Billionenhilfen: Die wahren Gewinner und Verlierer der globalen Schuldenwelle
Weltweit stemmen sich Regierungen gegen den wirtschaftlichen Einbruch. Die Schulden explodieren. Welche Folgen zu erwarten sind, wie Anleger reagieren sollten.
Werte in diesem Artikel
von A. Hohenadl und C. Platt, Euro am Sonntag
Bei diesen Geldbergen kann es selbst besonnenen Betrachtern schwindelig werden. Weltweit aktivieren Regierungen Schutzschirme und schnüren Rettungspakete. Alles dient dazu, die Folgen der Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Fast 2,8 Billionen Dollar nehmen die USA in die Hand, um den Schaden abzumildern - rund 13 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Die deutschen Unterstützungsmaßnahmen belaufen sich auf 1,2 Billionen Euro. Kein anderes Land hat im Vergleich zu seiner Wirtschaftsleistung mehr Geld mobilisiert (siehe Investor-Info unten). Der Umfang der Hilfspakete hierzulande entspricht etwa einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts. Weltweit summieren sich die Bemühungen auf mehr als acht Billionen Dollar.
"Eine beispiellose globale Krise erfordert beispiellose globale Antworten", sagt Kristalina Georgieva, Chefin des Internationalen Währungsfonds. Die Aussichten sind trübe. Der IWF erwartet einen ökonomischen Abschwung, wie es ihn seit der Großen Depression zu Beginn der 1930er-Jahre nicht mehr gegeben hat. Für 2020 prognostiziert er einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung um drei Prozent - deutlich mehr als der Einbruch während der Finanzkrise 2008/09.
Preis der Unterstützung
Die Länder stemmen sich mit Macht dagegen und ernten dafür viel Lob. Doch die Hilfen haben einen Preis. "Die Staatsverschuldung wird explodieren", sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW. Die Verschuldungsquote - die Schulden eines Staates geteilt durch seine jährliche Wirtschaftsleistung - lag in Deutschland 2019 bei knapp 60 Prozent. Für das laufende Jahr rechnet der IWF mit fast 69 Prozent. In Italien, dem nach Griechenland am höchsten verschuldeten Land der EU, dürfte die Quote von 135 auf 156 Prozent klettern. Noch dynamischer steigt der Wert in den USA: Nach 109 Prozent im Vorjahr werden 131 Prozent für 2020 erwartet.
Noch sind das Prognosen. "Bei den Hilfsprogrammen handelt es sich um Pläne, die gerade erst beschlossen wurden", sagt Johannes Müller, Leiter für Makroökonomie bei der Fondsgesellschaft DWS. Wie viel Kapital tatsächlich benötigt wird, ist offen. Noch unsicherer sind die Vorhersagen zur wirtschaftlichen Entwicklung. "Die Schuldenquote hängt nicht zuletzt davon ab, wie stark das Bruttoinlandsprodukt tatsächlich einbrechen wird." Je nach Einschränkung der Aktivitäten kann der Rückgang mehr oder weniger empfindlich ausfallen. Dass sich Schuldenlast und Haushaltsdefizit merklich erhöhen werden, ist aber sicher.
Der einzige Weg
In der aktuellen Lage gibt es keine Alternative zu den Programmen und den daraus folgenden Belastungen der Staatshaushalte. Viele Unternehmen und Selbstständige haben durch den Lockdown enorme Einbußen erlitten, Arbeitnehmer haben ihren Job verloren oder verdienen weniger. Hilfe tut not. "Die Folgen der staatlichen Maßnahmen sind zunächst nur positiv", sagt Georg von Wallwitz, Geschäftsführer bei Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement. "Die Wirtschaft wird stabilisiert, die Nachfrage wird unterstützt." Die Hilfsprogramme haben dafür gesorgt, dass sich die Aktienkurse nach dem Einbruch im März erholen konnten und haben die Anleihemärkte gestützt.
Aus Sicht der Länder ist es aber nicht nur kurzfristig sinnvoll, in die Vollen zu gehen. Der Wirtschaft in einer Krise kräftig zu helfen zahlt sich auch auf lange Sicht aus, wenn neuer ökonomischer Schwung zu wachsenden Steuereinnahmen führt. "Eine frühzeitige massive Ausgabenerhöhung ist eine kluge Schuldenpolitik, weil sich damit die Staatsverschuldung langfristig reduzieren lässt", sagt DIW-Chef Fratzscher.
