Ex-Guru Peter Kabel: Der verglühte Zampano
Peter Kabel war einer der Helden der New Economy Anfang des Jahrtausends. Schneller Aufstieg und noch rasanterer Absturz machten ihn zur Symbolfigur für den Neuen Markt.
von Peter Balsiger, €uro am Sonntag
Peter Kabels Geschichte, die Geschichte über seinen fast unglaublich klingenden Aufstieg und sein schnelles Scheitern, gilt als Fallbeispiel für die New Economy zu Beginn des neuen Jahrtausends. Kabel träumte von einer neuen Ökonomie, er war angetreten, um der deutschen Wirtschaft einen neuen, amerikanisch geprägten Lifestyle einzupflanzen. Ein Lifestyle, der - so schrieb "Der Spiegel" später - "sensibel, jugendlich und voller Soul war, er bestand aus Nachtarbeit und geilen Festen. Wenn Kanzler Schröder sagte, Deutschland habe sich zu einem Gründerland entwickelt, dann hatte er Menschen wie Peter Kabel im Sinn".
Wer ist dieser Mann, der zu Beginn des neuen Jahrtausends an eine wirtschaftliche Revolution glaubte - und warum ist er nach nur knapp zwei Jahren so spektakulär gescheitert?
Peter Kabel, 1962 in Stuttgart als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren, studierte nach dem Abitur in Hamburg Philosophie und Visuelle Kommunikation. Er bewegte sich damals in der linken Szene, trug orangefarbene Trainingsanzüge und entwarf Plakate für die von militanten Alternativen besetzte Hamburger Hafenstraße.
Im Jahr 1985 gründete er ein Büro für Designberatung und später mit vier Mitarbeitern die Multimediaagentur Kabel New Media. Es sollte ein cooles Unternehmen nach amerikanischem Vorbild werden und die Geschäftsauftritte großer Firmen im Internet gestalten. Nebenher lehrte Peter Kabel an der Fachhochschule Hamburg als Professor für Kommunikationsdesign. Es war die Zeit des beginnenden Hypes um die New Economy und die Internetrevolution. Kabel habe sich als globaler Businesstyp verstanden, sagt sein damaliger Geschäftspartner Peter Wippermann über ihn. Er habe eine große Welle ankommen sehen, "und er wollte schnell draufspringen und vorne mitsurfen".
1999 brachte Kabel seine Firma an den Neuen Markt, zum Ausgabepreis von umgerechnet 6,15 Euro je Aktie. Rund 26 Millionen Euro spülte der Börsengang in die Kasse von Kabel New Media. Peter Kabel war, wie "Der Spiegel" schrieb, "zusammen mit Paulus Neef von Pixelpark und Thomas Haffa von EM.TV einer der drei großen Zampanos der New Economy. Der Unterschied zwischen Kabel, Neef und Haffa bestand darin, dass die Anzüge, die Kabel trug, noch besser waren als die Anzüge von Neef und Haffa."
Das Unternehmen, das seinen Sitz in der Alten Pianofabrik hatte, einem renovierten Altbau im linken Hamburger Schanzenviertel, wuchs unglaublich schnell. Ein zweites Haus mit fünf Etagen wurde dazugemietet. Kabel New Media arbeitete jetzt für die ersten Adressen: BMW, Siemens, Karstadt, Henkel, Dresdner Bank, ProSiebenSat.1, Lufthansa, McDonald’s.
"Das Schöne an der deutschen Wirtschaft war, dass ihre Manager noch immer nicht genau wussten, was Internet ist", mokierte sich damals "Der Spiegel". "Sie meinten, sie seien auf der Höhe der Zeit, wenn sie es hinkriegten, eine E-Mail zu verschicken. Was sonst noch alles ging, erzählte ihnen Peter Kabel. Er sprach zum Beispiel vom denkenden Kühlschrank, der übers Internet beim Lieferservice Milch bestellt."
