Ökonom Hellwig: "90 Prozent liegen noch vor uns"
Trotz Bankenunion und Stresstest glaubt Martin Hellwig nicht, dass die Geldhäuser richtig reguliert sind, um eine neue Finanzkrise zu verhindern.
von Alexander Sturm, Euro am Sonntag
Für Deutschlands Banken zählt Martin Hellwig zu den unangenehmsten Kritikern: Regelmäßig fordert der frühere Vorsitzende der Monopolkommission eine drastische Regulierung. Erst vor einigen Tagen kritisierte er, der europäische Bankensektor sei zu groß, krisenanfällig und stifte kaum einen volkswirtschaftlichen Nutzen.
€uro am Sonntag: Angela Merkel sagte, seit der Finanzkrise 2008 habe man 80 Prozent des Weltfinanzsystems reguliert. Stimmen Sie zu?
Martin Hellwig: Nein. Wir haben eher zehn Prozent geschafft, uns zu 80 Prozent mit Seitenabstechern beschäftigt und werden bald feststellen, dass 90 Prozent des eigentlichen Wegs vor uns liegen.
Was fehlt denn noch?
Wir haben zum Beispiel kein handhabbares Instrument, um systemrelevante Banken abzuwickeln. Deshalb werden wir Angst haben, sie abzuwickeln, wenn sie in Schwierigkeiten kommen. Stattdessen wird wieder der Steuerzahler einspringen.
Aber die EU hat doch nun einen Abwicklungsmechanismus beschlossen, inklusive eines 55 Milliarden Euro schweren Abwicklungsfonds.
Ja, aber dieser Fonds leistet nicht das, was wir brauchen. Um systemrelevante Funktionen von Banken wenigstens zeitweise weiterzuführen, braucht man Geld. Der Fonds aber kann die laufende Finanzierung nicht decken: Allein die Deutsche Bank hat Verbindlichkeiten von fast 1,6 Billionen Euro, viele davon werden sehr kurzfristig finanziert. Bei der Commerzbank sind es Hunderte Milliarden.
Zur Bankenunion zählt auch eine europäische Aufsicht und der Stresstest der EZB. Hilft der weiter?
Ja und nein. Der Stresstest ist härter als der vorherige. Aber er erfasst nicht Zweitrundeneffekte, wenn als Folge eines Schocks mehrere Geschäftspartner ausfallen. Auch der Fall, dass in Krisen Vermögenswerte auf breiter Front sinken, weil Banken etwa Aktien abstoßen, wird nicht berücksichtigt.
Was ist dann die Lösung?
Die Banken brauchen dringend mehr Eigenkapital: mindestens 20 Prozent der Bilanzsumme. Die jetzige Regulierung sieht eine Eigenkapitalquote von drei Prozent vor. Das ist etwa so viel, wie Lehman Brothers kurz vor der Pleite hatte. Welche Bank würde denn einer Firma, die nur drei Prozent Eigenkapital hat, einen Kredit geben?