Euro am Sonntag

China geht es deutlich besser als gedacht

18.12.15 03:00 Uhr

China geht es deutlich besser als gedacht | finanzen.net

Trotz der Diskussion um fallende Wachstumsraten bietet China langfristig orientierten Anlegern derzeit gute Anlagechancen. Neue Börsenregeln machen das Land für internationale Investoren deutlich interessanter.

von Jasmine Kang, Gastautorin von Euro am Sonntag

Es gilt inzwischen fast als Tat­sache, dass sich das chinesische Wirtschaftswachstum noch weiter verlangsamen wird. Da­rüber wird allerdings gern vergessen, dass derzeit eine strukturelle Reform zugunsten einer konsumentengestützten Wirtschaft stattfindet. Aktuell werden die Kräfteverhältnisse innerhalb der chinesischen Wirtschaft neu geordnet. Circa 80 Prozent des Wachstums werden inzwischen im Servicesektor erwirtschaftet. 2011 lag dieser Anteil noch bei bescheidenen 40 Prozent.



Verschiedene Maßnahmen sind bereits umgesetzt, weitere werden folgen. Dazu zählen eine umfassende Reform des Gesundheitswesens sowie die Neuausrichtung der staatlichen Unternehmen. Dennoch gibt es noch immer weitverbreitete Bedenken, ob die Reformmaßnahmen die Qualität des Wachstums in China verbessern können.

Einzelhandelswachstum liegt immer
noch über zehn Prozent

Drei Probleme stehen im Vordergrund:

1. Traue nicht den offiziellen Zahlen! Das Wachstum für die erste Jahreshälfte 2015 wird offiziell zwar immer noch mit sieben Prozent ­angegeben. Dennoch sind viele Anleger überzeugt, dass dies nicht der Entwicklung einiger Wirtschaftsindikatoren wie Stromnachfrage, Kreditschöpfung und Eigenheimneubauten entspricht. Zudem ist bekannt, dass der Servicesektor längst nicht so viele Ressourcen verbraucht wie der verarbeitende Sektor. Mit anderen Worten: Die Energiedichte der New Economy ist deutlich geringer.


Schaut man sich die Bottom-up-Daten der Börsen genauer an, legte der MSCI China ex Energy im ersten Halbjahr 2015 um 13 Prozent zu, obwohl der MSCI China im gleichen Zeitraum nur einen Zuwachs von drei Prozent verzeichnete. Es ist in der Tat positiv, dass der Energiekonsum langsamer steigt, der Rest der Wirtschaft aber intakt bleibt. Die Datenqualität der offiziellen Wachstumsstatistiken bleibt dennoch fragwürdig. Die Fehler könnten viel kleiner sein, als der Markt dies wahrgenommen hat.
2. Konsum allein reicht nicht aus, um den rückläufigen Teil der Wirtschaft zu kompensieren! Einige Konsummarken wie McDonald’s, der größte chinesische Hersteller von Instantnudeln TingYi und mehrere Luxusmarken legten für China negative Zahlen vor. Daneben gibt es aber auch Unternehmen wie die Modemarke Uniqlo oder Nike, die dort nach wie vor um mehr als 20 Prozent wachsen. Das Konsumverhalten der Chinesen ändert sich aufgrund der Entwicklungen im Bereich E-Commerce und der steigenden Zahl junger Verbraucher sehr schnell. Trotz aller Veränderungen liegt das Einzelhandelswachstum noch immer über zehn Prozent.
Die riesige Verbrauchernachfrage von 1,3 Milliarden Menschen ist Chinas größter Trumpf. Der tertiäre Sektor macht immer noch fast 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus und legt sogar weiterhin zweistellig zu. Genau das wird die chinesische Wirtschaft künftig weiter antreiben und die Kräfteverhältnisse neu ordnen.
3. Weitere Reformen verzögern sich aufgrund der hohen Verschuldung! Es ist in der Tat alarmierend, dass das Verhältnis der Gesamtverschuldung zum BIP in China bei mehr als 200 Prozent liegt. Es sind allerdings klare Anzeichen dafür zu erkennen, dass die chinesische Regierung die Probleme erkannt hat und an unterschiedlichen Ansätzen arbeitet, um dieses Risiko einzudämmen. Ein großer Zahlungsausfall im Finanz- oder Unternehmenssektor ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Der chinesischen Regierung kann durchaus zugute gehalten werden, dass der Immobilienmarkt stabil geblieben ist.

Öffnung für Investoren aus dem
Ausland beflügelt die Börse

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Chinas Wirtschaftswachstum zwar verlangsamt, die Qualität des Wachstums aber besser wird. Zudem scheint das Risiko relativ gut ausbalanciert zu sein. Niemand kann voraussagen, ob mit einer Investition in China in den nächsten Monaten Gewinne eingefahren werden können. Ein allgemeines Risiko für Emerging Markets ist und bleibt ein möglicher Anstieg der Zinsen in den USA. Dazu kommen noch verschiedene hausgemachte Risiken. Selbst wenn klar ist, dass sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der chinesischen Wirtschaft neu ordnen, so müssen sich die Vorteile erst noch in steigenden Unternehmenserträgen niederschlagen.

Die oben genannten Reformen und gesellschaftlichen Veränderungen werden uns auch in Zukunft die Möglichkeit eröffnen, solche Unternehmen zu finden, die über ein qualitativ gutes, langfristiges Wachstum ihres Ertrags je Aktie verfügen. Vor diesem Hintergrund liegt die Prognose für den MSCI China EPS gemäß Bloomberg für 2016 und 2017 bei je 8,3 und 11,7 Prozent, während das KGV bei neun liegt. Selbst wenn die Wirtschaft langsamer wächst, bieten chinesische Aktien derzeit noch immer weltweit die höchsten Zuwachsraten. Wir sind davon überzeugt, dass das BIP-Wachstum mit der Performance des Aktienmarkts korreliert.


Letztlich hat China einen Anteil von zwölf Prozent am weltweiten BIP, jedoch entfallen lediglich zwei Prozent des MSCI All Country World Index auf chinesische Unternehmen. Wenn die Erfahrungen Japans, Koreas und Taiwans auch nur im Ansatz einen Anhaltspunkt liefern, so ist die Öffnung des Marktes für die Anteilsklasse A bei Aktien ein wichtiger Schritt. Vorausschauende Anleger sollten sich also noch stärker mit China vertraut machen.

zur Person:

Jasmine Kang,
Fondsmanagerin bei Comgest

Kang arbeitet seit 2014 als Portfoliomanagerin und Analystin im Comgest-Büro Hongkong, wo sie sich auf Aktien der Region Greater China spezialisiert hat. Mit mehr als zehn Jahren Anlageerfahrung trägt die Mandarin-Muttersprachlerin, die seit 2015 Co-Leader des Fonds Comgest Growth Greater China ist, wesentlich zur Ideen­entwicklung bei.
Comgest wurde 1985 in Paris gegründet. Das Unternehmen ist eine unabhängige internationale Fondsverwaltungsgesellschaft.

Bildquellen: Digital Storm / Shutterstock.com, Comgest