Nemetschek-Chef Kaufmann: "Der nächste große Sprung"
Der promovierte Betriebswirt Axel Kaufmann ist seit Januar Chef von Europas führendem Entwickler von Architektur- und Bausoftware Nemetschek. Kaufmann will den Umsatz des Münchner Familienunternehmens mittelfristig auf eine Milliarde Euro verdoppeln.
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von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Seit Januar ist Axel Kaufmann bei Nemetschek an Bord. Zwei Monate nach dem Start des 51-Jährigen als Chef der Münchner Softwarefirma wird es bereits stürmisch.
Bei der weitgehend in den USA aktiven Nemetschek-Tochter Maxon, die Software für Spezialeffekte in Filmen und Werbeclips entwickelt, integriert der promovierte Betriebswirt einen großen Zukauf und baut Maxon gleichzeitig im großen Stil um.
Währenddessen hinterlässt die erste Pandemiewelle tiefe Spuren beim Kerngeschäft von Nemetschek, Programmen für Architekten und Bauingenieure. Die Umsätze mit Softwarelizenzen brechen im April und Mai um ein Viertel ein. Unter der Leitung des Quereinsteigers bekommt Nemetschek die Turbulenzen jedoch schnell in den Griff. Ermutigt durch die Erholung im dritten Quartal erhöhte der Konzern jüngst seine Jahresprognose.
€uro am Sonntag: Herr Kaufmann, wie kamen Sie auf die Münchner Nemetschek-Gruppe?
Axel Kaufmann: Firmengründer Professor Georg Nemetschek und der Aufsichtsrat hatten eine strukturierte Suche eingeleitet. Dass digitale Lösungen für Architektur- und Bauunternehmen - und künftig auch verstärkt für die Medienbranche - das Kerngeschäft von Nemetschek sind, war für mich ein unwiderstehlicher Reiz, ebenso die Gestaltungsmöglichkeiten über den Finanzbereich hinaus. Aufbauend auf der Strategie, die Nemetschek überdurchschnittlich erfolgreich gemacht hat, steht die Gruppe jetzt vor dem nächsten großen Sprung.
2019 erlöste Nemetschek rund 557 Millionen Euro. Was trauen Sie dem Unternehmen mittelfristig zu?
Beim Umsatz könnten wir in einigen Jahren der Schwelle von einer Milliarde Euro nahekommen.
Die Pandemie dürfte den Wachstumsplan jetzt erheblich verzögern. Wie verändert Corona den Alltag?
Das Jahr fing gut an. Im Februar und März haben wir dann aus Asien erste Anzeichen registriert, dass unser Geschäft dort ins Stottern kommt. Im internationalen Leitungskreis haben wir wegen der Unsicherheiten früh ein Programm aufgelegt und bei den Kosten stark auf die Bremse getreten. Dazu gehörte auch ein Einstellungsstopp. Bei Kontakten mit Kunden wurde vieles auf Online umgestellt.
Als Softwarefirma war Nemetschek auf Homeoffice sicher vorbereitet.
Ja, waren wir tatsächlich. In Summe lief es bisher überraschend gut, wie auch die Zahlen für die ersten neun Monate gezeigt haben. Insgesamt sind wir bisher besser durch die Corona-Krise gekommen als zunächst erwartet. Die Monate April und Mai waren aber besonders herausfordernd. Das Geschäft mit Lizenzen brach in diesen beiden Monaten im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 25 Prozent ein.
Obwohl die Baukonjunktur in vielen Ländern stabil blieb?
Die Geschäftsentwicklung in der Architekturbranche ist über den Bauzyklus betrachtet ein frühes Warnsignal für Veränderungen. Mit den vielen kleinen und mittelgroßen Firmen ist der Markt stark fragmentiert. Diese Architekturbüros sind manchmal abhängig von ein bis zwei Folgeaufträgen. Wenn sie die nicht absehen können, sind sie die ersten, die ihre Verträge vorerst nicht verlängern oder keine zusätzlichen Lizenzen kaufen. Das macht sich schnell bemerkbar.
