Invesco-Chefökonom Greenwood: "In den USA wird es gravierend"
John Greenwood, der Chefökonom von Invesco, geht zum Jahresende in Rente. €uro am Sonntag gab er sein letztes Interview für europäische Leser. Ein Gespräch über Inflation, ignorante Zentralbanken und ein Riesenproblem für China.
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von Christoph Platt, Euro am Sonntag
Ein paar Tage noch, dann endet eine außergewöhnliche Karriere. John Greenwood, Chefvolkswirt der internationalen Fondsgesellschaft Invesco, geht zum Jahresende in Rente. Für seinen Arbeitgeber hat er von London aus die globalen Märkte im Blick, doch einen besonderen Platz in seinem Herzen hat Asien. Ein Praktikum während seines Studiums führt ihn 1969 nach Tokio. "So kam ich zum ersten Mal mit Asien in Berührung, und ich wurde süchtig danach", sagt John Greenwood heute.
Als junger Mann arbeitet er für die Bank of Japan, anschließend für die Vermögensverwaltungsgruppe GT Management in Hongkong. In den frühen 80er-Jahren schlägt er eine Regelung vor, um den Hongkong-Dollar zu stabilisieren, der in dieser Zeit eine extreme Schwäche durchlitt. Sein Konzept kommt bis heute zum Einsatz. Mehrfach wird er für seine Verdienste um Hongkong geehrt, zuletzt 2020.
An seinem 75. Geburtstag nimmt sich der Ökonom Zeit für ein Gespräch mit €uro am Sonntag. Einen Gratulanten, der ihn während des Video-Calls anruft, wimmelt er mit knappen Worten ab - er hat etwas Wichtiges zu tun. Greenwood will in seinem letzten Interview als Chefvolkswirt für eine europäische Leserschaft nicht bloß plaudern. Vielmehr erklärt er mit Nachdruck, was Wirtschaft und Finanzmärkte bewegt. Immer wieder zeigt er Diagramme und Tabellen, um seine Einschätzungen mit Zahlen zu veranschaulichen.
Euro am Sonntag: Herr Greenwood, ein großes Thema ist zurzeit die gestiegene Inflation. Wie geht es damit weiter? Müssen wir uns an überdurchschnittliche Teuerungsraten gewöhnen?
John Greenwood: Fest steht, dass die höhere Inflation nicht nur vorübergehend sein wird. Sie wird einige Jahre anhalten. Allerdings wird sie in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausfallen.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Für die zurzeit hohen Teuerungsraten gibt es zwei Erklärungen. Auf der einen Seite die kurzfristigen Gründe: Es gibt Probleme bei den globalen Lieferketten, gleichzeitig hat die Nachfrage nach langlebigen Gütern angezogen. Das hat zu höheren Preisen vor allem auf der Ebene der Produzenten geführt. Nach und nach kommen diese gestiegenen Kosten der Hersteller bei den Endprodukten an und steigern die Inflationsrate.
Was ist die zweite Erklärung?
Die Ausweitung der Geldmenge. In den USA haben wir seit 1943 nicht mehr einen solch großen Anstieg der Geldmenge gesehen wie momentan. Die Fed hat die Märkte mit Geld geflutet - die hohe Inflation ist die Folge.
Weshalb erwarten Sie unterschiedliche Inflationsraten in den verschiedenen Ländern?
Das liegt an eben jener Geldmenge. Ihr Wachstum ist in den einzelnen Regionen sehr verschieden. Außerdem wurde sie unterschiedlich stark absorbiert. In China beispielsweise ist viel Geld in das Wirtschaftswachstum geflossen. Dadurch ist die überschüssige Geldmenge, die für Inflation sorgen könnte, sogar gesunken. China wird deshalb kaum Inflation haben, vielleicht sogar Deflation.
Wie ist die Lage für die Eurozone?
Dort wird die Inflation nicht so heftig ausfallen wie in den USA. Ich rechne mit einer mäßig erhöhten Inflation für die kommenden zwei bis drei Jahre.
Und in den USA?
Da wird es gravierend. Ich erwarte Teuerungsraten von fünf bis zehn Prozent für die nächsten drei bis vier Jahre.
Bislang gehen die Notenbanken nicht von einer dauerhaft erhöhten Inflation aus.
Weil sie keinen Blick mehr auf die Geldmengen werfen - ein Fehler. Schauen Sie zum Beispiel auf die Bank of England. Die hat in ihren Einschätzungen die Geldmenge das letzte Mal im August 2018 erwähnt - unfassbar. Großbritannien wird ebenso von einer hohen Inflation getroffen werden.
