Europas Aktien: Wahlmarathon mit Risiken
Der Fall Griechenland zeigt, welche Bedeutung Wahlergebnisse in Zeiten der Euro-Schuldenkrise haben können. Ein Einzelfall? Oder vielleicht eher nur ein Vorgeschmack?
von Frank Engels, Gastautor von Euro am Sonntag
Leiter des Rentenfondsmanagements von Union Investment Der promovierte Volks- wirt leitet das 46-köpfige Rententeam der Fonds- gesellschaft Union Invest- ment und ist dort für ein Portfoliovolumen von mehr als 50 Milliarden Euro verantwortlich. Zuvor arbeitete Engels unter anderem als Ökonom für den Internationalen Währungsfonds und als Länderexperte für Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Griechenland bei der Europäischen Zentralbank.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenban- ken mit aktuell mehr als 230 Milliarden Euro ver- waltetem Vermögen.
Das Jahr 2015 birgt jede Menge politischer Risiken für die Eurozone. Einen Vorgeschmack lieferte die griechische Parlamentswahl. Als Sieger ging Alexis Tsipras vom Linksbündnis Syriza hervor, der den Sparkurs der vergangenen Jahre vehement ablehnt. Entsprechend energisch fiel im Anschluss an den Regierungswechsel die Rhetorik aus. Tsipras kündigte umgehend die Zusammenarbeit mit der Troika auf, dem Kontrollgremium aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF).
Mit scharfen Worten geißelte Athen die Auflagen der internationalen Hilfsgeber und verlangte Zugeständnisse bei Reform- und Sparvorgaben. Die Phalanx der Geberländer zeigte sich hingegen unnachgiebig. Ein Zusammenstoß drohte, ein Austritt der Hellenen aus der Währungsunion, der sogenannte Grexit, inklusive. Mit der Ende Februar erzielten Einigung auf die Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms schien diese Gefahr vorübergehend gebannt.
Allerdings lieferten sich zuletzt die Protagonisten erneut hitzige Wortgefechte. Der Konflikt wurzelt dabei in den ambitionierten Wahlversprechen von Syriza, die auf erheblichen Widerstand bei den internationalen Gebern stoßen. Die Entwicklung zeigt daher zwei Dinge: Erstens sind Wahlen weiter hochgradig kapitalmarktrelevant. Und zweitens bleibt ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion im Bereich des Möglichen - die Wahrscheinlichkeit steigt de facto mit jedem weiteren Tag politischer Auseinandersetzungen mit den Partnern der Eurozone an.
Kaum Reaktionen
an den Kapitalmärkten
Anders als in den Vorjahren reagierten die Kapitalmärkte gelassen. Nur im Falle griechischer Staatsanleihen gab es einen spürbaren Anstieg der Risikoaufschläge. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste Beruhigungsfaktor sind die Anleiheankäufe der EZB. Da ein beträchtlicher Teil der Schuldverschreibungen europäischer Staaten künftig von der Notenbank erworben wird, ist die Gefahr anziehender Renditen für die Problemländer in der Peripherie gesunken. Mit anderen Worten: Die EZB hat die Märkte spürbar beruhigt. Hinzu kommt, dass die Eurozone in den letzten Jahren eine Reihe von Vorkehrungen gegen eine Ausbreitung der Schuldenkrise getroffen hat, etwa durch den Rettungsschirm European Stability Mechanism (ESM) oder auch das Programm Outright Monetary Transactions (OMT) der EZB. Zudem haben viele Staaten ihre Haushaltslage verbessert, und das Konjunkturmomentum gewinnt auch angesichts von Strukturreformen graduell an Fahrt.
Allerdings gibt es keine Garantie, dass auch die kommenden Wahlen genauso entspannt aufgenommen werden. Dies gilt umso mehr, als die nächsten Urnengänge in wirtschaftlichen Schwergewichten der EU anstehen. Am 7. Mai wählen die Briten ein neues Unterhaus. Jenseits des Ärmelkanals hat die United Kingdom Independence Party (UKIP) starken Zulauf. Die Gruppierung um ihren Vorsitzenden Nigel Farage fordert den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, den "Brexit", und setzt damit auch Premier David Cameron von den konservativen Tories unter Druck, der ein Referendum über diese Frage versprochen hat. Je nach Wahlausgang dürfte die EU-Mitgliedschaft der Briten auf dem Prüfstand stehen. Eine größere Unsicherheit an den Kapitalmärkten wäre die Folge.
