Dirk Müller: "Ein Handelskrieg würde einen Crash bei DAX und Dow Jones wahrscheinlicher machen"
Mr. DAX spricht im Interview über einen drohenden Handelskrieg, die Politik der Fed und den Goldpreis.
von Benjamin Summa
Herr Müller, die vergangenen Monate an der Börse waren geprägt von der Furcht vor dem Anziehen der Inflation und der Zinsen. Nun kommt - Trump sei Dank - die Angst vor einem sich zuspitzenden Handelskrieg dazu. Wie bewerten Sie die Lage an den Aktienmärkten momentan?
Dirk Müller: Diese Kombination von Sorgen ist berechtigt und auch weiterhin im Markt. Derzeit beruhigen sich die Märkte zwar wieder, der US-Aktienmarkt nähert sich sogar schon den Hochs, Europa hinkt hier mittlerweile deutlich hinterher. Aber wenn der Handelskrieg Realität werden wird, also viele Länder mit Gegenmaßnahmen auf die protektionistischen Töne aus den USA reagieren werden, dann würden sich die Perspektiven für die Weltwirtschaft deutlich eintrüben. Ein Crash an den Aktienmärkten würde dann wahrscheinlicher. Das noch größere Risiko sehe ich in China: Dort sehen wir eine unglaublich fragile Wirtschaftsstruktur, die über 20 Jahre aufgebaut worden ist. Die ersten großen chinesischen Konzerne wie Wanda, HNA und andere stecken bereits in Zahlungsschwierigkeiten. Mit steigenden Zinsen verschärft sich deren Lage dramatisch, denn für sie verteuern sich die Milliardenkredite, die sie auch in US-Dollar aufgenommen haben.
Wie beurteilen Sie die Aktien-Bewertungen dies- und jenseits des Atlantiks?
Natürlich sind die US-Aktien sportlich bewertet. In der Berichterstattung wird meines Erachtens aber viel zu oft nur aufs KGV geschaut. Dieses gibt allerdings ein nur sehr verzerrtes Bild der Realität wieder, denn es berücksichtigt nicht das Wachstum der Unternehmen. Wenn Unternehmen mit 20 Prozent wachsen, was im digitalen Bereich häufig vorkommt, dann ist ein relativ hohes KGV schnell abgebaut. Demgegenüber bleibt ein leicht erhöhtes KGV von Unternehmen, die nicht wachsen, auch perspektivisch hoch. Die amerikanischen Unternehmen haben ein deutlich stärkeres Wachstum, weil sie viel mehr im Technologiesektor unterwegs sind, während die europäischen Firmen mehr im traditionellen Industriesektor zu finden sind. Hinzu kommt, dass US-Unternehmen in ihrer internationalen Strategie viel erfolgreicher sind. Das liegt nicht daran, dass sie klüger sind als die europäische Konkurrenz, sondern daran, dass ihre Regierung eine viel aggressivere Wirtschaftspolitik fährt, die bereit ist, den eigenen Leuten den Wettbewerb vom Hals zu halten. In Europa hingegen wird nicht selten Wirtschaftspolitik gegen die eigenen Unternehmen gemacht. Ich habe in meinem Fonds auch einen höheren Anteil an US-Unternehmen, weil die Bilanzen unter Berücksichtigung all dieser genannten Kriterien eine robustere Struktur haben. Aber dies steht natürlich unter dem Vorbehalt eines weiter steigenden Wachstums. Wenn sich die Aussichten eintrüben und sich das Weltwirtschaftswachstum reduziert, dann ist diese Kalkulation Makulatur.
Bitte erläutern Sie, welche Strategie Sie derzeit bei Ihrem eigenen Fonds verfolgen?
Bei uns funktioniert es ja so, dass wir, wenn wir auf Höchstkursen sind, keine Absicherung haben und die Gewinne nach oben mitnehmen. Aber nach unten sind wir dann abgesichert. Das hat dazu geführt, dass wir uns bei der Korrektur Anfang Februar sehr stabil halten konnten. Als sich dann eine Bodenbildung abzeichnete, haben wir aber auch rechtzeitig die Absicherungen wieder aufgelöst. Das Timing hat sehr gut gepasst. Seit Januar 2017 bis heute haben wir den Index mit unserer Strategie deutlich geschlagen. Zur Stunde sind die Absicherungen wieder aktiv, hier ist derzeit schnelles Reagieren wichtig.
