Erholung ausgebremst

IfW: Aussichten für 2022 deutlich verschlechtert

15.12.21 10:24 Uhr

IfW: Aussichten für 2022 deutlich verschlechtert | finanzen.net

Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seine Prognose für die Entwicklung des deutschen Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr deutlich gesenkt.

Die Ökonomen erwarten nun 2022 eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 4,0 Prozent nach einem Plus von 2,6 Prozent dieses Jahr. Die Aussichten für 2022 hätten sich "deutlich verschlechtert", die Erholung der deutschen Wirtschaft werde "abermals ausgebremst", erklärten sie. "Lieferengpässe und die vierte Corona-Welle belasten Deutschlands Aufschwung", betonte das Institut. "Er bekommt einen spürbaren Dämpfer, der Aufholprozess verschiebt sich um mehrere Monate nach hinten."

Dafür werde es dann 2023 mit 3,3 Prozent "voraussichtlich steiler nach oben gehen". Bisher hatten die Forscher für 2023 ein BIP-Plus von 2,3 Prozent nach einem Zuwachs um 5,1 Prozent im Jahr 2022 erwartet. In der Schlussabrechnung für das Jahr 2021 dürften die gegen Jahresende fälligen Lizenzeinnahmen des Impfstoffentwicklers BioNTech von seinem US-amerikanischen Produktionspartner Pfizer den BIP-Zuwachs sogar auf rund 3 Prozent erhöhen, erwartete das IfW. Dieser Effekt sei aber nicht in die Prognose eingeflossen, da der Gesamtbetrag voraussichtlich unterjährig verbucht werde und deshalb mit amtlichen Revisionen für die Vorquartale zu rechnen sei.

"Insgesamt fällt die durch die laufende Infektionswelle verursachte Delle im Erholungsprozess etwas größer aus, als wir noch in unserer Herbst-Prognose erwartet hatten", sagte IfW-Vizepräsident Stefan Kooths. "Der Rückschlag wird aber dank eines größeren Impffortschritts bei weitem nicht so gravierend sein wie im vergangenen Winterhalbjahr." Die ökonomischen Folgen der Pandemie seien weiterhin empfindlich, aber sie nähmen "von Welle zu Welle ab".

Das BIP dürfte nach der Kieler Prognose in den beiden Quartalen des Winterhalbjahrs jeweils um 0,3 Prozent schrumpfen, bevor der Aufschwung ab dem Frühjahr 2022 wieder kräftig Fahrt aufnimmt, wenn die Belastungen durch die Pandemie nachlassen. Zusätzlicher Schwung rühre daher, dass nach und nach auch die Lieferengpässe überwunden werden dürften, die die Industrieproduktion derzeit massiv belasteten. Das Vorkrisenniveau des BIP werde nunmehr erst im zweiten Quartal 2022 erreicht und die Normalauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten erst im dritten Quartal.

Inflation weiter über 3 Prozent

Bis dahin kostet die stärkere Verzögerung im Aufholprozess infolge der heftigeren vierten Corona-Welle nach den Berechnungen Wirtschaftsleistung in Höhe von rund 40 Milliarden Euro, wobei vor allem konsumnahe Dienstleistungsbereiche betroffen seien. Die Inflationsrate dürfte in diesem und im kommenden Jahr bei je 3,1 Prozent und 2023 bei 2,0 Prozent liegen. Ursächlich für die vorerst weiter hohe Teuerung seien zum einen Lieferengpässe, die weiterhin die Herstellungskosten erhöhten und das Konsumgüterangebot verknappten. Gleichzeitig hätten die Privathaushalte rund 200 Milliarden Euro an zusätzlichen Ersparnissen angehäuft und besäßen so "eine recht hohe Zahlungsbereitschaft".

Die öffentlichen Haushalte blieben deutlich im Defizit, obwohl die Einnahmen kräftig sprudelten und die Steuereinnahmen ihr Vorkrisenniveau überschritten hätten. Das Defizit sinke nach 3,8 Prozent des BIP 2021 auf 1,8 Prozent 2022, weil die Belastungen durch die Pandemie nachließen. Auch 2023 würden die Haushalte voraussichtlich mit einem deutlichen Defizit von 1,4 Prozent abschließen. "Die finanzpolitische Ausrichtung passt nicht in die gesamtwirtschaftliche Landschaft der nächsten Jahre", kritisierte Kooths. Die Demografie zehre an den Wachstumskräften, und die Dekarbonisierung strapaziere die Produktionsmöglichkeiten zusätzlich. "Da hilft kein Defizit-Boostern, sondern eine an den Kapazitäten orientierte Priorisierung der Staatsausgaben", betonte der IfW-Konjunkturchef.

Die Erholung am Arbeitsmarkt werde durch die vierte Welle unterbrochen, ein erheblicher Teil des Arbeitsausfalls dürfte abermals über Kurzarbeit abgefangen werden. Insgesamt erwartet das IfW aber einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent in diesem auf 5,2 Prozent im kommenden und 5,0 Prozent im übernächsten Jahr.

Von Andreas Kißler

KIEL/BERLIN (Dow Jones)

Bildquellen: Smit / Shutterstock.com, jvinasd / Shutterstock.com