Ende September finden zudem vorgezogene Regionalwahlen in Katalonien statt. Das Gebiet mit seiner Metropole Barcelona gehört zu den wirtschaftsstärksten Landstrichen Spaniens. Ein beträchtlicher Teil der dortigen Bevölkerung befürwortet die Loslösung von Madrid und will eine in der spanischen Verfassung nicht vorgesehene Volksabstimmung darüber erzwingen. Gewinnen die Separatisten unter Regierungschef Artur Mas die Regionalwahl, dürfte die Initiative neuen Schwung erhalten. Mas hatte ein ursprünglich für den 9. November 2014 angesetztes Unabhängigkeitsreferendum mit Rücksicht auf die Verfassung abgesagt. Mit einem Wahlsieg im Rücken dürfte er sich in seinem Vorhaben jedoch bestärkt fühlen.
Dies gilt umso mehr, als im Dezember 2015 in ganz Spanien Parlamentswahlen anstehen. Auch dort dürfte die Frage nach der Loslösung einzelner Regionen eine Rolle spielen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Zwar hat Spanien unter dem Ministerpräsidenten Mariano Rajoy einen Großteil seines Reformstaus abgearbeitet - und der Kurs zeigt auch erste Wirkung. Im vierten Quartal 2014 verbuchte das Land mit einem Zuwachs von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das höchste Wachstum seit sieben Jahren. Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit mit 4,53 Millionen Menschen weiter deutlich oberhalb der Marke von 20 Prozent.
Vor diesem Hintergrund sind die Wahlchancen der erst im Frühjahr 2014 gegründeten Linkspartei Podemos stark gestiegen. Gleichzeitig sind in den Umfragen die Werte für die traditionell die spanische Politik seit der Franco-Diktatur bestimmenden Parteien - die konservative Partido Popular und die sozialdemokratische PSOE - zurückgegangen. Programmatisch teilt Podemos viele Forderungen mit der griechischen Syriza. Ein Wahlsieg könnte also die Auseinandersetzungen über den künftigen Kurs der Eurozone erneut anheizen.
Protest gegen Spar- und
Reformmaßnahmen
In fast allen EU-Ländern, in denen 2015 Wahlen stattfinden, haben also Gruppierungen an den Rändern des politischen Spektrums starken Zulauf. Im Gegenzug verlieren die Parteien der Mitte an Zustimmung. Gewissermaßen eine Ausnahme davon bildet am ehesten noch Portugal, wo im Oktober ebenfalls ein neues Parlament gewählt wird. Allerdings verstärkt sich auch hier der Protest gegen die Politik der Austerität, also der Spar- und Reformmaßnahmen.
Gleichzeitig ist jedoch gerade dieser Kurs maßgeblich für die Beruhigung der Euro-Schuldenkrise, auch wenn sich die wirtschaftlichen Erfolge erst langsam einzustellen beginnen. Eine Kehrtwende droht jedoch, das Erreichte aufs Spiel zu setzen. Aus Kapitalmarktsicht gilt es daher, die Entwicklung genau zu beobachten. Auch wenn zeitweilig die Schwankungen an den Börsen jederzeit zunehmen können, so überwiegen insgesamt die positiven Vorzeichen - vor allem angesichts der Politik der EZB.
Kurzvita
Frank Engels,
Leiter des Rentenfondsmanagements
von Union Investment
Der promovierte Volkswirt leitet das 46-köpfige Rententeam der Fondsgesellschaft Union Investment und ist dort für ein Portfoliovolumen von mehr als 50 Milliarden Euro verantwortlich. Zuvor arbeitete Engels unter anderem als Ökonom für den Internationalen Währungsfonds und als Länderexperte für Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Griechenland bei der Europäischen Zentralbank. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken mit aktuell mehr als 230 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen.
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