Kabel war jetzt ein Star der Szene. Sein Foto zierte Plakate, man nannte ihn den "Wanderprediger des Internets". Das Jahr 2000 markierte den Höhepunkt seiner märchenhaft anmutenden Karriere: Er wurde "Entrepreneur des Jahres", hatte innerhalb von 18 Monaten elf Unternehmen aufgekauft, unterhielt Büros in München, Wien, Stockholm, London und New York mit insgesamt über 1.000 Mitarbeitern. In seinen besten Zeiten musste er wegen der großen Nachfrage Aufträge ablehnen.
Die Börse bewertete Kabel New Media zu Hochzeiten mit mehr als einer Milliarde Euro, die Aktie war zeitweise 80 Euro wert. Das Kabel-Papier galt als sichere Kaufempfehlung - aber was Kabel genau machte, wussten wohl die wenigsten von denen, die die Aktie kauften.
Als sich der Wind an den Märkten drehte, erwischte es auch Peter Kabel. Sein Unternehmen steckte mittendrin in diesem Gewitter, das über der New Economy aufgezogen war. Es hatte mit der schlechten Stimmung zu kämpfen, die sich aus Liquiditätsproblemen, Gewinnwarnungen und Todeslisten im Neuen Markt nährte. Der Zusammenbruch kam 2001. Die Aktie fiel innerhalb eines Jahres um 90 Prozent, Kabel war gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen. Im Juni musste die Firma Insolvenz anmelden.
Deutschland runderneuert
Die Pleite von Kabel New Media bezeichnete "Der Spiegel" als die "Grablegung einer Idee, die glaubte, sie sei eine Revolution": Die Betonmauern der Weltökonomie sollten in diesem Sommer 2000 gesprengt werden, angeführt von einer neuen Generation von Gründern, die für Gerhard Schröders runderneuertes Deutschland standen, für Leistung, die sich tatsächlich wieder lohnte.
Als Hautgrund für das Scheitern von Kabel New Media sahen Experten später die zu schnelle Expansion. Das Firmengeflecht war unüberschaubar geworden. Zudem gehörte das Unternehmen nicht zu jenen, die zum Börsengang "unwahrscheinlich hohe Erlöse erzielt haben", so Analysten des Bankhauses HSBC Trinkaus. Durch die steigenden Aktienkurse konnten zwar Übernahmen mit eigenen Aktien bezahlt werden, doch der laufende Kapitalbedarf der aufgekauften Unternehmen belastete die Barreserven. Zudem führte die Insolvenz des Sportrechtevermarkters ISL noch zu einem Forderungsausfall in Millionenhöhe.
"Wir waren damals entsetzlich unerfahren, haben Entscheidungen getroffen, die man heute nicht mehr treffen würde", gestand Kabel ein. Doch eine persönliche Schuld wies er von sich. Und er wehrte sich auch gegen den Vorwurf, sich bereichert zu haben: "Wir waren von Inhalten und Ideen getrieben, wir existierten nicht wegen der Börse." Ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung stellte das Amtsgericht Hamburg gegen eine Geldauflage von rund 28.000 Euro ein. Kabel gilt damit als unschuldig.
Nach der Pleite gründete er das Beratungsunternehmen TC Tone Consultants GmbH, das neue Konzepte für die Werbeformate der Zukunft entwickelte. Zwei Jahre später wurde er von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt in den Vorstand berufen. Er sei nach wie vor ein anerkannter Fachmann für digitale Kommunikation und habe eine zweite Chance im Wirtschaftsleben verdient, erklärte die Agentur.
2007 schied Kabel wieder aus, er arbeitet seither als Berater im Bereich Marken, Marketing und Medien für internationale Unternehmen und tritt als Redner auf. Außerdem baute er ein umfangreiches Portfolio an Beteiligungen auf. 2009 investierte er etwa in Facebook. "Ich bin Mitte 2009 mit einem knapp sechsstelligen Dollar-Betrag eingestiegen", verriet er in einem Interview mit "W & V". "Damals war die Bewertung etwa zehn Milliarden Dollar. Ich habe meine Aktien dann Ende 2010 wieder verkauft. Die Bewertung lag damals bei etwa 40 Milliarden Dollar."
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