Wenn diese Vorhersagen eintreten, wie sollten sich Anleger dann aufstellen?
Um sich gegen Inflation zu schützen, ist es die beste Idee, Sachwerte zu halten - also Aktien und Immobilien. Auch die Preise einiger Rohstoffe könnten weiter steigen und sich so als Investment eignen. Bei den Aktien ist das Problem, dass die Kurse in Erwartung einer höheren Inflation bereits deutlich nach oben geklettert sind. Ein Großteil des Anstiegs liegt also schon hinter uns. Bei Immobilien spiegelt sich diese Erwartung noch nicht vollständig wider. Hier ist mit steigenden Preisen zu rechnen.
Wenn die Inflation hoch bleibt, werden die Notenbanken doch irgendwann reagieren müssen und die Zinsen anheben. Was ist dann mit den Aktien?
Zinserhöhungen werden die Börsen belasten, keine Frage. Am meisten leiden werden Wachstumsaktien, weil sie von den niedrigen Zinsen besonders profitiert haben. Denn sie haben das Geld, mit dem sie ihr Wachstum finanziert haben, quasi umsonst bekommen. Damit ist dann Schluss. Dagegen werden Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn- Verhältnis widerstandsfähiger sein. Anleger sollten also von Wachstumstiteln zu Value-Titeln wechseln.
Betrifft das nur Aktien aus Ländern, die mit einer hohen Inflation zu kämpfen haben werden? Könnte man sich also mit Aktien ausgewählter Regionen besser schützen als mit anderen?
Nein, denn die Finanzmärkte sind weltweit so stark vernetzt, dass das nichts bringt. Die Inflation wird in den Ländern zwar sehr unterschiedlich sein, aber die Aktienmärkte werden alle in die gleiche Richtung tendieren.
Sie haben vorhin erwähnt, dass China in puncto Inflation gut dasteht. Gegenüber dem chinesischen Kapitalmarkt sind sie aber skeptisch. Wieso?
China hat kein Problem mit der ausgeweiteten Geldmenge, dafür aber ein Verschuldungsproblem. Seit 30 Jahren tätigt China viele Investitionen, die nicht rentabel sind. Hat der eine Distrikt eine Aluminiumhütte, will der andere auch eine und bekommt sie - um ein Beispiel zu nennen. Auf diese Weise sind die Schulden in die Höhe geschossen. Jetzt steht China kurz vor seinem Minsky-Moment, einer Situation benannt nach dem US-Ökonomen Hyman P. Minsky.
Der hatte die These entwickelt, dass es trotz einer boomenden Wirtschaft zu einer Finanzkrise kommen könnte ...
Richtig - und dieser Moment steht in China bevor. Von 2010 bis 2017 hat sich dort eine gewaltige Kreditblase gebildet. Immerhin hat Peking erkannt, dass es gegensteuern muss. Deshalb drängt die Regierung seither auf einen Schuldenabbau. Der fordert nun Opfer, etwa die im Luftverkehr tätige HNA-Gruppe, die im Januar bankrott ging, oder die notleidenden Immobilienkonzerne Evergrande und Fantasia.
Chinesische Aktien empfehlen Sie zurzeit also nicht?
Nein, das wäre wirklich keine gute Idee, in chinesischen Titeln investiert zu sein.
Wenn es zu einer solchen Schmelze von Vermögenswerten in China kommt, hätte es sicher verheerende Folgen für die globalen Kapitalmärkte.
Nein, eher nicht. Hier würde es sich auszahlen, dass die chinesischen Finanzmärkte nicht so stark in das globale Finanzsystem integriert sind. Peking kontrolliert die Geldflüsse, die ins Land und wieder hinaus fließen. Es gibt also eine Art Damm, sodass ich keine große Ansteckung erwarte. Der globale Schaden wird also gering sein. Für China wird es natürlich ein Riesenproblem sein.
Vita:
Asien-Liebhaber
Seit 1998 ist der 75-jährige John Greenwood Chefökonom von Invesco. Er erstellt wirtschaftliche Analysen und Prognosen für die Portfoliomanager und Kunden der Fondsgesellschaft. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Edinburgh und Tokio begann er seine berufliche Karriere 1974 bei der Bank of Japan. Kurz darauf wechselte er in die Investmentbranche zu GT Management als Chefvolkswirt - zunächst in Hongkong, später in San Francisco und in London. Vor allem wegen seiner Verdienste um die Stabilisierung des Hongkong-Dollars wurde er mehrfach ausgezeichnet.
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Bildquellen: Invesco, Jürgen Mai
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