Gleichwohl birgt eine Ausweitung der Verschuldung in diesem extremen Ausmaß Risiken. Staaten, die schon vor der Corona-Krise mit ihrem Schuldenstand zu kämpfen hatten, könnte die aktuelle Freigiebigkeit überfordern. In Europa ist vor allem Italien in dieser Situation. "Wenn auf die hohe Verschuldungsquote von 135 Prozent noch einmal 20 Prozentpunkte draufkommen, wird es kritisch", so Fratzscher. Irgendwann könne es für die italienische Regierung schwierig werden, Schulden aufzunehmen oder zu bedienen, so der Ökonom.
Dann könnte es erneut zu Spekulationen über einen Austritt des Landes aus dem Euro kommen. Die hohe Verschuldung hätte sich als politisches Risiko manifestiert, das wiederum die Finanzmärkte in Mitleidenschaft ziehen könnte. "Die Sache mit Italien hat gute Chancen, binnen drei Jahren zur Explosion zu kommen", sagt von Wallwitz. Der Vermögensverwalter rechnet mit einer Austrittswahrscheinlichkeit für Italien von 20 bis 30 Prozent in den kommenden fünf Jahren.
Solange es aber nicht zu einem Krach in der EU kommt, ist eine hohe Verschuldung nicht per se schädlich. Entscheidend ist allerdings, dass die Zinsen niedrig bleiben. Hier gibt es wenig Zweifel, dass die Europäische Zentralbank und weitere Notenbanken noch lange strikt darauf achten werden. Mit ihrer jüngsten Bilanzausweitung hat die EZB das niedrige Niveau gefestigt und ermöglicht damit höhere Staatsschulden. "Solange die Zentralbanken so beherzt reagieren und das Vertrauen der Wirtschaft und der Finanzmärkte haben, besteht keine große Gefahr einer Schuldenkrise", sagt DWS-Ökonom Müller.
Bei den Schwellen- und Entwicklungsländern sieht die Sache anders aus. Hier dürfte die Schuldenexplosion mittelfristig zu der einen oder anderen Staatspleite führen. "In den weniger entwickelten Ländern entsteht ein Cocktail, der extrem gefährlich ist", erklärt Fratzscher. Zum einen kämpfen viele dieser Nationen mit riesigen Exportverlusten, insbesondere wenn sie auf die Ausfuhr von Rohstoffen angewiesen sind. Zum anderen sorgt die Abwertung der Landeswährung für Probleme, weil sich die Länder oft in ausländischen Devisen verschuldet haben. Zuletzt ziehen sich derzeit ausländische Investoren zurück, von denen die Staaten besonders abhängig sind.
Teuerung bleibt beherrschbar
Das Risiko, dass die Neuverschuldung zu einem schnellen Anstieg der Inflationsrate führt, wird unterdessen als gering erachtet. Aktuell bremsen die sinkende Erwerbstätigkeit und die niedrigere Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen die Teuerung. Auch mittelfristig rechnen die meisten Experten nicht damit, dass die Inflation außer Kontrolle gerät. Sie werde zwar anziehen, doch nur moderat. "Unternehmen werden ihre Lieferketten überprüfen und künftig weniger auf die niedrigsten Kosten achten, sondern mehr auf Produktionssicherheiten", meint DWS-Experte Müller. Das könne mitunter etwas höhere Preise zur Folge haben.
Gegen einen stärkeren Anstieg der Teuerung spricht, dass das Geld, das Staaten und Notenbanken zurzeit in die Hand nehmen, nur zu einem Teil in der Realwirtschaft landen wird (siehe Investor-Info unten). Viele Maßnahmen bringen zudem kein zusätzliches Geld in den Kreislauf, sondern kompensieren lediglich den Ausfall von Lohn und anderen Einnahmen (etwa Kurzarbeitergeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterstützungen für das Gastgewerbe).
