Euro am Sonntag-Interview

Credit Suisse-Chefanlagestrategin: "Analyse ist wie Bilder malen"

19.12.16 10:03 Uhr

Credit Suisse-Chefanlagestrategin: "Analyse ist wie Bilder malen" | finanzen.net

Nannette Hechler-Fayd’herbe, die Chefanlagestrategin der Credit Suisse über die Aussichten für Aktien, Renten und Rohstoffe sowie über die Kunst, Prognosen zu treffen.

Werte in diesem Artikel
Aktien

28,49 CHF 0,19 CHF 0,67%

Rohstoffe

2.670,47 USD -38,43 USD -1,42%

74,84 USD -0,44 USD -0,58%

70,83 USD -0,35 USD -0,49%

Devisen

1,0490 USD 0,0072 USD 0,69%

von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag

Rund 675 Milliarden Euro verwaltet die Private-Banking-­Abteilung der Credit Suisse. In welche Investments dieses Geld fließt, darüber entscheidet Nannette Hechler-Fayd’herbe mit ihrem Team. Die promovierte Volkswirtin hat bei der Schweizer Großbank Karriere gemacht. 1999 begann sie dort mit einer Anlageklasse und einem Markt - Anleihen aus der Schweiz. Heute ist sie verantwortlich für das, was in den Portfolios der Credit Suisse umgesetzt wird. Trotz ihrer beruflichen Verpflichtungen nimmt für Hechler-Fayd’herbe die Familie einen wichtigen Platz im Leben ein. So nahm sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes drei Jahre Auszeit, die sie mit ihrer Familie auf Mauritius verbrachte. In ihrer Freizeit spielt sie Klavier und ist begeisterte Seglerin.



€uro am Sonntag: Frau Hechler-Fayd’herbe, Sie segeln gern mit Ihrer Familie im Mittelmeer. Mit oder ohne Smartphone?
Nannette Hechler-Fayd’herbe:
(lacht) Da habe ich bereits alles mitgemacht, denn ich segle seit langer Zeit. 2008 fing es dann an: segeln mit Blackberry. Darüber war mein Mann gar nicht erfreut, denn immer wenn es Wind gab, war ich gerade mit den Turbulenzen auf den Finanzmärkten beschäftigt. In dieser Hinsicht waren die Jahre 2008 bis 2010 sehr fordernd. Danach konnte ich wieder Ferien machen, die diese Bezeichnung verdienen. Kurz gesagt: Ja, ich kann Urlaub machen und segeln, ohne an der "Nabelschnur" zu hängen.

Als Chefanlagestrategin einer großen Bank sind Sie die Ausnahme in einer männerdominierten Branche. Bemerken Sie Unterschiede in Ihrer ökonomischen Analyse gegenüber männlichen Kollegen?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich als Frau sehr analytisch und intellektuell vorgehe und weniger aus dem Bauch heraus agiere. Die männlichen Kollegen handeln mitunter intuitiver. Beides ergänzt sich sehr gut.


Wie macht sich das in der täglichen Arbeit bemerkbar?
Unser Anlageprozess, den ich sehr stark mitgeprägt habe, ist extrem diszipliniert. Alle zwei Wochen überprüfen wir: Was sind die Bewertungen? Was haben die Modelle gesagt? Wo hat sich was geändert und können wir das nachvollziehen? Dann betrachten wir den zyklischen Aspekt, anschließend den technischen. Diese mathematische Art und Weise, wie wir den Prozess aufgesetzt haben, gibt uns allen sehr viel Sicherheit. Und hier komme ich wieder zu Ihrer Frage zurück: Als eine der wenigen Frauen, die in einer so exponierten Rolle stecken, habe ich den Analyseprozess so geregelt, dass er mir etwas von dem Stress wegnimmt. Denn wenn Sie auf Grundlage von Emotionen investieren, ist das sehr stressig.

Ihre Aufgabe ist es, in die Zukunft der Finanzmärkte zu blicken. Ist das jedes Jahr gleich schwierig?
Ja, denn es gibt immer Unvorhergesehenes. Aber ich finde doch, dass sich die großen Linien stets erkennen lassen. Und so gehen wir auch vor. Wir fragen uns zunächst: Gibt es eine große Konstante, die sich in allen Szenarien erkennen lässt? Wenn es die gibt, ist das schon mal ein wichtiger Startpunkt. Dann aber sollte man sich auch fragen: Was sind wichtige Game Changer? Im Prinzip ist das, wie ein Bild zu malen: Man fängt mit dem Hintergrund an, dann ­beginnt man zu skizzieren und schließlich kommen die Details. So entsteht ein Ausblick.


Die Wahl von Donald Trump dürfte zweifellos zu den Game Changern zählen. Welche Auswirkungen erwarten Sie für das US-Wachstum?
Wir hatten in den USA im Szenario mit Hillary Clinton mit zwei Prozent Realwachstum gerechnet. Unter Donald Trump kann es durchaus in Richtung 2,3 bis 2,5 Prozent laufen, wenn wir relativ schnell Investitionstätigkeit sehen - sowohl öffentlich als auch privat. Seit der Finanzkrise kämpfen die USA damit, dass die Privatinvestitionen viel langsamer angesprungen sind als üblich. Wenn jetzt der öffentliche Sektor eine Perspektive in Form von Investitionsvorhaben gibt, dann kann sich das auch stimulierend auf den Privat­sektor auswirken.

