Könnte der Brexit doch noch ausfallen?
Auf die erste Brexit-Party folgt in der Woche nach dem Referendum nun offenbar die Katerstimmung im "Leave-Lager". Plötzlich hat es anscheinend keiner mehr eilig, aus der EU auszutreten. Auf anderer Seite fragt man sich nun: Ist der Brexit doch noch abzuwenden?
Nun ist es soweit, die Fakten liegen endlich auf dem Tisch. Das britische Volk hat bei dem am vergangenen Donnerstag stattgefundenen Referendum mit einer klaren Mehrheit für den Brexit - den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union - gestimmt. Nach der ersten Euphorie sind am darauffolgenden Montag jedoch die lauten Stimmen, die für den Brexit getrommelt haben, verstummt. Hier und da hört man, man habe es nicht eilig, Artikel 50, der den Ausstieg eines Landes aus der EU regelt, zu aktivieren, während die EU vehement auf ein offizielles Austrittsgesuch drängt.
Ernüchterung nach dem Brexit-"Yes"
Es scheint das große Hadern umzugehen in Großbritannien. Das "Remain"-Lager empört sich über das Abstimmungsergebnis, einige "Ja-Sager" zeigen Reue und würden sich lieber noch einmal um-entscheiden, wenn sie nur dürften. Auch die größten Brexit-Vertreter enttäuschen ihre Anhänger bereits mit Wahlversprechen, die - kaum ist der Brexit beschlossene Sache - schon wieder abgesagt werden. "Bregret" ist bereits verbreiteter Hashtag auf Twitter und auch an den Börsen bleibt die Stimmung weiter trübe. Doch gibt es einen Weg raus aus der Brexit-Nummer?David Lammy: Wacht auf!
Wenn es nach dem Labour-Abgeordneten David Lammy geht, dann gibt es eine einfache Lösung: Das britische Unterhaus soll den EU-Ausstieg mit einem Veto in letzter Sekunde noch verhindern. Er twitterte am Samstag: "Wir können diesen Wahnsinn stoppen und diesen Albtraum durch eine Abstimmung im Parlament beenden."
Wake up. We do not have to do this. We can stop this madness through a vote in Parliament. My statement below pic.twitter.com/V8f9Yo1TZd
- David Lammy (@DavidLammy) 25. Juni 2016
Noch in dieser Woche sollten die Abgeordneten eine Entscheidung fällen. Und in einer Sache hat Lammy recht: Das Referendum ist rechtlich nicht bindend. Sollte der Premierminister vor der Aktivierung des Artikels 50 das Parlament befragen, könnte dieses verfassungsgemäß gegen einen Brexit entscheiden. Tatsächlich setzt sich das Parlament mehrheitlich aus dem "Remain"-Lager zusammen. Doch das Problem ist ein anderes: Würde das Parlament noch in dieser Woche unmittelbar nach dem Volksentscheid gegen den Willen des Volkes entscheiden, wäre das Referendum als demokratisches Element nahezu hinfällig.
Petition macht Druck
Rückenwind bekommt das Lager von David Lammy auch von über drei Millionen Briten, die eine Petition für ein zweites Referendum unterzeichnet haben. Die Möglichkeit, eine Parlamentspetition zu starten, steht jedem Briten oder Einwohner Großbritanniens offen, sofern er nur fünf Gleichgesinnte findet. Sobald eine Petition 10.000 Unterschriften erhält, gibt es eine schriftliche Antwort der Regierung, ab 100.000 Unterschriften muss in der Regel das Parlament über das Thema debattieren. Bei mehreren Millionen Unterschriften - wie es bei der Online-Petition, die ein zweites Referendum fordert der Fall ist, dürfte die Sache tatsächlich zur Parlamentsangelegenheit werden. Dennoch: Auch mehrere Millionen Stimmen in einer solchen Petition sind rechtlich nicht bindend.Es könnte auch ohne zweites Referendum klappen
Dass inzwischen auch das "Out"-Lager auf Zeit zu spielen scheint, könnte sich für diejenigen, die noch Hoffnung auf eine Abwendung des Brexit haben, als vorteilhaft herausstellen. Denn auch der Brexit-Wortführer Boris Johnson hat es nach dem Votum der Briten nun plötzlich doch nicht mehr so eilig und wiegelt in seiner Kolumne im "Daily Telegraph" lediglich ab, die Warnungen vor negativen Folgen eines Brexit seien überzogen und die tatsächlichen Veränderungen seien viel geringer, als behauptet.Auch David Cameron will seinen Stuhl in der Downing Street 10 erst im Oktober räumen und Platz für einen Nachfolger machen. Bis dahin will der Noch-Premier jedoch auch nicht Artikel 50 ins Rollen bringen, nach dessen Aktivierung die Uhr für die tatsächlichen Austrittsverhandlungen zu ticken beginnen würde. Damit legt Cameron die Verantwortung über den tatsächlichen Brexit in die Hände seines Nachfolgers. Um sich offiziell zu legitimieren könnte der künftige Cameron-Nachfolger Unterhauswahlen ansetzen. Wahlkampfthema in diesem Fall wäre sicherlich die Frage "Brexit: Ja oder Nein". Dies würde aus dem Wahlkampf eine Art zweites Referendum machen und könnte, möglicherweise, in einer Parlamentsabstimmung gipfeln. Zu diesem Zeitpunkt könnte sich die Stimmung in Großbritannien - nachdem die ersten möglichen Brexit-Folgen eventuell schon spürbar geworden sind - wieder in Richtung "Remain" gedreht haben.
Patt mit Brüssel
Neben aller Zukunftsmusik, flammt jedoch gerade ein Stellungskrieg zwischen Brüssel und den Briten auf. Denn auch wenn Großbritannien nun erklärt, man habe keine Eile für ein Austrittsgesuch - Brüssel verlangt die unverzügliche Aktivierung des Artikels 50, um das "Rosinenpicken" der Briten im Keim zu ersticken. Doch zwingen kann die EU die Briten nicht. Diese wiederum hoffen, vor dem Startschuss der offiziellen Austrittsverhandlungen noch ein paar informelle Gespräche führen zu können, um sich abzusichern. Der Ball liegt nun jedoch bei Großbritannien. Die Briten müssen nun das Austrittsgesuch stellen - oder eben nicht.Es besteht Hoffnung - mehr jedoch nicht
Auf dem Tisch bleibt jedoch nach wie vor die Tatsache, dass die Briten demokratisch für einen Brexit gestimmt haben - unabhängig davon, wie viele Einwohner Großbritanniens ihr "Yes" im Nachhinein bereuen. Weder David Cameron, noch Boris Johnson, noch das britische Unterhaus haben bislang Andeutungen gemacht, dem offiziell gewählten Wunsch des britischen Volkes zuwiderzuhandeln. Es bleibt also Hoffnung auf einen Exit vom Brexit - mehr jedoch nicht. Letzte Klarheit wird es wohl erst mit dem Nachfolger Camerons geben - in frühestens zwei Monaten.Christina Fischer, Redaktion finanzen.net
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