Europa wurde über Jahre fast ausschließlich mit der Verschuldungskrise, dem Brexit und den von Populisten angestimmten europakritischen Tönen in Zusammenhang gebracht. Seit Kurzem scheint der Euroraum für Investoren wieder attraktiver zu werden. Wie ist Ihre Lesart hierzu?
Die Angst davor, dass Populisten Europa sprengen könnten, war medial völlig übertrieben. In den allermeisten Ländern hatten sie bei den Wahlen wenig Erfolg. Selbst in Griechenland wurde die Syriza-Regierung sehr schnell vom Establishment wieder eingefangen. Das Thema "Eurokrise" ist für mein Dafürhalten aber nach wie vor vital. Die Spannungen aufgrund der Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten der EU bauen sich weiterhin auf. Das ist auch der Grund dafür, dass die EZB die Zinsen auf absehbare Zeit gar nicht erhöhen kann. Die Eurokrise ist nicht weg, sie wurde nur durch die Geldschwemme der Notenbanken unter der Decke gehalten. Aber eines stimmt auch: Viele Investoren realisieren, dass die Zukunftsmusik nicht unbedingt in den USA spielt, sondern auf dem eurasischen Kontinent. Hier ist in erster Linie das chinesische Projekt zum Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes zwischen China, weiteren Ländern Asiens, Europa und einigen Ländern Afrikas zu nennen. Europa ist also nicht der sterbende Kontinent. Europäische Unternehmen werden von Infrastrukturprojekten in den kommenden Jahrzehnten enorm profitieren.
Die US-Notenbank ist wohl bereit, ihre ultralockeren Maßnahmen zu reduzieren, nachdem die Märkte jahrelang mit Geld überschwemmt worden sind. Werden die Kurse aus Ihrer Sicht dadurch nachhaltig unter Druck geraten?
Das ist eine ganz große Gefahr. Steigende US-Zinsen werden am Ende der Auslöser für das große Beben sein. Die Aktienmärkte wurden seit 2009 durchgehend von der lockeren Geldpolitik der Notenbanken getrieben, die zunehmenden Geldmengen liefen parallel zu den Rekordständen der Indizes. Wenn die Fed netto bald mehr Geld aus dem Markt abzieht, als die EZB hineinpumpt, dann wird sich das stark auswirken. Dazu sehen wir in den USA die Studenten- und Automobilkredite auf Rekordniveau. Das sind häufig Kredite mit sehr schwachen Schuldnern. Steigende Zinsen werden sofort zu einer steigenden Anzahl von Kreditausfällen führen. Steigende Zinsen sind meines Erachtens die größte Gefahr für die globale Finanzstabilität.
Die EZB hingegen ist verdammt spät im Anpassungszyklus. Welche Politik erwarten Sie vonseiten der Europäischen Zentralbank?
Unter Draghi ist keine neue Politik zu erwarten, da er die italienischen Banken und Schuldner - koste es, was es wolle - in Schutz nehmen muss. Ob Jens Weidmann als möglicher Nachfolger an der Spitze der EZB das genauso handhaben wird, das bleibt abzuwarten.
Das Gold hat von der teils heftigen Korrektur an den Weltbörsen Anfang Februar und bei den Kryptowährungen Anfang März nicht profitiert, das Edelmetall tendiert seitdem auch eher schwächer. Worauf führen Sie das zurück?
Der gesamte Edelmetallsektor ist momentan nicht im Fokus der Investoren. Wir sehen bei Gold seit 2017 den Ausbruch aus dem seit 2011 währenden Abwärtstrend. Jetzt stabilisiert sich der Preis auf relativ hohem Niveau zwischen 1.300 und 1.350 Dollar. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Gold zieht in den kommenden Monaten deutlich über 1.350 Dollar an, dann wären weiter steigende Kurse wahrscheinlich. Oder der Abwärtstrend wird noch einmal von oben kommend getestet. Dann wäre ein Abrutschen bis auf 1.200 Dollar möglich.
Beim Blick auf die Minenwerte zeigt sich, dass diese dem Goldpreis noch weiter hinterherhinken. Sie sind auf einem Niveau, das einem Goldpreis von 1.200 Dollar entspricht. Dabei sind die Minen durchaus profitabel und machen gute Geschäfte. Auch hier sehen wir jetzt entweder eine kleine Rally, nach der die Minenbewertungen dem heutigen Niveau des Goldpreises entsprechen, oder der Goldpreis passt sich dem Niveau der Minenwerte an. Wie gesagt: Es gibt momentan keinen Hype um Edelmetalle. Das kann man auch positiv bewerten, denn man sollte ja investieren, wenn nicht alle investieren.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Dirk Müller