Mit seinen Ausgaben wird Trump aber auch den Schuldenstand der USA weiter nach oben treiben.
Donald Trump setzt darauf, dass das ­angekurbelte Wirtschaftswachstum zu Steuermehreinnahmen führt, die mittelfristig dazu dienen, die Verschuldung abzuzahlen. Das ist die Wette, die er bereit ist einzugehen. Doch die Bereiche, in die hinein er Investitionen lenkt, müssen unbedingt produktivitätsfördernd sein. Denn sonst geht nur die Verschuldung nach oben und nicht das Wachstum.

Wie beurteilen Sie Aktienanlagen im kommenden Jahr?
Insgesamt haben wir Aktien auf einer neutralen Gewichtung. Wir fokussieren uns auf Märkte und Regionen, die von spezifischen Faktoren profitieren. Unternehmen, die wir mögen, sind aus der Bauindustrie, dem Pharmasektor und der Gesundheitsbranche. Bei Letzterer sind für uns demografische Faktoren entscheidend: Bevölkerungsalterung in den entwickelten Wirtschaften, Erhöhung der Kaufkraft in den Emerging Markets, wachsender Anteil an chronischen Krankheiten. In diesem Jahr hat der Sektor aber nicht so sehr auf diese langfristigen strukturellen Treiber reagiert, sondern viel mehr auf die Regulierungsrisiken, die im Zusammenhang mit einer Wahl Hillary Clintons standen. Von den Gewinntreibern und von der Bewertung her ist dieser Sektor jedenfalls attraktiv.

Sie sprachen auch von Regionen …
Richtig, als Region könnte die Schweiz von einem Aufschwung der Gesundheitswerte profitieren. Der eidgenössische Markt hinkte in diesem Jahr hinterher, unter anderem weil Gesundheitsaktien dort ein großes Gewicht haben. Zudem glauben wir, dass für Europa 2017 aufgrund der Wahlen und des Aufstiegs der Populisten ein Jahr der politischen Unsicherheit wird. Auch davon könnte der relativ kleine Schweizer Markt profitieren, weil Anleger nach ­Alternativen suchen, um ihr Portfolio zu diversifizieren.

Wie sieht es 2017 mit Emerging-Markets-Aktien aus?
An Schwellenmarkt-Aktien gefällt uns ihre günstige Bewertung. Zudem sehen wir interessante Trends: Während in den entwickelten Märkten die Populisten im Aufwind sind, ist in den Schwellenländern eher das Gegenteil zu sehen. Nehmen wir Lateinamerika mit Brasilien und Argentinien. Nach Jahren von etabliertem Populismus schwenken diese Länder jetzt in Richtung Reformen und stärkerer Unternehmensorientierung. Außerdem haben viele Schwellenländer in den vergangenen Jahren ihre Außenhandelsbilanzen saniert. Das macht sie viel resistenter.

Also sollte man in Emerging-Markets- Aktien investiert sein?
Ja, aber nicht übermäßig. Denn eine neue Welt mit sich ändernden Handelsbeziehungen wird enormen Einfluss haben auf manche Schwellenländer, die stark abhängen vom Außenhandel. Deshalb sind wir bei Emerging-Markets-Aktien derzeit nicht überschwänglich und haben sie neutral eingestuft. Damit sind diese Titel bei uns zu etwa 15 Prozent in jedem Aktienportfolio gewichtet.

Wo sehen Sie 2017 noch interessante Bereiche an den Anleihemärkten?
Wenn Staatsanleihen ins Portfolio sollen, dann am besten inflationsgeschützte. Oder solche, die noch hohe Zinsen bieten, wie etwa australische Papiere. Bei Unternehmensanleihen offerieren Finanzinstitute immer noch eine Extra-Kreditprämie und sind damit eine Alternative. In den USA denken wir, dass nachrangige Anleihen von Banken interessant sein könnten. Denn dieses Segment wäre bei einer möglichen Deregulierung unter Donald Trump besonders begünstigt. Und schließlich Schwellenmarkt-Anleihen, die weiterhin einen Zinsvorteil bieten.

Wie optimistisch sind Sie für Rohstoffe im kommenden Jahr?
Auch da sind wir neutral. Die Rezessionsängste sind zwar recht klein im nächsten Jahr. Das ist gut für Rohstoffe. Aber können ihre Preise noch einmal so steigen wie in diesem Jahr? Das denken wir nicht.

Und der Goldpreis?
Wenn die Zinsen kommendes Jahr in den USA steigen und auch der Dollar tendenziell stärker wird, sind das keine guten Nachrichten für Gold. Allerdings ist viel bereits eingepreist.

Was sollten Privatanleger 2017 bei ihrer Anlagestrategie beherzigen?
Sie sollten gegen ihre Emotionen ankämpfen. Wenn es mal einen Rückschlag an den Märkten gibt, sollte man das auch als Chance sehen. Antizyklisch zu handeln hat sich bewährt.

Vita:

Die Analytikerin
Nannette Hechler- Fayd’herbe ist in der westafrikanischen Elfenbeinküste aufgewachsen. Sie studierte an der Universität Lausanne und hat einen Abschluss der franzö­sischen Elitehochschule EHESS in ­Paris. Sie arbeitete ­zunächst für die Schweizer Bank UBS, seit 1999 für die Credit Suisse. Heute ist sie dort Leiterin der Investmentstrategie für die Division Private Banking & Wealth Management.

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Bildquellen: Credit Suisse

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