Wie läuft die Umstellung des Modells von Lizenzen und Beratung auf Web-Abos, die in vielen Märkten via Cloud genutzt werden?
Diese Umstellung geht nur sukzessive und braucht Zeit. Wir bieten unseren Kunden Abos an - bei einigen Kundensegmenten stärker, bei anderen weniger. Der Anteil dieser wiederkehrenden Umsätze steigt kontinuierlich. Abos bieten mehr Flexibilität. Gleichzeitig müssen wir die Kultur unserer Kunden berücksichtigen. Unsere große Basis, Architekturbüros etwa, bevorzugt nach wie vor Lizenzen. Deshalb wurden Abos hier nur als mögliche Alternative eingeführt.
Abos bringen regelmäßig Einnahmen. Wird Nemetschek von Investoren unter Druck gesetzt, einen möglichst hohen Anteil wiederkehrender Erlöse auszuweisen?
Die überwiegende Mehrzahl unserer meist langfristig orientierten Investoren schätzt die stufenweise Einführung von Abos und kann unsere Beweggründe verstehen. Bei unseren virtuellen Treffen ist eine der populärsten Fragen, ab wann unsere ganzen Jahreserlöse wiederkehrend sind. Wir unterscheiden zwischen Serviceverträgen, Abos und Cloud-Abos. Alle drei Kategorien zeichnen sich durch eine hohe Kundenbindung aus.
Aktuell sind rund 60 Prozent des Umsatzes wiederkehrende Erlöse.
Das ist eine gute Ausgangsbasis. Die Kunden führen Abos stufenweise ein, zunächst in einem Bereich oder in einem Land. Um die Vorteile des Abos zu demonstrieren, bieten wir Abonnenten zusätzliche Funktionen an. Dann sind die Rückmeldungen positiv. Wir wollen künftig deutlich mehr Abos verkaufen.
Nach einer leichten Belebung der Nachfrage im dritten Quartal hat Nemetschek jüngst die Prognosen erhöht. Die Entwicklung im wichtigen US-Markt beunruhigt Sie jedoch weiterhin. Wie läuft es dort aktuell?
Ich bin weiterhin besorgt. In den USA kommen vier Faktoren zusammen. Erstens belasten die Auswirkungen der gesellschaftlichen Spaltung durch die Ausschreitungen auf den Straßen dort unsere Mannschaft. Es wühlt die Leute auch privat auf. Der zweite Faktor ist Corona. Die Pandemie wurde lange Zeit unterschätzt. Bis heute gibt es vonseiten der Regierung, aber auch in den Bundesstaaten keine einheitlichen Strategien zur Eindämmung der Pandemie. Das dritte Thema waren die Waldbrände und Erdbeben in Kalifornien. Nemetschek ist in dieser Region sehr stark vertreten. Mitarbeiter sind beunruhigt, wenn sie während einer Videokonferenz die Feuer lodern sehen. Viertens belastet der schwache Dollar das Geschäft. Ich hoffe, dass ein Teil dieser Probleme durch den Ausgang der Präsidentschaftswahlen gelöst wird.
Was erwarten Sie unter den derzeitigen Voraussetzungen bis Jahresende?
Wir bleiben wachsam und nahe an den Kunden. Den Ausfall von Messen und Reisen als Folge der Pandemie haben wir gut kompensiert. Wir hatten ein erfreuliches drittes Quartal und haben deshalb unsere Erwartungen an das Gesamtjahr 2020 erhöht. Wir gehen jetzt von einer Umsatzsteigerung im mittleren einstelligen Prozentbereich und von einer Ebitda-Marge zwischen 28 und 29 Prozent aus, also von einer sehr robusten Profitabilität.
Gibt es bei den Zielen inzwischen mehr Spielraum?
Wir bleiben vorsichtig: Einerseits ist das vierte Quartal das traditionell umsatzstärkste eines Jahres, andererseits steht uns mit den Unsicherheiten im US-Geschäft noch viel Arbeit bevor.
Und bei der Profitabilität?
