Institute senken Wachstumsprognose erneut deutlich
Die deutschen Konjunkturforscher sehen das Wachstum noch einmal klar pessimistischer als im Frühjahr.
"Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose für Deutschland deutlich nach unten korrigiert", teilte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit, das die Federführung für das neue Herbstgutachten der Ökonomen hat. Die Forscher erwarten darin nun für 2019 einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,5 Prozent, nachdem sie im Frühjahr 0,8 Prozent Wachstum vorausgesagt hatten.
Für 2020 senkten die Institute ihre Prognose deutlich. Sie gehen nun nur noch von 1,1 Prozent Wachstum aus. In ihrem Frühjahrsgutachten hatten die Ökonomen noch 1,8 Prozent prognostiziert. Die Aussagen einzelner der Institute, die die "Gemeinschaftsdiagnose" erstellen, hatten bereits auf eine Abwärtsrevision hingedeutet - mehrere von ihnen hatten jüngst bereits ihre Prognosen zurückgenommen. Für 2021 sagen die Institute in ihrem Gutachten dann ein BIP-Plus von 1,4 Prozent voraus.
"Die Gründe für die konjunkturelle Abkühlung sind in erster Linie in der Industrie zu suchen", erklärten die Wirtschaftsforscher in ihrem Gutachten unter dem Titel "Industrie in der Rezession - Wachstumskräfte schwinden". Eine regelrechte Konjunkturkrise erwarten sie aber ebensowenig, wie sie kurzfristige Konjunkturprogramme propagierten. "Eine Konjunkturkrise mit einer ausgeprägten Unterauslastung der deutschen Wirtschaft ist somit trotz rückläufiger Wirtschaftsleistung im Sommerhalbjahr 2019 nicht zu erwarten, wenngleich die konjunkturellen Abwärtsrisiken derzeit hoch sind", erklärten sie.
Industrie in der Rezession
Verantwortlich für die schwache Entwicklung seien die nachlassende weltweite Nachfrage nach Investitionsgütern, auf deren Export die deutsche Wirtschaft spezialisiert sei, politische Unsicherheit und strukturelle Veränderungen in der Automobilindustrie. Die Finanzpolitik stütze hingegen die gesamtwirtschaftliche Expansion. In der Industrie sei die Produktion seit Mitte vergangenen Jahres rückläufig, da sich die Nachfrage insbesondere nach Investitionsgütern in wichtigen Absatzmärkten abgeschwächt habe.
"Die deutsche Industrie befindet sich in einer Rezession, die inzwischen auch auf die unternehmensnahen Dienstleister durchschlägt", erklärte DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. "Dass die Wirtschaft überhaupt noch expandiert, ist vor allem auf die anhaltende Kauflaune der privaten Haushalte zurückzuführen, die von den guten Lohnabschlüssen, Steuererleichterungen und Ausweitungen staatlicher Transfers gestützt wird."
Seit dem Frühjahr hätten sich die Risiken für die deutsche und die weltweite Konjunktur allerdings verschärft. Weltweit blieben die politischen Unwägbarkeiten bestehen und belasteten über die Investitionsbereitschaft der Unternehmen den Außenhandel. Hoch seien vor allem die Risiken, die von einer Eskalation des US-chinesischen Handelskonflikts ausgingen. "Aber auch ein ungeregelter Brexit hätte Kosten", betonte Michelsen. Das BIP würde in Deutschland dadurch für sich genommen im kommenden Jahr um 0,4 Prozent niedriger ausfallen als bei einem geregelten Austritt.
Der Beschäftigungsaufbau verliere als Folge der konjunkturellen Abkühlung an Fahrt. Die Arbeitslosenzahl steigt nach den Berechnungen der Forscher im Jahr 2020 auf 2,315 Millionen von 2,276 Millionen in diesem Jahr und die Arbeitslosenquote auf 5,1 Prozent von 5,0 Prozent. 2021 dürfte die Zahl der Arbeitslosen dann wieder auf 2,262 Millionen und die Quote auf 4,9 Prozent sinken. Die Verbraucherpreise werden demnach weiterhin nur moderat um 1,4 Prozent im Jahr 2019, 1,5 Prozent im Jahr 2020 und 1,6 Prozent im Jahr 2021 zulegen.
Kein Bedarf für Konjunkturmaßnahmen
Die Ökonomen betonten, die für 2020 erwartete Expansionsrate des BIP überzeichne die tatsächliche konjunkturelle Dynamik, weil rund 0,4 Prozentpunkte allein auf eine höhere Zahl an Arbeitstagen zurückzuführen seien. Für das Jahr 2021 rechneten die Institute wieder mit Quartalsraten nahe dem Potenzialwachstum. Im Großen und Ganzen würden die Produktionskapazitäten über den gesamten Prognosezeitraum hinweg in etwa normal ausgelastet sein.
Vor diesem Hintergrund sehen die Institute "angesichts der konjunkturellen Lage keinen Bedarf für kurzfristig angelegte Interventionen der Wirtschaftspolitik". Die im Abgaben- und Transfersystem verankerten automatischen Stabilisatoren seien weiterhin ausreichend, um die möglichen negativen Übertragungseffekte auf die konsumnahen Wirtschaftsbereiche stabilitätsgerecht abzufedern. Nicht zu rechtfertigen seien vor allem Maßnahmen, die die vorzeitige Verschrottung langlebiger Konsumgüter durch staatliche Subventionen anreizten - also "Abwrackprämien".
Zur Klimapolitik betonten die Ökonomen, diese erfordere einen Konsumverzicht der heutigen Generationen zugunsten von Investitionen in emissionsärmere Energieerzeugung und in die Verkehrsinfrastruktur. Die Institute empfahlen im Gegensatz zu den jüngsten Plänen der Bundesregierung, "einen adäquaten, einheitlichen Preis für CO2 als zentrales Instrument der Klimapolitik anzustreben".
BERLIN (Dow Jones)
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