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Die 170-Milliarden-Frau: Mal in den Himmel gehoben, mal verdammt

14.07.18 22:15 Uhr

Die 170-Milliarden-Frau: Mal in den Himmel gehoben, mal verdammt | finanzen.net

Ho Ching » Mit ihr an der Spitze ist der Staatsfonds Temasek aus Singapur bei Bayer eingestiegen. Ein Anfang. Ho will im großen Stil innovative Unternehmen finanzieren.

von Martin Blümel, €uro am Sonntag

Die Kartellbehörden gaben vor Kurzem grünes Licht: Der ­Chemie- und Pharmakonzern Bayer darf den Saatgut- und Herbizidproduzenten Monsanto übernehmen. Es ist der größte Zukauf in der Firmengeschichte von Bayer und mit gut 54 Milliarden Euro Volumen zugleich die teuerste Übernahme durch ein deutsches Unternehmen überhaupt.



Möglich macht das auch der neue Großaktionär des Konzerns: der in Singapur ansässige Staatsfonds Temasek (zu Deutsch: Stadt am Meer), der umgerechnet etwa 170 Milliarden Euro Kapital verwaltet. Er kauft 31 Millionen der neuen Bayer-Aktien für drei Milliarden Euro. Geführt wird Temasek Holdings von Ho Ching, Jahrgang 1953, drei Söhne und eine Tochter, wache Augen, akkurat geschnittener grauer Bubikopf - der in der Presse bisweilen als "political bob" verspottet wird. Was bei Ho auch deswegen passt, weil sie mit Lee Hsien Loong verheiratet ist, dem Premierminister von Singapur.

Die Last der Neuerfindung

Ho Ching ist jedenfalls ein Name, den man sich merken muss. Denn Temasek Holdings expandiert: Statt nur in Unternehmen des eigenen Landes zu investieren, legt man den Staatsschatz immer internationaler und auch riskanter an - Biotechnologie, Internet of Things, Firmengründer. Hinter der Neuausrichtung steht Ho, einst beste Schülerin ihres Jahrgangs in Singapur und studierte Elektroingenieurin mit Abschluss an der US-Universität Stanford.



Dass Temasek so umtriebig ist, liegt daran, dass man eng mit der Staatsführung von Singapur verzahnt ist. Und die ist getrieben von der Frage, wovon der Ministaat in den nächsten Jahrzehnten leben soll. Das Land verfügt über keine Rohstoffe und hat kaum eigene Indus­trie. Sämtliche Lebensmittel werden eingeführt, selbst das Trinkwasser kommt zum Teil aus Malaysia. Die Wirtschaft muss sich ständig neu erfinden, um nicht abzufallen: einst als Drehscheibe für Banken, dann für Start-ups und für die vernetzte Industrie. Und jetzt auch für autonomes Fahren. Ho Chings Investitionen haben somit enorme Folgen für die Lebensqualität der Bürger Singapurs, gerade weil die Kapital­erträge des Fonds einen großen Beitrag zum Staatshaushalt beisteuern. Meistens läuft der Fonds auch richtig gut: 2017 schaffte er eine Wertsteigerung von 13 Prozent.

Der Fonds hat Tradition. Schon seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1965 - also weit vor der Ära Ho Ching - kümmert sich der Staatsfonds Temasek darum, die Veränderungen und Neuorientierungen des Stadtstaats immer wieder anzuschieben. Dabei steht Temasek nicht allein da. Es gibt noch den "Konkurrenten" GIC (Government of Singapore Investment Corporation). Singapur leistet sich gleich zwei Staatsfonds. GIC-Chef Lim Chow Kiat ist das vorsichtige Pendant zu Ho. GIC soll nämlich laut Vorschriften "stabile Erträge sichern", also weniger Risiko eingehen als Temasek. Das klappt mal mehr, mal weniger. Mit einem Investment in die vermeintlich sichere Schweizer Bankengruppe UBS ging GIC vor ein paar Jahren ordentlich baden.


Anfangs waren Temasek und GIC darauf bedacht, vor allem in landeseigene Unternehmen zu investieren. Gefühlt besitzt Temasek auch jetzt noch die halbe Kapitalisierung der Börse Singapur. Zu den Kerninvestments von Ho Ching gehören Anteile an so bekannten Unternehmen wie Singapore Airlines, dem Mischkonzern Keppel, Singapore Telecommunications, der Bank DBS Group und dem Immobilienentwickler Capitaland - alles Unternehmen, die auch im berühmten Leitindex Straits Times eine wichtige Rolle spielen. Allein die DBS, an welcher der Fonds 29 Prozent der Anteile hält, verdeutlicht die Bedeutung Temaseks: Sie ist die größte Bank in Südostasien und expandiert auf dem ganzen Kontinent.

Jetzt also die immer stärkere Internationalisierung. Nur noch rund ein Drittel des Vermögens ist im eigenen Land in­vestiert. Ho Ching, die auf Rang 28 der "­Forbes"-Liste der einflussreichsten Frauen der Welt steht, will beispielsweise größte Investorin beim chinesischen Handy-Finanzdienstleister Ant Financial werden, hinter dem Alibaba- Gründer Jack Ma steht. Zehn Milliarden Dollar will Ant Financial insgesamt einsammeln.

