Folker Hellmeyer über Crash-Gefahren, Gold und die EZB-Politik
Der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank äußert Zweifel an der Geldpolitik der EZB. Die europäischen Aktienmärkte und Gold bewertet er positiv.
von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, der Dax hat sich in den vergangenen Wochen mit großen Schritten daran gemacht, seinen Durchhänger nach dem Brexit-Votum der Briten vollständig zu egalisieren. Wo sehen Sie Crashgefahren und wo Chancen für die Aktienmärkte im zweiten Halbjahr?
Folker Hellmeyer: Im internationalen Vergleich sind die europäischen Aktienmärkte mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis, das 20 bis 30 Prozent unter dem historischen Durchschnitt liegt, sehr niedrig bewertet. Dazu kommen hohe Dividendenrenditen von mehr als 3,5 Prozent. Diese niedrige Bewertung hat dazu geführt, dass wir die Delle durch das Brexit-Referendum sehr schnell haben ausbügeln können. Das war auch so zu erwarten. Wir bewegen uns jetzt beim DAX wieder auf Niveaus, die sich den Jahreshöchstständen vom Januar annähern. Durch diese rasante Aufholjagd sehe ich kurzfristig nur bedingt Potenzial auf der Oberseite, ich halte ein Backtesting der 10.000er-Marke für durchaus wahrscheinlich. Aber grundsätzlich bewerte ich die Aktienmärkte positiv in Richtung Jahresende. 11.000 Punkte sind aus meiner Sicht eine sehr moderate Prognose.
Wie beurteilen Sie die Halbjahresberichte der Unternehmen?
Die Lage der Unternehmen muss immer differenziert und branchenspezifisch betrachtet werden. Aber grundsätzlich haben wir ein Grundrauschen von drei Prozent Wachstum in der Weltwirtschaft - das schlägt erst mal positiv auf die global operierenden Unternehmen durch. In den USA sehen wir zwar das fünfte Quartal in Folge eine Gewinnrezession, aber die USA sind für mich hier nicht der entscheidende Markt, ich konzentriere mich mehr auf Europa: Und hier ergibt sich überwiegend ein positives Bild, das weitestgehend die Erwartungen erfüllt. Damit ist in Europa die Stabilität der Dividendenrenditen und der Kurs-Gewinn-Verhältnisse gegeben.
Die wieder aufgeflammte Bankenkrise in Italien hat in letzter Zeit für viel Unruhe gesorgt. Wie gefährlich ist die Situation aus Ihrer Sicht?
Die Situation ist als kritisch zu bewerten bezüglich der Ansprüche, die wir jetzt an den Bankensektor in Europa haben. Fakt ist, dass die Kernkapitalquoten bis 2007 mit vier Prozent haftendem Eigenkapital ausreichend waren. Heute haben wir den Anspruch von neun Prozent. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die Probleme im italienischen Bankensektor mit einem Rekapitalisierungsbedarf von ca. 40 Milliarden Euro. Die Situation ist also nicht prekär, deshalb lehne ich den Begriff "gefährlich" ab. Ich sehe nicht, dass sich hieraus ein Flächenbrand innerhalb der Eurozone entwickelt, sondern es bleibt ein isoliertes Problem, für das eine Lösung absehbar ist.
Mit der Niedrigzinspolitik der EZB wurden definitiv positive Dinge erreicht, beispielsweise Rückenwind für den Export der Euroländer aufgrund der Euroschwäche. Jetzt werden aber auch die negativen Effekte der EZB-Politik allzu deutlich: die Schwächung des Bankensystems und die Vermögensverluste für Millionen Privatanleger. Wie stark ist die Glaubwürdigkeit der EZB schon in Mitleidenschaft gezogen?
Tatsächlich ergab sich durch die Niedrigzinspolitik der EZB ein positiver Impuls für die Stabilität der Wirtschaft der Eurozone. Fakt ist aber, dass die strukturellen Opportunitätskosten, die sich aus einer Verschärfung dieser Politik ergeben, in einem Missverhältnis zu dem potenziellen Nutzen stehen, der daraus gezogen werden kann. Die Destabilisierung des Finanzsektors durch das Niedrigzinsniveau - und hier reden wir nicht nur von Banken und deren Depot-A-Geschäft, sondern auch von Versicherungen und großen Pensionskassen - führt dazu, dass die EZB-Zinspolitik auf den Prüfstand gestellt werden muss. Ich gehe davon aus, dass die EZB bis 2017/2018, auch vor dem Hintergrund einer sich dann verschärfenden Inflation, sukzessive ein Ausstiegsszenario aus der ultralockeren Zinspolitik finden muss.