Die Zeche zahlen alle
Bleibt die Frage, wer die Hilfsprogramme von Bund und Ländern eines Tages bezahlen wird. "Wir alle. Wir 83 Millionen Menschen in diesem Land", meint Michael Neumann, Vorstand des Kreditvermittlers Dr. Klein. Zunächst werde es zwar um Steuersenkungen und Subventionen für Unternehmen gehen, um die Konjunktur anzuschieben. Aber dann werde es sowohl die Generation sein, die jetzt im Berufsleben steht, als auch mindestens eine Nachfolgegeneration, die für die staatlichen Maßnahmen aufkommen müssen. Neumann ist überzeugt, dass nach der Krise über eine Vielzahl möglicher Belastungen diskutiert werden wird: Vermögensabgaben, Corona-Solidaritätszuschlag, höhere Mehrwertsteuer, Finanztransaktionssteuer und höhere Immobilienbesteuerung. "Einige davon werden es am Ende auch werden", sagt er. Für wahrscheinlich hält er höhere Belastungen durch die Grundsteuer, die die Kommunen kassieren und die ohnehin gerade reformiert wird.
Anleger sollten sich in diesem Umfeld auf reale Vermögenswerte konzentrieren. An erster Stelle stehen für den langfristigen Investor Aktien. Sie kommen mit einer moderaten Teuerungsrate gut zurecht, weil Unternehmen mit höheren Preisen für ihre Waren und Dienstleistungen flexibel reagieren können. Auch das niedrige Zinsniveau - durch die Krise fester verankert als je zuvor - begünstigt Aktien gegenüber Anleihen.
Anleger sollten bei der Auswahl der Unternehmen aber sehr selektiv vorgehen. "Eine der wichtigsten Fragen ist, ob das Geschäftsmodell durch Corona nachhaltig kaputt gegangen ist", mahnt von Wallwitz. Er führt die Luftfahrtbranche als Beispiel an, die nicht an frühere Zeiten werde anknüpfen können. Auf der anderen Seite stehen Firmen, die dauerhaft von den Umwälzungen profitieren. Der Onlinehandel, Telemedizin oder digitale Dienstleistungen für Verwaltung und Büros sind seiner Ansicht nach solche Wirtschaftszweige.
Auch Gold ist weiterhin interessant, wenngleich es meist nur als Beimischung empfohlen wird. Das fortgesetzte Niedrigzinsumfeld ist für das Edelmetall von Vorteil, weil es als ertragloses Investment gegenüber Anleihen kaum an Attraktivität einbüßt.
Große Gefahr einer neuen Schuldenkrise
von Wolfgang Ehrensberger
Führende deutsche Ökonomen schätzen die Gefahr einer europäischen und weltweiten Schuldenkrise als Folge der zahlreichen staatlichen Corona-Hilfsprogramme als hoch ein. Zur Bekämpfung der ökonomischen Krisenfolgen in Europa sollte nicht nur der europäische Rettungsfonds ESM herangezogen werden, sondern ein europäischer Marshall-Plan wie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelegt werden. Das ergab eine Umfrage des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag unter führenden deutschen Volkswirten.
Demnach stufen 61 Prozent der Befragten die Gefahr einer weltweiten Schuldenkrise als "hoch" oder "sehr hoch" ein. Eine geringe Gefahr sehen knapp zwei Prozent, eine mittelgroße Gefahr weitere 31 Prozent. Die Gefahr eines Wiederauflebens der europäischen Schuldenkrise stufen 54 Prozent der Befragten als "hoch" oder "sehr hoch" ein.
Marshall-Plan als Ausweg
Die Finanzierung der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Folgen sollte vor allem über den Euro-Rettungsfonds ESM laufen. Dafür plädieren mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmer. An zweiter Stelle folgt mit 40 Prozent eine Wiederauflage des sogenannten Marshall-Plans. Mit diesem groß angelegten Konjunktur-Hilfsprogramm haben die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft der westeuropäischen Länder wieder aufgebaut. Knapp ein Drittel der Befragten ist der Ansicht, dass die Finanzierung auch über künftiges Wirtschaftswachstum erfolgen kann. Für sogenannte Corona-Bonds, also europäische Anleihen mit vergemeinschafteter Haftung, sprechen sich 15 Prozent der Teilnehmer aus.
Einen signifikanten Anstieg der Preisteuerung sehen die Ökonomen in den nächsten beiden Jahren nicht. Sie erwarten im Durchschnitt für dieses Jahr eine Inflationsrate von 1,1 Prozent und für 2021 von 1,8 Prozent.
Investor-Info
Krisenbekämpfung
Klotzen, nicht kleckern
Die Grafik zeigt die Hilfspakete ausgewählter G-20-Länder in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Bei Italien und Deutschland summieren sich die direkten Ausgaben sowie Kredite und Garantien auf ein Drittel des BIP.
Haushaltsdefizite
Tief in die Miesen
Bereits 2019 fuhren viele Länder ein Haushaltsdefizit ein. Die mit der Corona-Krise verbundenen Maßnahmen sorgen nun dafür, dass beispielsweise in den USA das Defizit von 5,8 auf 15,4 Prozent des BIP anwächst.
Geldschwemme
Kaum Inflationsgefahr
Notenbanken wie die amerikanische Fed blähen durch Anleihekäufe ihre Bilanzen auf, und die Geldmenge wächst. Im Gegenzug aber sinkt seit vielen Jahren die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Experten sehen darin ein Argument, dass es nicht zu einem heftigen Anstieg der Inflation kommt.
Comgest Growth World
Wachstum und Stabilität
Die riesigen Geldspritzen für Unternehmen und Privathaushalte stabilisieren die Wirtschaft. Das schlägt sich auch in einem freundlicheren Börsenumfeld nieder. Gut lässt sich davon mit einem Aktienportfolio wie dem von Comgest profitieren. Denn darin sind globale Unternehmen enthalten, die ein robustes, gut prognostizierbares Gewinnwachstum aufweisen und krisenstabil sind. Hoch gewichtet sind zum Beispiel die Sektoren Gesundheit und nichtzyklische Konsumgüter.
JP Morgan US Technology
Digitales im Aufwind
Die USA nehmen unter Präsident Trump, der seine Wiederwahl sichern will, das meiste Geld in die Hand, um die Wirtschaft zu stützen. Zugleich sind in dem Land all die großen Technologiekonzerne beheimatet, die den durch die Corona-Krise beschleunigten Trend zur Digitalisierung unterstützen. Zwei gute Gründe, um auf einen langfristig bewährten und gut gemanagten Technologie-Fonds wie den von JP Morgan zu setzen.
Gewinneraktien
Essenzielle Unternehmen
Von den Billionenhilfen profitieren Millionen von Beschäftigten, die weiter konsumieren. Der Lebensmittelriese Nestlé, weltweite Nummer 1 der Branche, besitzt globale Top-Marken wie Vittel oder Nespresso. DAX-Konzern Beiersdorf, vor allem für seine Körperpflegemarke Nivea bekannt, profitiert ebenfalls als Hersteller von Gütern des täglichen Bedarfs. US-Softwareriese Microsoft ist stark bei Cloud-Diensten und kommt mit seiner Videokonferenz-Plattform "Teams" bei Heimarbeitern sehr gut an.
Name ISIN Perf. 1 J.
Beiersdorf DE0005200000 + 3,0 %
Microsoft US5949181045 +42,9 %
Nestlé CH0038863350 +37,2 %
Stand: 22.4.2020; Quelle: Bloomberg
Phaidros Schumpeter Aktien
Alles wird anders
Aufgrund der nun für viele Jahre zementierten Niedrigzinsen und mäßiger Inflationsaussichten sollten Anleger besser auf Aktien als auf Anleihen setzen. Da die Corona-Krise wohl viele Unternehmen dazu bringen oder zwingen wird, neue Wege zu gehen, ist ein Fonds wie der des Vermögensverwalters Eyb & Wallwitz interessant. Er investiert in Firmen mit disruptiven Geschäftsmodellen, daneben auf "Monopolisten" mit stetigen Erträgen und schwer angreifbarer Marktposition.
FvS Multiple Opportunities
Flexibel durch Krisenzeiten
Bevorzugt auf Realwerte in Form hochqualitativer weltweiter Aktien setzt Bert Flossbach mit seinem Mischfonds-Klassiker FvS Multiple Opportunities. Auch ein Anteil von zehn Prozent Gold als Krisenwährung ist stets im Portfolio enthalten. Daneben nutzt Flossbach geschickt Derivate zur Absicherung. Durch sein flexibles Vorgehen steuerte der Fonds sehr gut durch bisherige Krisenzeiten. Auf Sicht der vergangenen zwölf Monate notiert das Portfolio bereits wieder im Plus.
Xetra-Gold
Als Beimischung attraktiv
Ein gewisser Anteil an Gold im Depot kann nicht schaden. Wenn auch vielleicht nicht wegen steigender Inflation, die Experten eher nicht erwarten. Aber der Preis der Edelmetalls profitiert auch bei erhöhter Unsicherheit. Eine Möglichkeit, an steigenden Notierungen zu partizipieren, bietet der ETC Xetra-Gold.
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