In Europa wiederum hat Ho mit der Schweizer Spedition Kühne + Nagel ein Joint Venture gegründet, das innovative Logistik-Newcomer finanziert. Auch europäische Techfirmen stehen auf ihrer Wunschliste. Und in San Francisco wurde gerade eine neue Temasek-­Niederlassung eröffnet - die Nähe zum Silicon Valley ist sicherlich kein Zufall. Geld für die globale Expansionsstrategie ist da: Temasek hortet umgerechnet 60 Milliarden Euro Cash.

Dabei war Ho Ching bei Temasek einst nur als Übergangslösung gedacht, sie sollte nach einem, maximal zwei Jahren abgelöst werden. Doch inzwischen macht die 65-Jährige den Job schon seit 14 Jahren. Charles Waterhouse Good­year IV, ehemals Chef des Rohstoff­riesen BHP Billiton, sollte den Temasek-­Posten 2009 von ihr übernehmen. Er schien perfekt. Alles war vorbereitet und eingetütet. Doch völlig überraschend platzte der Deal. Über die Gründe schweigen sich beide Seiten bis heute beharrlich aus.

Jedoch wird gemunkelt, dass Ho trotz der geplanten Übergabe ihre Kompetenzen nicht einfach so abgeben wollte. ­Angeblich klebt sie geradezu an ihrem Sessel. Aber vielleicht stehen die tatsächlichen Ursachen mal in Good­years Memoiren. Seit dem Desaster jedenfalls tat sich nichts Ernsthaftes mehr in Sachen Nachfolge. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass weitere Jahre einer Übergangszeit dazukommen.

Vorwurf Vetternwirtschaft

Wie es weitergeht, hängt auch von Ehemann Lee Hsien Loong ab. Der ist seit 2004 Premier von Singapur. Und gleichzeitig Finanzminister. Als ältester Sohn des Staatsgründers und ersten Premierministers Lee Kuan Yew muss er sich immer wieder den Vorwurf des Nepotismus gefallen lassen - der Vetternwirtschaft. Die Position, die seine Frau innehat, macht die Sache nicht ­gerade leichter.

Den Boulevard würde ein Abgang Ho Chings wohl schmerzen, kommt die First Lady doch immer wieder mal in der Yellow Press vor. Dort wird allzu gern ihr Styling moniert - sie mag Sandalen und Handtaschen, die es im Web für wenig Geld zu kaufen gibt. Besonders intensiv wurde darüber getratscht, als sie vor einigen Jahren in lockerem Outfit beim Staatsbesuch in den USA auf die Mode-Ikone und damalige Präsidentengattin Michelle Obama traf, die in einem ebenso geschmackvollen wie wohl auch sündhaft teuren Kleid auftrat, während der Besuch sich mit einem 15-Dollar-­Täschchen zeigte und in einem eher langweiligen grauen Kostüm steckte.

Für den Boulevard galt dies als eine Blamage. Aber vielleicht war und ist das auch ein wenig unfair - schließlich wurde auch Frau Obama schon in Kleidern der günstigen britischen Onlinemarke Asos gesehen. Außerdem entpuppte sich das Geraune als peinlich für die Klatschpresse: Die Tasche war von einem autistischen Singapurer Handwerker gefertigt worden, der von einer philanthropischen Einrichtung Hos unterstützt wird.

Ho wird auch ein Faible für Deutschland nachgesagt. Auf Facebook ist sie mit Weißbierglas in einem bayerischen Biergarten zu sehen. Dazu mag sie die Fußballnationalmannschaft samt Trainer Jogi Löw - auch weil sie ­Parallelen sieht bei Erfolg und Scheitern eines Fußballteams und eines Investmentfonds. Mal werde man in den Himmel gehoben, mal verdammt. Und noch wichtiger an Hos Deutschland-Faible: Zu ihren Beratern gehören Michael Diekmann, einst Allianz-Chef, und Franz Fehrenbach, vormals Bosch-Oberhaupt. Kein Wunder, dass sie verstärkt in Europa ­investiert.

Verdrahtet und verschwiegen

Großen Anteil daran hat auch die zweite Reihe hinter der Führungsfigur Ho. Da geht es illuster zu. Von 2012 bis 2014 war John Cryan, Ex-Chef der Deutschen Bank, für das Europa-Geschäft zuständig. Aktuell sitzen im Verwaltungsrat Marcus Wallenberg von der gleichnamigen schwedischen Bank und Industriedynastie, Robert Zoellick, der für Singapur den Freihandelsvertrag mit den USA aushandelte, sowie Peter Voser, einst Shell-Chef, heute im Verwaltungsrat von ABB, Roche und IBM. Alle perfekt verdrahtet, verschwiegen und mit Geldriecher. Wie Ho Ching.

Kurzvita

Musterschülerin
Ho Ching - oder chinesisch Hé Jīng - führt die Geschäfte von Temasek, einem der beiden Staatsfonds der Republik Singapur. Geboren am 27. März 1953, besuchte sie eine Mädchenschule, war Jahrgangsbeste im Junior College und studierte an der Uni Stanford. Ho ist mit Lee Hsien Loong, Premier des Stadtstaats, verheiratet. Die beiden haben vier Kinder. Ho ist zudem engagierte Philanthropin.




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Bildquellen: Lucasmatti

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