Konjunkturangst: Dauerkrise oder Happy End?
Die Angst vor einem Konjunkturabschwung in den USA und damit auch in den Schwellenländern und Europa lähmt viele Marktteilnehmer. Warum 2016 dennoch ein Happy End für Anleger möglich ist.
Werte in diesem Artikel
von Philipp Waldstein, Gastautor von Euro am Sonntag
Viele Vermögensmanager haben für 2016 eine noch höhere Volatilität als im vergangenen Jahr prognostiziert. Dass sie so schnell recht bekommen würden, damit hatten allerdings nur die wenigsten gerechnet. Wobei hier der Klarheit halber ergänzt werden muss: Nicht Volatilität war das Thema, der Markt ist regelrecht abgestürzt. Historisch gesehen sind wir selten so schlecht ins Jahr gestartet wie in diesem. Die Risikobücher sind gut gefüllt, die entsprechenden Budgets zum großen Teil aufgebraucht. Salopp gesprochen: Die Märkte haben den Investoren den Schneid abgekauft. Muss man sich deshalb nun von den Märkten fernhalten?
Drei Phänomene können beobachtet werden. Die Kapitalmärkte sind inflationiert bzw. die Zentralbanken steuern mit ihrer Geldpolitik die Kapitalmärkte mit unbeabsichtigten Konsequenzen. Den hoch verschuldeten Ländern der Europeripherie und anderswo wollen die Zentralbanken Zeit kaufen. An sich kein schlechter Gedanke, die wurde aber nicht genutzt. Stattdessen haben die Länder sich an die Geldschwemme und die niedrigen Zinsen gewöhnt.
Der aktuelle Absturz der Rohstoffmärkte, aus dem der Ölmarkt heraussticht, ist ein prominentes Beispiel für die unbeabsichtigten Nebeneffekte dieser Politik. Die allseits präsente Geldschwemme hat maßgeblich dazu ermuntert, auch in die Exploration und Förderung von fossilen Energieträgern zu investieren. Zu schnell, zu viel auf einmal - jetzt sehen wir ein Überangebot, den klassischen Schweinezyklus.
Der Zins hat seine Lenkungsfunktion in der intertemporalen Allokation verloren. Die unsichtbare Hand, das ist nicht der Markt mit Angebot, Nachfrage und einem Preis, der beides zueinander führt, sondern das ist die Zentralbank mit ihrer Zinssetzungsmacht.
Zweitens befinden sich die USA bereits im sechsten Jahr des Aufschwungs, schon heute einem der längsten der US-Wirtschaftsgeschichte. Vergessen wir nicht, auch dieser Aufschwung wird einmal sein Ende finden. Noch sind wir zuversichtlich, dass der US-Konsument die Konjunktur weiter trägt, auch die Bautätigkeit bei der Erstellung von Wohnungen ist weiter rege und von einer Überhitzung weit entfernt. Seit der Krise 2008 ist wenig neu errichtet worden, es besteht also Nachholbedarf. Trotzdem liegt der nächste Abschwung näher als der letzte, und immer wieder werden die Märkte nach einem möglichen Ende fragen. Ein "Hard Landing" in China mit negativer Folgewirkung in den eng verwobenen Emerging Markets hätte ohne Zweifel die Kraft, den US-Aufschwung zu kippen. Dieses Szenario zwingt aktuell die Märkte in die Knie.
Unsicherheit durch Politik der
Zentralbanken und Regulierung
Drittens haben sich Investoren mit einer niedrigen Marktliquidität auseinanderzusetzen, besonders auf dem Markt für Kreditrisiken. Hier finden wir die unbeabsichtigten Folgen der Bankenregulierung. Entsprechend der Studie des World Economic Forum hat seit 2007, dem Jahr vor dem Höhepunkt der Finanzkrise, bis 2015 das Volumen des US-Markts für Unternehmensanleihen von fünf auf acht Billionen US-Dollar zugenommen, also um 60 Prozent. Gleichzeitig ging der Handelsbestand an US-Unternehmensanleihen bei US-amerikanischen Banken um mehr als 95 Prozent von 265 auf 13 Milliarden Dollar zurück. Politisch ist diese Entwicklung gewollt, Banken sollten ihre Intermediärfunktion reduzieren, ihre systemische Relevanz für die Volkswirtschaft sollte geringer sein. Entsprechend verfügen Banken aber nicht mehr über hinreichend hohes Risikokapital, um Marktungleichgewichte abzupuffern, sondern diese werden sofort im Preis sichtbar. Nach der US-Gesetzgebung von Dodd-Frank dürfen Banken nur noch Papiere auf die Bücher nehmen, wenn sie einen Abnehmer haben - im Unterschied zu früher: Da hofften sie, es würde sich mit ein bisschen Geduld schon ein Abnehmer finden.
Kommt es nun in den Augen von Investoren zu Drohkulissen, seien es Unsicherheiten im Zusammenhang mit China oder dem Öl, dann werden starke Preisausschläge sichtbar. Um sich gegen Verluste auf den Anleihemärkten zu schützen, sichern sich Investoren durch den Verkauf von Aktien ab. Verstärkt werden diese Marktschwankungen von einem Herdenverhalten, weil Investoren mit gleichen oder ähnlichen Modellen operieren. Diese selbstverstärkenden Effekte können die berüchtigten Flash-Crashes auslösen, von denen es in den vergangenen zwei Jahren bereits einige gegeben hat und die ein ernst zu nehmendes Warnsignal darstellen.
