Euro am Sonntag-Interview

Dirk Müller: "Schönreden hilft nicht"

05.05.14 03:00 Uhr

Börsenexperte, Geschäftsmann und Weltverbesserer in ­einer Person - "Mr. DAX" erklärt, warum das für ihn kein Widerspruch ist und wie es weitergeht an den Märkten.

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von Astrid Zehbe, Euro am Sonntag

Am Anfang war das Gesicht. Mal zerknirscht, mal freudig, mal verwundert. Wie auch immer Dirk Müller auf die große DAX-Kurstafel des Frankfurter Handelsraums blickte, die Nation konnte daraus ersehen, was sich an diesem Tag an den Ak­tienmärkten abspielte. "Mr. DAX" tauften ihn die Medien - auch weil er das Geschehen an der Börse ganz gut in Worte fassen konnte, wie sich schon bald zeigte. Der gelernte Bankkaufmann und Börsenmakler wurde schnell ein gefragter Redner. Auf Podiumsdiskussionen, in Talkshows, in seinen Büchern oder mit einem eigenen Video-Blog erklärt er seinen Zuhörern die Wirtschaftswelt - nicht selten mit wilden Theorien und mit deftigen Worten.

Sein letztes Buch "Showdown: Der Kampf um Europa und unser Geld" stand wochenlang in den Bestsellerlisten. Wegen steiler Thesen zu den Themen Euro, Griechenland und einem vermeintlichen amerikanisch-europäischen Wirtschaftskrieg war es jedoch umstritten.

Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen: Müllers Anhänger hängen an seinen Lippen. Und nicht nur die. Als einer von mehreren Sachverständigen hat Dirk Müller in zwei Ausschüssen des Bundestags Rede und Antwort gestanden zu den Themen Spekulationen mit Agrarrohstoffen sowie Hochfrequenzhandel. Hinter den Kulissen versucht er gerade, Wirtschaftsvertreter und Politiker zusammenzubringen, "um diese Schuldenproblematik in den Griff zu bekommen", wie er sagt. Viel Einfluss für jemanden, der sehr gut davon lebt, seine persönliche Sicht der Dinge zu verbreiten.

€uro am Sonntag: Selbst Menschen, die nicht viel mit der Börse am Hut haben, kennen Ihr Gesicht. Gerade während der Eurokrise ­waren sie ein gern gesehener Gast in Talkshows, um den Bürgern die Eurokrise zu erklären. Ist Ihnen diese Verantwortung nicht manchmal unheimlich?
Dirk Müller:
Ich gehe mit dieser Rolle sehr respektvoll um und versuche die Entwicklungen am Finanzmarkt möglichst verständlich und möglichst konservativ zu erklären. Ich hab ja auch keine Kristallkugel. Darum ist es mir wichtig, den Leuten klarzumachen, dass sie nicht blind auf das vertrauen, was andere Menschen sagen - auch nicht auf das, was ich sage.

Sie betreiben eine Webseite, auf der man mit einer kostenpflichtigen Mitgliedschaft Analysen erhält, Sie sind in den Medien präsent und halten Vorträge. Sie leben davon, dass andere Menschen darauf vertrauen, was Sie sagen. Ist das kein Widerspruch?
Ich verkaufe den Leuten keine Produkte, sondern versuche sie anzu­regen, selbst zu recherchieren und die Dinge zu hinterfragen. Was ich versprechen kann, ist, dass ich die Sachen immer so sage, wie ich sie einschätze. Aber man kann sich rund ums Jahr 24 Stunden mit dem Thema auseinandersetzen und hat am Ende doch nur ein kleines Stück vom Kuchen gesehen. Ich sehe mich darum auch gar nicht als Krisen­erklärer, sondern eher als Dolmetscher zwischen Finanzwelt, Politik und den Menschen auf der Straße.

Mit welchem Ziel?
Ich will mich für einen fairen Umgang miteinander einsetzen, für die hanseatische Kaufmannsehre, auf der das Börsenwesen im Prinzip fußt. Es gibt heutzutage leider so viele Fälle, in denen diese Prinzipien über Bord geworfen werden - oft zum Schaden von Kleinanlegern. Wir haben Nachholbedarf, was die Bildung im Finanzbereich angeht. Wenn die Bürger mehr verstehen würden über Geld und das System, würden sie sich weniger über den Tisch ziehen lassen und sich wehren können.

Oder sie würden sich überhaupt erst an die Börse trauen.
Das stimmt. Und wir brauchten das Geld, das auf den Konten liegt, dringend für Investitionen in der Wirtschaft und der Infrastruktur. Aber Menschen haben Angst zu investieren, weil sie den Zusammenhang nicht verstehen oder, wenn sie sich trauen, über den Tisch gezogen werden. Das muss man eindämmen.

Wie?
Wir können natürlich nicht erwarten, dass plötzlich alle fair miteinander umgehen. Das wäre naiv. Darum brauchen wir Gesetze und Regeln, die Missbrauch einschränken. Fast alle Dinge des täglichen Lebens sind reguliert. Wenn ich ein Auto verkaufe, muss es verkehrssicher sein. Es gibt Lebensmittelprüfungen. Nur auf dem grauen Kapitalmarkt findet quasi kaum eine Prüfung statt. Dabei können die Produkte, die dort angeboten werden, ebenfalls Existenzen zerstören.

