrag bei der NZZ den Fragen nach, warum die Zinsen so tief sind, ob sie auf diesem Niveau bleiben, gar weiter fallen, oder ob es zu einer Zinswende kommen könnte und wie Anleger am besten mit dem Niedrigzinsumfeld umgehen sollten.
Diese Faktoren bestimmen das Zinsniveau
Krämer bezeichnet die Wachstumsdynamik und die Inflationsentwicklung als "die beiden wichtigsten Bestimmungsfaktoren des Zinsniveaus in einem Land". Dass die Renditen der Staatsanleihen seit 1981 weltweit rückläufig seien, liege daran, dass das Realwachstum und die Inflation immer weiter zurückgingen. Das Nominalwachstum, das Krämer als "Gleichgewicht", das durch Wachstum und Inflation definiert wird, beschreibt, sei in den USA seit 1981 um mehr als sieben Prozent zurückgegangen - entsprechend sehe es in Europa aus, nur dass Nominalwachstum und Renditen noch tiefer gefallen seien.
Krisen, wie verschiedene Finanzmarktkrisen, das Platzen der Dotcom-Blase, die Euro-Krise und schließlich die Corona-Krise, die die Wirtschaft seit letztem Jahr belastet, führten Krämer zufolge zu einem niedrigen BIP-Wachstum, geringem Produktivitätswachstum, wenig Investitionen, Disinflation und verstärkten somit den Trend zu niedrigen Zinsen in den vergangenen Jahrzehnten. Da die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen, wie ein Chart von Lazard Asset Management zeigt, in den vergangenen Jahren jedoch unter dem nominalen BIP-Wachstum liegen, könnten die Niedrigzinsen nicht ausschließlich mit dem niedrigen Nominalwachstum begründet werden.
Nachfrage größer als Angebot
"Ein komplexes Zusammenspiel etlicher struktureller Faktoren" spiele bei den gegenwärtigen Niedrigzinsen eine Rolle. So gebe es laut Krämer einen Ersparnisüberhang, der sicher angelegt werden müsse. Gründe dafür seien die "Alterung der Bevölkerung in der entwickelten Welt" und die "Integration der Schwellenländer in die Weltwirtschaft". Doch es gebe wenig sichere Investments und diese seien "wegen der vielen Finanzmarktkrisen der letzten Jahre noch knapper und gefragter" geworden. "Da auch die Zentralbanken als übereifrige Käufer dieser sicheren Anlagen auftreten und die Regulatoren deren Bedeutung für die Kapitalanlage überbetonen, trifft seit Jahren eine Übernachfrage auf ein knappes Angebot", so Krämer. In den USA habe dies die Renditen "sicherer" Staatsanleihen auf historische Tiefstände getrieben und in Europa für eine negative Verzinsung gesorgt, da Sicherheit teuer bezahlt werde.
Niedrigzinsumfeld dürfte bleiben
Nach der Pandemie stehe Krämer zufolge zwar ein zyklischer Aufschwung bevor, seiner Meinung nach fehle es aktuell aber "an echter Innovationsdynamik, Produktivitätswachstum, überdurchschnittlichen Investitionen oder grundlegenden Wirtschaftsreformen", weshalb er nicht glaubt, dass sich die strukturelle Situation nachhaltig verändern wird.
Auch die Zentralbanken spielten im aktuellen Umfeld eine wichtige Rolle. Diese seien "auch für 2021 auf weitere Expansion geeicht, entweder weil sie wie die US-Notenbank Fed eine etwas höhere Inflation zu akzeptieren bereit wären oder aber wie die Europäische Zentralbank tatsächlich mit einer heftigen Disinflation konfrontiert sind", so Krämer. Die Zentralbanken dürften dem Analysten zufolge "mit allen Mitteln versuchen, die Zinsen weiter niedrig zu halten, um den kommenden Aufschwung nicht zu gefährden".
Derzeit gebe es keine "wesentliche Trendumkehr zu strukturell höherem Wachstum", die Inflation in Zentraleuropa nehme nicht zu und an dem Nachfrageüberhang nach "sicheren Anlagen" ändere sich momentan ebenfalls nichts. Daher geht der Experte davon aus, dass sich am Niedrigzinsumfeld auch in den kommenden Jahren nichts ändern wird.
Das sollten Anleger beachten
Aufgrund dieser Entwicklungen empfiehlt der Analyst Anlegern in den europäischen "sicheren Häfen", die ein sehr niedriges Zinsniveau aufweisen, bei der Kapitalanlage einige Dinge zu beachten. Anleger sollten sich seiner Meinung nach "vermehrt in Alternativen zu negativ rentierenden Schweizer und europäischen Aggregate Bonds wie Staatsanleihen, Pfandbriefen oder Unternehmensanleihen investieren, um ihre angestrebten Renditen erreichen zu können." Als Alternativen hierfür nennt er Hochzinsanleihen, nachrangige Anleihen, globale Anleihen, Schwellenländer- und Wandelanleihen, Infrastrukturanlagen, illiquide Investments auf Privatmärkten und Aktien. Diese Anlageklassen seien trotz ihrer hohen Bewertung aus Ertragsgründen unumgänglich. Außerdem sollten Anleger ihre Ertragserwartungen, aufgrund hoher Bewertungen dieser Assets und damit verbundenen geringeren künftigen Erträgen, merklich zurückschrauben. Krämer empfiehlt Anlegern zudem "eine durchdachte, aktiv verwaltete und breit diversifizierte Vermögensallokation." Investoren müssten akzeptieren, dass Risiko- und Liquiditätsmanagement "angesichts der Komplexität ‘moderner‘ Portfolios" an Bedeutung gewinnen.
Redaktion finanzen.net
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