Es ist diese Mischung aus den Folgewirkungen einer gut gemeinten Zentralbankpolitik und einer mindestens ebenso gut gemeinten Regulierung, die im Verein mit Marktunsicherheiten zu hohen Volatilitäten beziehungsweise einem gewissen Marktversagen führt.
In der derzeitigen Marktphase haben vor allem die Nachrichten aus China viele Marktteilnehmer beunruhigt. China hat natürlich das Potenzial, substanzielle Bremseffekte auf die Weltkonjunktur auszulösen. Die Wirtschaft dort befindet sich in einer schwierigen Transformationsphase in Richtung eines stärkeren Dienstleistungssektors - was ausgesprochen zu begrüßen ist. Letztlich kann auch die Abwertung gegenüber dem erstarkten Dollar im Umfeld allseits expansiver Zentralbanken nicht überraschen. Natürlich kann die Kapitalflucht diesen Trend verstärken, aber noch ist die Finanzkraft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu hoch. Es spricht viel dafür, dass die Furcht vor einem Hard Landing in China übertrieben ist.
Der zweite große Unsicherheitsfaktor ist der niedrige Ölpreis. An sich stellt ein niedriger Ölpreis ein gigantisches Konjunkturprogramm dar. Doch aktuell überwiegt das Negativszenario. Das liegt vor allem daran, dass der niedrige Ölpreis nicht als Teil einer Geschichte im normalen Wirtschaftszyklus interpretiert wird, sondern einen Strukturbruch darstellt, auf den die Märkte äußerst allergisch reagieren. Nach den Erfahrungen der Finanz- und Schuldenkrise werden neue und kaum kalkulierbare Folgen wahrgenommen.
Die Marktstimmung ist düsterer
als die tatsächliche Lage
Die unmittelbaren Auswirkungen sind Kreditausfälle im Energiesektor oder den Erdöl exportierenden Entwicklungsländern, die wiederum Banken in Schwierigkeiten bringen und systemische Risiken auslösen können. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage werden ausgehebelt, da zur Deckung der Budgetdefizite das Erdölangebot weiter erhöht wird. Der politische Zusammenhalt der Erdöl exportierenden Länder ist dabei so gering wie selten zuvor. Im Gegenteil, religiöse Konflikte verstärken den Verdrängungswettbewerb, zum Beispiel zwischen den großen Anbietern Iran und Saudi-Arabien. Die Budgetdefizite werden zudem durch den Verkauf von Anleihe- und Aktienportfolios geglättet, was zusätzlichen Druck auf die schwachen Märkte auslöst.
Was kann die Situation drehen? Nach der mehrjährigen Baisse an den Ölmärkten könnte es 2016 endlich zum Turnaround kommen. Die rational agierenden Anbieter in den USA reduzieren mit Zeitverzögerung eben doch ihr Angebot. Nicht zu unterschätzen ist die hohe Preissensitivität des Ölmarkts. Niedrige Preise erhöhen die Nachfrage erheblich und führen letztlich zum Ausgleich des Angebotsüberschusses.
Werden wir 2016 also wirklich mit dem Szenario einer erneuten Rezession beenden, vor dessen Hintergrund die Kapitalmärkte im Wechselspiel der Unsicherheiten noch weiter kapitulieren? Aus meiner Sicht ist die Stimmung düsterer als die derzeitige Lage. Der Aufschwung in den USA sollte noch tragen - unabhängig davon, ob es dieses Jahr zwei oder drei Zinsschritte der US-Notenbank gibt. Europa sehen wir im zyklischen Turnaround. Ein niedrig bewerteter Euro, günstige Rohstoffpreise und eine expansive EZB-Politik sorgen für kräftigen Rückenwind. Auch für einen Gewöhnungseffekt mit Blick auf China gibt es gute Chancen.
Für den mutigen Kapitalanleger bedeutet dies: Die Aktienkurse können sich tendenziell wieder erholen. Der US-Dollar sollte wieder zu seiner Stärke zurückfinden, vor allem aufgrund leicht anziehender US-Zinsen. Dem werden sich auch die Zinsen in Europa nicht ganz entziehen können. In einer Gegenbewegung dazu können die Risikoprämien bei vielen Ausstellern von Anleihen gesehen werden, die sich aufgrund der positiven Konjunktur einengen könnten. Allerdings müssen Investoren eine weiterhin hohe Volatilität aushalten können - das ist nicht jedermanns Sache. Wer in diesem Umfeld alles auf eine Karte setzt, wird deshalb nicht weit kommen, wer mutig, aber beherrscht vorgeht, für den könnte das Jahr ein Happy End bereithalten.
zur Person:
Philipp Waldstein,
Geschäftsführer der MEAG
Waldstein verantwortet den Bereich Portfoliomanagement, Wertpapiere, Geld und Devisen sowie erneuerbare Energien und Infrastruktur. Bevor er 2013 in die Geschäftsführung der MEAG berufen wurde, war er in verschiedenen Führungsfunktionen, unter anderem bei Unicredit, tätig.
Die MEAG ist einer der großen Vermögensmanager in Europas Finanzsektor. In ihr konzentriert sich die Vermögensverwaltung von Munich Re und Ergo mit einem Volumen von 255 Milliarden Euro.
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