Die Ruhe vor dem Sturm?

Analysten warnen: Der eigentliche Börsencrash steht uns noch bevor

17.05.22 22:35 Uhr

Analysten warnen: Der eigentliche Börsencrash steht uns noch bevor | finanzen.net

Das Börsenjahr 2022 verlief bisher entsetzlich: Die Inflationsraten steigen auf ein 40-Jahres-Hoch, der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Sanktionen gegen Russland verschärfen die Rohstoffknappheit, Chinas No-COVID-Lockdowns behindern ohnehin angeschlagene globale Lieferketten. Doch laut einigen Analysten sind die bereits herben Verluste noch längst nicht das Ende der Fahnenstange.

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8.084,6 PKT -20,7 PKT -0,26%

5.930,9 PKT 63,8 PKT 1,09%

• Volatilitätsindex habe noch Luft nach oben - Börsen könnten noch weiter abwärts gehen
• Zahlreiche Analysten warnen vor verfrühten Aktienkäufen
• Marktbullen sehen Belastungsfaktoren inzwischen als ausreichend eingepreist

Viele Anleger sehnen sich nach dem Ende der monatelangen Tristesse an den internationalen Kapitalmärkten. Doch viele Analysten sehen eine solche Hoffnung angesichts mannigfaltiger Belastungsfaktoren als verfehlt an.

Experten: US-Volatilitätsindex noch nicht negativ genug

Um den Zeitpunkt, wann die US-Börsen ihr Tief erreicht haben, zu bestimmen, verweisen Marktkenner oft auf den CBOE Volatility Index (VIX). Dieser Volatilitätsindex markierte Anfang März 2022, nach der schockierenden Attacke Russlands auf die Ukraine, mit dem Wert von 39 ein 52-Wochen-Hoch. Vergangene Woche stand dieser Indikator laut "Forbes" bei 35 - zu niedrig, um das Ende des Börsenabschwungs zu markieren, wie einige Analysten meinen. Zu diesen Skeptikern gehört Robert Schein, Chief Investment Officer von Blanke Schein Wealth Management. Schein zufolge signalisiere der derzeitige VIX, dass der Markt noch keinen Boden gefunden hat und weiter fallen dürfte. Selbst nach den "hässlichen" Aktienmarktrückgängen in der vergangenen Woche notiert der VIX immer noch unter seinen Höchstständen vom März - ein Anzeichen dafür, dass "die Anleger glauben, dass es in den kommenden Monaten zu einem noch stärkeren Ausverkauf kommen könnte", zitiert "yahoo finance" Schein. "Wenn die Anleger wirklich glauben würden, dass die Talsohle erreicht ist, würden wir wahrscheinlich einen noch höheren VIX sehen", ergänzt er und verwies auf die sich abzeichnenden Zinserhöhungen der Federal Reserve als potenziellen Katalysator für künftige Ausverkäufe. Nicholas Colas von "DataTrek Research" hält ebenfalls einen VIX-Wert von über 36 für notwendig, damit eine Trendwende erreicht werden könne.

Andere Analysten halten die bereits jetzt sehr hohe Volatilität hingegen für einen Kontraindikator, also ein im Grunde bullishes Signal. Marktstratege Ryan Detrick von LPL betont denn auch, dass sich die extreme Angst der Anleger bereits sowohl im VIX als auch in den Aktienpreisen widerspiegele.

Morgan Stanley-Analysten: US-Aktien sind immer noch zu teuer

Der generell als bearish geltende Morgan Stanley-Analyst Michael Wilson sieht den US-Aktienmarkt denn auch weiterhin als überbewertet an. Der Bullenmarkt zwischen 2009 und 2021 habe die Kurs-Gewinn-Verhältnisse stark nach oben hin verzerrt, die Übertreibungen des Marktes der letzten Jahre seien auch durch den scharfen Börsenabschwung seit Januar 2022 noch lange nicht abgebaut. Die deutlichen Leitzinsanhebungen der US-Notenbank würden nämlich unweigerlich das Wirtschaftswachstum abbremsen. Wilson erwartet deshalb ein noch deutlich niedrigeres Niveau des S&P 500. Wie "Forbes" berichtet, erwartet Wilson einen Einbruch von insgesamt 30 Prozent. Erst nach einem solchen Abverkauf werde das US-Börsenbarometer wieder nach oben drehen. Für das Frühjahr 2023 rechnet er mit einem Stand von 3.900 Punkte - also auf ein etwas niedrigeres Niveau als aktuell.

"Wir sind nach wie vor der Meinung, dass der US-Aktienmarkt für diese Verlangsamung des Wachstums gegenüber dem derzeitigen Niveau nicht eingepreist ist", schreibt Wilson in einer jüngsten Mitteilung. "Wir gehen davon aus, dass die Volatilität der Aktien in den nächsten 12 Monaten hoch bleiben wird", zitiert "yahoo finance" den Marktexperten. Aus diesem Grund empfiehlt Wilson eine defensive Depotausrichtung mit einer Übergewichtung von Gesundheits-, Versorgungs- und Immobilientiteln.

Graham Secker, ebenfalls von Morgan Stanley, stimmt seinem Kollegen zu. Zwar seien die Aktienbewertungen vermehrt angemessener, aber die Risiken überwiegen. "Machen wir es uns einfach - der makroökonomische Hintergrund ist für Aktien sehr schwierig", betont Secker in seiner Analyse. Für die europäischen Börsen bestünde das größte Risiko in einer Verringerung der russischen Gasimporte. "Obwohl die Stimmung unter den Anlegern niedrig ist und die Aktienbewertungen angemessen sind, werden die schwierigen fundamentalen Aussichten die Aktien in den kommenden Monaten wahrscheinlich nach unten treiben." Seckers rät deswegen zu defensiven Value-Titeln und zu Investments in den britischen Leitindex FTSE 100, da Großbritannien kaum russische Rohstoffe importiere und somit verhältnismäßig wenig vom Ukraine-Konflikt betroffen werde.

Berenberg: Den Dip zu kaufen ist "verlockend" - aber könnte bereut werden

Die Analysten vom Investmenthaus Berenberg teilen die Bedenken über eine rasche Erholung der US-Börsen. Zwar sei es durchaus "verlockend", den Dip zu kaufen - doch die enormen makroökonomischen Belastungen lassen das Bewertungslevel immer noch sehr hoch erscheinen. Der S&P 500 könnte folglich das 200-Wochen-Durchschnittsniveau von ungefähr 3.600 Punkten antesten. Hier könnte der Markt wieder nach oben drehen, denn nur beim Platzen der Dotcom-Blase 2000-2003 und bei der Finanzkrise von 2008 wurde dieser Durchschnitt nach unten hin durchbrochen, wie "yahoo finance" herausfand.

Bullishe Gegenstimmen

Nicht alle Analysten stimmen in den pessimistischen Grundtenor ein. Beispielsweise sieht Peter Oppenheimer, Analyst bei Goldman Sachs , zunehmend Nachkaufchancen. Der enorme Abverkauf der vergangenen Wochen habe das Preisniveau einiger vielversprechender Titel attraktiver gemacht. Zudem seien der Gegenwind von Inflation und Zinsanhebungen bereits in den derzeitigen Kursen eingepreist.

In einem Punkt sind sich die Analysten aber einig: Die weitere Entwicklung des globalen Kapitalmarktes wird hauptsächlich von den zukünftigen Inflationsdaten und den damit zusammenhängenden US-Notenbankentscheidungen abhängen. In den kommenden Wochen dürfte es an den Börsen folglich etwas ruhiger zugehen: Die Veröffentlichung der US-Verbraucherpreise für Mai und der nächste Fed-Zinsentscheid stehen erst Mitte Juni an.

Redaktion finanzen.net

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