Die Politik der Niedrigzinsen stößt an ihre Grenzen, am Ende helfen nur harte Strukturreformen und eine nachhaltige Investitionstätigkeit, um das Wachstumsproblem in der westlichen Welt zu lösen. Diesen Gedanken kann man sehr wohl als Kritik an der Politik der USA, Japans und Großbritanniens in den vergangenen acht Jahren werten und als Lob für die gemachten Reformen in der Eurozone und gegenüber China und den anderen aufstrebenden Ländern, die jetzt mit Investitionsmaßnahmen im Rahmen der Seidenstraße einen anderen Weg gehen.
Über 15 Billionen an Staatsanleihen rentieren aktuell im negativen Terrain - das heißt, die Käufer dieser Papiere bezahlen die Schuldner. Wer kauft diese Anleihen?
Diese Anleihen werden maßgeblich von institutionellen Investoren gekauft, die auch über die Regulierung gezwungen werden, solche Papiere zu halten. Der Finanzsektor ist in der Finanzkrise vom Staat gerettet worden. Und jetzt wird über diese Repression, die am Zinsmarkt stattfindet, die Staatsfinanzierung, die in ein Ungleichgewicht gekommen ist, wieder in nachhaltiges Fahrwasser geführt. Der Finanzsektor zahlt jetzt im Grunde genommen die Zeche für die Unterstützung des Staates in der Finanzkrise. Der Privatsektor fällt als Käufer für diese Anleihen gänzlich aus. Das Ganze bewerte ich als eine Anomalie. Mittelfristig wird der Anteil der Staatsanleihen mit Negativverzinsung wieder rückläufig sein.
Die Fed hat sich wieder nicht getraut, die Zinsen zu erhöhen, obwohl auch die jüngsten Konjunkturdaten die Erwartungen aller Ökonomen übertroffen haben. Ist das aus Ihrer Sicht die richtige Entscheidung?
Der Grund für die zögerliche Haltung der Fed in der Zinspolitik ist eindeutig in der strukturellen Schwäche der US-Wirtschaft zu sehen. Die kleinen Wachstumspflänzchen wurden in der Vergangenheit nur mit drastischer Schuldenausweitung erzielt. Der Konsumaufschwung in den USA, der für 70 Prozent der Wirtschaftsleistung dort verantwortlich ist, basiert nicht auf wiederkehrenden Einkommen - wie beispielsweise in der Eurozone -, sondern maßgeblich auf Kredit. Ich gehe davon aus, dass vor diesem Hintergrund die Zinspolitik der Fed viel zögerlicher ausfallen wird, als die Märkte derzeit unterstellen. Ich schließe nicht aus, dass die Federal Reserve früher oder später wieder quantitative Maßnahmen ergreifen wird.
Die Ölpreise haben in den vergangenen Tagen wieder deutlich nachgegeben. Welche Entwicklung erwarten Sie hier in den kommenden Monaten?
Wir sehen jetzt eine Korrektur des Anstiegs von zirka 30 Dollar auf 50 Dollar. Das ist keine Trendwende hin zu niedrigen Kursen. Ich schließe zwar in den kommenden Wochen eine kurzfristige Fortsetzung dieser Korrekturbewegung nicht aus, danach sollte der Ölpreis aber wieder anziehen: Perspektivisch werte ich 40 Dollar als Boden für den Ölpreis - und 60 bis 65 Dollar ist die obere Grenze der Bandbreite, in der wir uns bewegen.
Wie bewerten Sie die Aussichten für Gold und wie hoch sollte der Edelmetallanteil im Depot sein?
Die Edelmetalle haben in diesem Jahr sehr gut performt. Beim Gold haben wir Höchstpreise von 1.380 Dollar gesehen. Ähnlich wie beim Öl sind wir hier gerade in einer Korrekturbewegung. Für mich ist die Aufwärtsbewegung der Edelmetallpreise damit aber keinesfalls beendet. Ich sehe maximal ein Potenzial von 20 bis 50 Dollar in einer möglichen Fortsetzung der Korrektur, um dann wieder in eine nachhaltige Aufwärtsbewegung einzutreten. Der Anteil der Edelmetalle am frei verfügbaren Vermögen sollte bei mindestens fünf und bei maximal 20 Prozent angesiedelt sein.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank