EU beschließt Sanktionen

Der Westen geht auf Konfrontationskurs mit Russland

07.03.14 11:59 Uhr

Erstmals seit Ende des Kalten Krieges hat die Europäische Union einen folgenreichen Sanktionsplan gegen Russland beschlossen.

Um eine Eskalation in der Ukraine abzuwenden, einigte sich ein EU-Sondergipfel nach stundenlangem Ringen am Donnerstag in Brüssel mit überraschender Härte von Kanzlerin Angela Merkel auf einen Drei-Stufen-Prozess. Dies geschah im Schulterschluss mit den USA. Sollte sich die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim an Russland anschließen, will Brüssel Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängen. Davor warnte die deutsche Wirtschaft eindringlich. Prorussische Bewaffnete hinderten unterdessen eine OSZE-Beobachtermission daran, auf die Krim zu gelangen.

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    Im ersten Schritt setzte die EU Verhandlungen über Visa- Erleichterungen und über ein neues Rahmenabkommen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau aus. Verweigere sich Moskau Verhandlungen zur Lösung des Krise und der Beteiligung an einer Kontaktgruppe mit Kiew, werde die EU Einreiseverbote, Kontensperrungen und notfalls auch wirtschaftliche Sanktionen verhängen. Das sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Die EU erwarte, dass Russland "innerhalb der nächsten Tage" Verhandlungen mit der Ukraine über eine friedliche Beilegung des Konflikt beginne. US-Präsident Barack Obama verfügte bereits Einreiseverbote und Kontensperrungen. Wen dies trifft, blieb unklar.

    Wie auch Obama verurteilten die 28 EU-Staats- und Regierungschefs die Entscheidung des moskautreuen Krim-Parlaments für eine Volksabstimmung über die Abtrennung der Halbinsel von Kiew. Die mehrheitlich russische Bevölkerung soll bereits am 16. März bei einer vorgezogenen Volksabstimmung darüber entscheiden. In Russland wurden erste Vorbereitungen für eine Angliederung getroffen. Das sei "unrechtmäßig", heißt es in einer Erklärung des EU-Gipfels. Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk sagte: "Die Krim ist, war und wird weiterhin ein integraler Teil der Ukraine sein."
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    In den vergangenen Tagen hatten prorussische Kräfte auf der Halbinsel die Macht übernommen. Kiew und die USA werfen Moskau vor, russische Soldaten hätten die Krim unter ihre Kontrolle gebracht. Russland weist den Vorwurf zurück und spricht von lokalen "Selbstverteidigungskräften".

    Sollte Russland weiter "Destabilisierungsmaßnahmen wie militärische Aktionen" auf der Krim unternehmen, werde es zu einer weitreichenden Veränderung der Beziehung zu Russland kommen, sagte Merkel. "Wir wünschen uns das nicht", betonte Merkel. Die EU sei aber bereit dazu, warnte sie.
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    Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sprach in Moskau mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin über die Lage. Gabriel warnte: "Wir sind kurz davor, Europa zurückzuwerfen in die Zeiten des Kalten Krieges." Die EU droht, den nächsten geplanten Gipfel mit Russland abzusagen.

    Der Stopp der Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und das neue Grundlagenabkommen gelten als vergleichsweise weiche Maßnahmen. Die seit Jahren laufenden Gespräche über beide Abkommen kommen ohnehin kaum voran. Das größere Druckmittel sind die angedrohten schärferen Sanktionen. Für diesen Fall hat der Kreml bereits Gegenmaßnahmen angekündigt.

    Bislang lehnt es Moskau ab, sich mit der neuen Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. In Paris war am Mittwoch die Gründung einer Ukraine-Kontaktgruppe zur friedlichen Lösung der Krise gescheitert. In Rom kam US- Außenminister John Kerry mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zusammen und drängte ihn zu Gesprächen mit der Ukraine.

    Die EU will das im vorigen Jahr gescheiterte Assoziierungsabkommen mit der Ukraine in einem ersten - politischen - Teil noch vor der geplanten Präsidentenwahl in der Ukraine am 25. Mai unterzeichnen. "Damit wird die enge Verbindung zwischen der Ukraine und der EU besiegelt", sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

    Merkel sicherte der Ukraine erneut finanzielle und politische Unterstützung der EU zu. Der Gipfel bekräftigte den Plan, das Land langfristig mit elf Milliarden Euro zu unterstützen.

    Die deutsche Wirtschaft zeigt sich angesichts möglicher Sanktionen alarmiert. "Wir sollten uns keine Sanktionen leisten, weil das eigentlich für uns keine Option ist", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, am Freitag im Deutschlandfunk. Zugleich zeigte er aber Verständnis für mögliche Strafmaßnahmen. "Auf der anderen Seite - das muss man einfach akzeptieren - musste die EU in den Sanktionsmechanismus eintreten", meinte Wansleben.

Klar dagegen sprach sich der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, aus - vor allem, weil Deutschland angesichts der schleppenden Energiewende auf absehbare Zeit gar nicht auf russisches Gas verzichten könne. "Der Versuch, Länder wie die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich herauslösen und an den Westen binden zu wollen, ist naiv", sagte Sinn der "Passauer Neuen Presse".

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) rief bei einem Besuch in Kiew Europa auf, die Ukraine zu unterstützen. Nach einem Treffen mit dem ukrainischen Regierungschef Arseni Jazenjuk nannte er als konkreten Vorschlag Stromexporte des Landes nach Europa, unter anderem nach Polen. Allerdings fehlten dazu noch die entsprechenden Netze.

Wansleben betonte mit Blick auf die Sanktionsdebatte, man müsse die Brüsseler Pläne mittragen, obwohl Russland und Europa wirtschaftlich eng miteinander verflochten seien: "Wenn es zu globalpolitischen Konflikten kommt, ist die Politik ganz klar vorne. Wir werden am Ende eine Politik unterstützen, wie sie die EU eingeleitet hat."

Neben Norwegen zählt Russland zu den wichtigsten Gaslieferanten der Bundesrepublik. Bis erneuerbare Energieträger wie die Wind-, Wasser- und Solarkraft hinreichend große Anteile am Strommix abdecken können, sollen insbesondere moderne Gaskraftwerke die Gesamtversorgung sichern. Mit Strafmaßnahmen schneidet sich die EU aus Sicht von Ifo-Chef Sinn daher letztlich ins eigene Fleisch: "Jetzt stehen wir auf dem Scherbenhaufen einer vollkommen überzogenen EU-Politik."

Ob empfindlichere Sanktionen gegen Russland die Energielieferungen in den Westen wirklich gefährden könnten, beurteilen Experten skeptisch. "Die Russen brauchen Geld, sie müssen exportieren, Gazprom muss seine Verträge erfüllen. Wir brauchen das Gas, die Ukraine braucht die Transitgebühr", sagte der Herausgeber des Hamburger Energie- Informationsdienstes (EID), Heino Elfert, der Nachrichtenagentur dpa. "Alle Interessen sind so gelagert, das so weiterlaufen zu lassen."

Der DAX ist am Freitag aus Nervosität wegen der Krim-Krise klar ins Minus gerutscht. "Keiner weiß was jetzt auf der Krim los ist und wie es weitergeht - Unsicherheit ist Gift für die Börse," so ein Händler. /du/mt/eb//DP/stb

BRÜSSEL (dpa-AFX)