Dort ist möglicherweise Potenzial vorhanden. Wir haben die Kosten stark gedrosselt und auf geplante Neueinstellungen verzichtet. Eigentlich wollten wir zu diesem Zeitpunkt über 200 Stellen mehr als im Vorjahr besetzt haben.
In Europa ist Nemetschek führend. Analysten trauen der Firma zu, ihre operative Marge (Ebita) bis 2024 auf deutlich über 30 Prozent zu steigern. Was ist bei der Profitabiltät mittelfristig noch möglich?
Im vergangenen Jahr waren wir mit einer Marge von 29,8 Prozent schon sehr gut, allerdings auch begünstigt durch einen Effekt aus der neuen Bilanzierung von Leasing. Operativ war die Marge etwas niedriger. Sobald unsere Kunden jedoch zuversichtlicher sind, werden wir wieder mehr investieren. Wir müssen vielen Architekten bei der Konvertierung von 2-D- auf 3-D-Software helfen. Das ist intensive Arbeit. Auch der Beratungsbedarf ist hoch, weil die Programme keine Plug-and-play-Lösung sind. Und wenn sich die Geschäftsaussichten stabilisieren, werden wir die Bremse bei den Neueinstellungen sofort lockern. Wir möchten eine hohe Profitabilität beibehalten. Eine operative Rendite von deutlich mehr als 30 Prozent hat aber nicht oberste Priorität.
Vor Corona wurden Nemetschek bei Umsatz und Gewinn jährlich zwölf bis 14 Prozent Wachstum zugetraut.
Aus eigener Kraft können wir jährlich um neun bis zehn Prozent zulegen. Die zusätzlichen zwei bis drei Prozent durch Übernahmen und Währungseffekte in den vergangenen Jahren lassen sich nicht garantiert fortschreiben. Es kann künftig mehr oder weniger sein.
Wie sieht Ihre Strategie bei Zukäufen aus?
Wir gehen selektiver vor. Bei der erreichten Größe der Nemetschek Group müssen wir genau überlegen, wo wir unser Portfolio noch ergänzen müssen. Wir sind schon sehr gut aufgestellt.
Bei Übernahmen bevorzugte Nemetschek bisher profitable Wachstumsfirmen mit mindestens 15 Millionen Euro Umsatz. Bleibt es dabei?
Wir sind in eine Größenordnung hineingewachsen, in der wir große und mittelgroße Zukäufe stemmen können. Wir achten jedoch darauf, dass wir bei einem großen Zukauf bei der Verschuldung und bei den internen Kapazitäten für die Integration nicht überziehen.
Analysten sehen in der Sparte Build, im Geschäft mit Bauunternehmen, Bedarf für Zukäufe. Bleibt es dabei?
Das ist eine Option. Wir sehen uns Firmen in Europa und in Amerika an.
Bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge ist der Digitalstandard BIM in Europa für Architektur- und Baufirmen jetzt verpflichtend. Wie wirkt sich das für Nemetschek aus?
Es ist ein positiver Trend, aber bisher ist die konkrete Wirkung überschaubar. Im deutschsprachigen Raum, wo Nemetschek stark präsent ist, gibt es weiterhin einen hohen Nachholbedarf bei der Nutzung von BIM, vor allem im Vergleich zu Großbritannien, Nordamerika, Skandinavien und Japan. Die Vorteile des Standards, also deutlich niedrigere Kosten durch mehr Effizienz in den Projekten, werden sowohl in unserer Industrie als auch in der Politik noch nicht ausreichend gewürdigt.
In der größten Sparte Design hat Nemetschek 70 Prozent mittelständische Kunden. Werden mittelfristig mehr größere Kunden bedient?
Wir werden uns auf größere Kunden besser einstellen. Das wird von Nemetschek erwartet. Generalunternehmer sind am gesamten Lebenszyklus eines Objekts interessiert, von der Idee über die Realisierung bis zur späteren Verwaltung. Wir haben für jede Lebensphase Lösungen im Portfolio und sehen das als Wettbewerbsvorteil. Dafür sind auch innerhalb der Firmengruppe veränderte Strukturen notwendig. Unsere Komplexität muss geringer werden.