Auch außerhalb des grauen Kapitalmarkts kann man relativ leicht ­Kapital verbrennen. Was raten Sie Menschen, die ihr Geld nicht auf dem Sparkonto liegen lassen, aber auch kein zu großes Risiko eingehen wollen?
Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, in die man unabhängig von kurzfristigen Schwankungen sein Geld anlegen kann. Das sind Firmen wie Nestlé oder Procter & Gamble, die seit Jahren Geld verdienen und die das voraussichtlich auch noch in Zukunft tun. Diese Filetstücke kauft man dann, wenn Mr. Market, also die Börse, mal wieder Tränen in den Augen hat. In diesen Phasen kann man gute Aktien günstig kaufen.

Im Moment kann sich Mr. Market nicht so recht entscheiden, ob er die 10.000-Punkte-Marke knacken soll. Was glauben Sie: Fällt die Marke demnächst?
Wir sehen im Moment einen Kampf zwischen Bullen und Bären. Bei den Bullen reicht es im Moment nicht für neue Hochs. Bevor der alte Höchststand erreicht wird, geht es nach unten - aber nur so lang, bis die Bullen wieder die Oberhand gewinnen. Je länger dieser Kampf dauert, umso verbissener wird er geführt. Daraus ergeben sich zwei Szenarien: Ent­weder der DAX fällt unter die 8.900 Punkte, sodass die Bullen sich geschlagen geben und ihre Positionen verkaufen. Das könnte einen kräftigen Schub von 1.000 bis 2.000 Punkten nach unten geben. Oder aber die Bullen gewinnen, der DAX knackt die 10.000-Punkte-Marke und es geht noch 500 Punkte höher. Auch das ist möglich. Garantieren kann das mit Sicherheit niemand.

Welches Szenario halten Sie für wahrscheinlicher?
Aufgrund der derzeitigen geopolitischen Lage sehe ich eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass es sich nach unten auflöst.

Sie meinen die anhaltende Krise in der Ost-Ukraine?
Auch. Aber das ist derzeit nicht das einzige Problem. Wir haben die Schwellenländer, in denen es gerade gefährlich wird und von denen ich vorerst die Finger lassen würde. Das Geld, das wegen des hohen Wachstums in den Schwellenländern über Jahre aus den Industrieländern dorthin geflossen ist, wird wegen der abflauenden Konjunktur dort gerade wieder zurückgeholt. Das verschärft die Finanzprobleme in vielen dieser Schwellenländer und kühlt deren Konjunktur zusätzlich ab. Aber auch in Europa ist die Krise nicht überwunden.

Griechenland ist vor einigen ­Wochen immerhin mit einer Anleihe an den Kapitalmarkt zu­rückgekehrt. Befindet sich der Kontinent nicht wenigstens auf dem Weg der Besserung?
Ich sehe die Euro-Schuldenkrise noch immer nicht überwunden. Sie hat sich nur beruhigt. Wegen der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank haben wir Zeit gewonnen, mehr nicht. Es gibt nach wie vor den starren Währungsverbund und gleichzeitig sich völlig unterschiedlich bewegende Wirtschaftssysteme in der Eurozone. Außerdem fehlen mir die belastbaren Fakten. Die Griechen freuen sich über einen Primärüberschuss. Dabei ist das der Überschuss, der die Zinszahlungen nicht berücksichtigt, und selbst der ist noch schöngerechnet. Dieses ewige Schönreden und Schönbeten hilft nicht.

Die Börsen in den Euro-Peripheriestaaten sind aber doch prima ­gelaufen ...
Es gibt sicherlich gute südeuropäische Unternehmen. Viele von ihnen wurden in der Krise so runtergeprügelt, dass sie jetzt aufholen. Von einer nachhaltigen Erholung kann ­aktuell aber leider noch keine Rede sein. Wir haben keines der ursäch­lichen Probleme gelöst.

Verraten Sie uns zum Abschluss, was nach all den Jahren an der Börse Ihr Investment mit der besten Rendite war?
Ich habe viele gute Geschäfte gemacht, auch einige schlechte. Die beste Rendite gibt es nicht unbedingt am Finanzmarkt. In meinem Berufsleben haben mich nicht unbedingt erzielte Gewinne mit Stolz erfüllt, sondern eher die Reaktionen auf meine Arbeit. Nach einer Ver­anstaltung kam beispielsweise mal eine Migrantin schüchtern auf mich zu und erzählte mir, dass sie mein Buch gelesen hat und sich nun 20  Minuten pro Woche um ihre ­Altersvorsorge kümmert. So etwas macht mich viel glücklicher. 

zur Person:

Die Umtriebigkeit des Mr. DAX
Dirk Müller wurde 1968 im baden-württembergischen Reilingen geboren. Nach seiner Banklehre in Mannheim ging Müller nach Frankfurt an die Deutsche Börse, um als Börsenmakler zu arbeiten. Mehrere Jahre war er auf dem Parkett tätig. Dank seiner gut verständlichen Analysen zum Finanzmarkt wurde er ein viel gefragter Interviewpartner für die ­Medien. 2009 gründete er die Finanzethos GmbH, die Börsenbriefe herausgibt und eine ­Internetseite zu Finanzthemen betreibt. Zudem hält er Vorträge und hat sich als Autor einen Namen gemacht. Als Sachverständiger für Finanzthemen wurde Dirk Müller in zwei Ausschusssitzungen des Deutschen Bundestags geladen.

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