Chapter 11 vs. deutsche Insolvenz: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Stellt ein Unternehmen in den USA einen Insolvenzantrag, so ist oft von Chapter 11 die Rede. Doch was ist Chapter 11 überhaupt und worin unterscheidet sich dieses Verfahren vom deutschen Insolvenzrecht?
• Chapter 11 ähnelt deutschem Eigenverwaltungsverfahren
• Chapter 11 greift schon vor der Insolvenz
• US-Verfahren kann sehr komplex und teuer werden
Als Gründe für eine Insolvenz kommen in Deutschland eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit in Frage. Dabei ist zu beachten, dass ein Unternehmen bereits dann als zahlungsunfähig gilt, wenn es "10 Prozent seiner fälligen Forderungen in absehbarer Zeit nicht wird begleichen können", zitiert "FINANCE" den Insolvenzverwalter Michael Pluta. Von einer Überschuldung ist hingegen die Rede, wenn das Vermögen des Unternehmens nicht mehr ausreicht, um dessen Verbindlichkeiten zu decken. Grundsätzlich ist ein Insolvenzantrag zwingend erforderlich, wenn die sogenannte Fortbestehensprognose für ein Unternehmen negativ ausfällt.
Regelinsolvenz oder Eigenverwaltung
Im deutschen Recht übernimmt bei der Regelinsolvenz ein Insolvenzverwalter das Ruder - seine oberste Aufgabe besteht darin, die Interessen der Gläubiger zu schützen. Doch oftmals entscheiden sich kriselnde Firmen auch für eine Insolvenz in Eigenverwaltung, bei der das Management des Unternehmens weiterhin am Steuer bleibt.
Während eine Regelinsolvenz meist mit dem Verkauf oder der Liquidation des Unternehmens endet, wird bei der Eigenverwaltung dessen Sanierung und Erhalt anvisiert. Im Rahmen eines Insolvenzplans, dem die Gläubiger zustimmen müssen, wird geplant, wie das kriselnde Unternehmen künftig neu aufgestellt werden soll. Die Eigenverwaltung erfolgt dabei unter Beteiligung des bisherigen Managements, das sich jedoch insolvenzrechtlich beraten lassen soll. Zudem wird der Geschäftsführung ein Sachwalter an die Seite gestellt, der zwar im Auftrag des Gerichts darauf achtet, dass die Rechte der Gläubiger gewahrt werden, im Gegensatz zu einem Insolvenzverwalter in der Regelinsolvenz jedoch nicht über das Vermögen des Schuldners verfügen darf.
Der Sachwalter prüft auch, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung vorliegen. So darf die Eigenverwaltung beispielsweise keine Nachteile für die Gläubiger mit sich bringen. Außerdem muss die Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung bestehen. "Nur wenn das Gericht die Pläne zur Fortführung des Unternehmens für glaubwürdig und nachvollziehbar hält, wird es einer Eigenverwaltung zustimmen", erklärte Robert Buchalik, Geschäftsführender Gesellschafter der Kanzlei Buchalik Brömmekamp, gegenüber "FINANCE".
Was ist Chapter 11?
Bei Chapter 11 handelt es sich um ein US-Verfahren, das große Ähnlichkeit mit dem deutschen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung aufweist. Auch hierbei geht es darum, ein Unternehmen in Eigenverwaltung zu sanieren. Während sich das verschuldete Unternehmen unter Chapter 11 befindet, erarbeitet es gemeinsam mit seinen Gläubigern einen Restrukturierungsplan, der dann von einem Gericht geprüft wird. Um eine erfolgreiche Sanierung zu gewährleisten dürfen neue Investoren oder neues Kapital aufgenommen werden, diese neuen Gläubiger haben dann Vorrang vor den alten Kreditgebern.
Unterschiede zwischen Chapter 11 und deutscher Eigenverwaltung
Im Gegensatz zum deutschen Eigenverwaltungsverfahren ermöglicht Chapter 11 in den USA jedoch auch eine präventive Sanierung, d.h. das betreffende Unternehmen muss technisch nicht insolvent sein. "Anders als hierzulande können Unternehmen in den USA den Insolvenzantrag jederzeit stellen - das heißt, auch wenn keine Überschuldung vorliegt oder dem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit droht. Es gibt jedoch eine Ausnahme für missbräuchliche Anträge", erklärte Annerose Tashiro, Leiterin der internationalen Restrukturierungsabteilung von Schultze & Braun, laut "FINANCE".
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass es bei Chapter 11 keinen Sachwalter oder eine vergleichbare Person gibt, die das Verfahren überwacht. Stattdessen wird in den USA "jeder einzelne Schritt des Schuldnerunternehmens […] vom Gericht und dem Gläubigerausschuss genau geprüft." Und weiter: "Das ergibt einen unglaublichen Wust von Anträgen und Stellungnahmen. Das macht das Verfahren sehr viel aufwendiger, komplexer und auch teurer als die Eigenverwaltung."
Wie die Expertin weiter erklärt, kann ein Chapter 11-Verfahren auch deshalb sehr teuer und komplex werden, weil sich der Gläubigerausschuss zu sämtlichen Maßnahmen und Schritten, die die Insolvenzmasse betreffen, formell äußern darf und außerdem berechtigt ist, einen eigenen Anwalt oder Finanzberater einzustellen. Die Kosten werden von der Insolvenzmasse getragen. Besonders sei auch, dass es mehrere Ausschüsse geben kann, so seien neben dem "normalen" für die ungesicherten Gläubiger unter anderem auch Gläubigerausschüsse für die Anleihebesitzer oder die Equity-Holder möglich.
Ein Vorteil von Chapter 11 ist nach Ansicht von Tashiro hingegen, dass es ermöglicht, die Einzelverfahren mehrerer insolventer Gesellschaften in einem übergeordneten Verfahren administrativ zusammenzufassen. "Dann gibt es ein Leit-Verfahren, einen Insolvenzplan und eine Anhörung für alle. Das geht in Deutschland leider nicht, hier muss ein Konzern für jede einzelne Gesellschaft ein eigenes Verfahren durchführen und insbesondere die Insolvenzpläne jeweils einzeln erstellen und aufeinander abstimmen." Doch "bis auf [diesen] einen Punkt ist der Werkzeugkasten an deutschen Insolvenzverfahren genauso gut gefüllt wie in den USA", lautet das Fazit der Expertin.
Redaktion finanzen.net
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