Bisher ist Nemetschek mit vielen unabhängigen Marken erfolgreich.
Kleinere Marken profitieren von den Strukturen, die ihnen die großen Marken in der Firmengruppe zur Verfügung stellen, während ihre unternehmerische Freiheit bestehen bleibt. Das hat zu der hohen Komplexität geführt. Es spricht nichts dagegen, Marken mit hohem Wiedererkennungswert zu erhalten. Dem muss jedoch intern nicht immer eine Organisation mit einer eigenen Identität, Kultur und Prozessen folgen. In der Vergangenheit war das richtig. Jetzt haben wir eine Schwelle erreicht, wo wir das hinterfragen.
Gilt das auch für die Markenvielfalt?
Da wird sich wenig bis gar nichts ändern. Es geht um die Organisation und die Prozesse dahinter. Unsere Kunden wollen übergreifende Lösungen. Dazu müssen wir die interne Zusammenarbeit zwischen den Marken verstärken.
Nemetschek hat seine Mediensparte Maxon Ende 2019 ausgebaut und für den Kauf der US-Firma Red Giant 70 Millionen Euro bezahlt, plus eine 15-Prozent-Beteiligung an Maxon.
Die Integration - in ihrem Aufwand bisher einmalig in der Gruppe - wird bis Ende des Jahres zu zwei Drittel abgeschlossen sein. Wir führen die Firmen Maxon, Red Shift und Red Giant zu einer Einheit zusammen und stellen die Organisation neu auf.
Maxon ist mit sechs Prozent des Umsatzes derzeit die kleinste Sparte in der Nemetschek-Gruppe und entwickelt Software für Spezialeffekte in Kinofilmen und in der Werbung. Die Synergien mit den drei anderen Bereichen sind deshalb gering. Im Vorstand sind Sie direkt für Maxon verantwortlich. Wie sieht die Zukunft des Exoten in der Gruppe aus?
In diesem globalen Markt treffen wir auf ganz andere Wettbewerbsstrukturen und Konkurrenten als im Baugeschäft. Die Branche ist noch sehr stark fragmentiert, deshalb haben wir jetzt zugekauft. Ich sehe für uns im Entertainment-Geschäft gute Chancen, ein relevanter Spieler zu werden. Der jüngste größere Zukauf hilft uns, mit Maxon in der Gruppe ein zweites, weitgehend unabhängiges Standbein aufzubauen.
Die Aktie:
Neue Prognose beflügelt
Für 2020 traut sich Nemetschek nun etwas mehr zu. Mit mehr als 29 Prozent Wertzuwachs während der vergangenen zwölf Monate entwickelte sich die Aktie um ein Vielfaches besser als der MDAX. Der von Georg Nemetschek 1963 gegründete Entwickler von Software für Baufirmen und Architekten ist in seiner Branche Europas Nummer 1. Die drei Sparten Design, Build und Manage lieferten 2019 zusammen 94 Prozent von 557 Millionen Euro Umsatz. Maxon, die weitgehend in den USA angesiedelte Sparte für Medien- und Entertainment-Software, wird als zweites Standbein der Gruppe aufgebaut.
Vita:
Fan des Digitalen
Der promovierte Betriebswirt Axel Kaufmann ist seit Anfang des Jahres Vorstandssprecher und Finanzvorstand der Nemetschek SE. Der Konzern ist in Europa die Nummer 1 für Architektur- und Bausoftware. Im Vorstand ist der Ökonom mit einem Faible für Technologien und Digitales auch für die Mediensparte Maxon verantwortlich. Vor seiner Zeit in dem Familienunternehmen war der 51-Jährige Finanzchef des Großküchenausrüsters Rational. Bei Siemens war der Amerika-Liebhaber zehn Jahre an Bord, auch als kaufmännischer Leiter der Software Business Unit. Die beiden Kinder der Kaufmanns wurden in den USA geboren.
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Bildquellen: Nemetschek Group, Axel Griesch/Finanzen Verlag
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