Corona-Comeback: Wenn Verlierer-Titel zu Gewinner-Aktien werden
Comeback-Aktien: Bis Ende des Jahres soll es einen Impfstoff gegen Corona geben. Für manche Branchen wäre das die Befreiung. Die Favoriten der Redaktion von €uro am Sonntag.
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von R. Witzler, K. Schachinger und S. Parplies, Euro am Sonntag
Die gelbe Wand bleibt grau. Lange galt es als ungeschriebenes Gesetz: Bei Heimspielen von Borussia Dortmund ist das Stadion ausverkauft, die südliche Stehtribüne, bekannt als gelbe Wand, voll besetzt. Durch Corona ist alles anders. Der BVB, einer der wenigen börsennotierten Fußballvereine, wird auch zum Start der neuen Bundesligasaison vor leeren Rängen spielen. Das schmerzt sportlich wie finanziell.
Pro Heimspiel gehen den Westfalen rund zwei Millionen Euro Einnahmen verloren. Insgesamt mussten die Dortmunder im Geschäftsjahr 2019/2020 einen Verlust von 44 Millionen Euro verbuchen. Dennoch ist Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zuversichtlich: Borussia könne "die Pandemie-Situation noch sehr lange durchhalten".
Die Situation des BVB ist besser als die vieler Konkurrenten, die bedeutend geringere Einnahmen aus der TV-Vermarktung erhalten und stärker auf Erlöse aus dem Ticketverkauf angewiesen sind. "In Spanien, Frankreich und Italien stehen etliche Vereine deutlich stärker unter Druck als hierzulande", sagt Marcus Silbe, Analyst bei Frankfurt Main Research. Das liegt auch daran, dass in der Bundesliga vorsichtiger gewirtschaftet wird: "Die relativ strengen Auflagen der Deutschen Fußball Liga für die Profivereine in Deutschland erweisen sich nun als Vorteil."
Der BVB dürfte die Krise überstehen und seine Position in Deutschland und Europa festigen - mit den entsprechenden positiven Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf und die Aktie.
Die Corona-Krise hat einige Branchen der Wirtschaft besonders hart getroffen. Die Aktienkurse der Krisenbranchen haben sich gar nicht oder nur leicht erholt. Gerade die Corona- Opfer hoffen darum auf einen Durchbruch im Kampf gegen das Virus. Ein Blick in die Datenbank der Weltgesundheitsorganisation zeigt, dass inzwischen acht Impfstoffkandidaten in der dritten und damit finalen Phase der klinischen Erprobung sind. US-Präsident Trump erklärte in einer Wahlkampfrede, dass man vor Jahresende einen Impfstoff produzieren werde, "vielleicht sogar früher". Die "Financial Times" berichtet, Trump erwäge eine beschleunigte Zulassung des Impfstoffs vor der Präsidentschaftswahl Anfang November.
Noch ist schwer abzusehen, wie wirksam ein Impfstoff sein wird. Produktion und weltweite Verteilung werden eine logistische Herausforderung. Ein Durchbruch aber wäre für die Aktienmärkte ein starkes Signal. Die Redaktion hat sich darum die Comeback-Branchen genauer angesehen.
Kultur
Back to Live. Unter diesem Motto treten auf der Berliner Waldbühne prominente Künstler auf. Für das Publikum gibt es strenge Auflagen. Für die Musikindustrie ist es dennoch ein Schritt aus der Krise. Als Veranstalter großer Live-Events und Ticketverkäufer ist CTS Eventim von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen: Im zweiten Quartal brach der Umsatz um 97 Prozent ein. Operativ blieb im Halbjahr ein Verlust von knapp 3,5 Millionen Euro.
CTS hat das Potenzial, von der Situation auf mittlere Sicht zu profitieren. Die Münchner zählen neben Live Nation Entertainment aus den USA zu den Großen der Branche. "Das ein oder andere regional verankerte kleinere Unternehmen im Event-Bereich wie im Ticketverkauf dürfte diese für die Branche beispiellose Krise nicht überstehen", sagt Volker Bosse von der Baader Bank. "Wir werden eine Konsolidierung erleben. Die Branchenführer dürften davon profitieren und in Märkte vordringen, auf denen sie bislang nicht oder kaum präsent waren - mit all den positiven Skaleneffekten, die sie nutzen können."
Mindestens bis Jahresende sind Großveranstaltungen in Deutschland untersagt. Die Sehnsucht nach Live-Unterhaltung aber ist groß: In einer Umfrage von CTS erklärten 75 Prozent der Kunden, dass sie innerhalb von vier Monaten nach Ende der Corona-Beschränkungen wieder Live-Veranstaltungen besuchen wollen.
Einzelhandel
Mit voller Wucht hat der Lockdown des Einzelhandels auch Adidas getroffen. Der Umsatz des Sportartikelkonzerns ging im zweiten Quartal um 35 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro zurück. Beim operativen Gewinn (Ebitda) blieb ein kleines Plus von 58 Millionen Euro, ein Minus von 94 Prozent zum zweiten Quartal 2019.
Noch immer läuft das Geschäft im Einzelhandel schwächer als vor den Ladenschließungen. Mit steigender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sinkt das verfügbare Einkommen breiter Käuferschichten. Gleichwohl gibt es Argumente, warum Adidas die Krise besser als die Konkurrenz überstehen dürfte. Eine wichtige Rolle spielt das Internet. Das Onlinegeschäft des Streifen-Konzerns lief schon vor der Krise besser als das seiner unmittelbaren Mitbewerber Nike und Puma. 2019 wurden 13 Prozent des Umsatzes online erwirtschaftet. In diesem Jahr soll der Anteil 20 Prozent erreichen. Nike erzielte lediglich einen Umsatzanteil von zehn Prozent im Internet, bei Puma waren es nur fünf Prozent.
Für die gesamte Branche gilt, dass Sportartikel und -bekleidung eher geeignet sind, online bestellt zu werden. Anders als etwa bei einem Markenanzug oder einem klassischen Businesskleid ist die Anprobe und das persönliche kritische Prüfen von Sitz, Farbe, Textur und dergleichen von geringerer Bedeutung. Auch der Trend zum Homeoffice könnte die Nachfrage nach bequemer Kleidung steigern.
Für die Branchengrößen besteht zudem die Chance, ihre Kosten im stationären Handel zu verringern. Angesichts der existenziellen Schwierigkeiten, in die vor allem kleinere Händler geraten sind, dürfte das Mietniveau für Verkaufsflächen auch in den Top-Lagen sinken. "Starke Marken wie Adidas können ihre Verhandlungsposition nutzen, fixe Kosten zu senken. Einkaufszentren brauchen die Attraktivität ihrer Ankermieter mehr denn je, um Käufer anzulocken", sagt Analyst Bosse.
Die Optikerkette Fielmann wurde durch den Lockdown ebenfalls hart getroffen. Im ersten Halbjahr sank der Konzernumsatz gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahres um fast 20 Prozent. Noch deutlicher war der Einbruch beim operativen Gewinn (Ebitda). Standen im ersten Halbjahr 2019 noch etwas mehr als 191 Millionen Euro zu Buche, ging es um gut 40 Prozent auf 108 Millionen Euro nach unten.
Dennoch bleiben die strukturellen Wachstumstreiber für Fielmann intakt: die Alterung der Gesellschaft und der Trend zu Multi-Fokal-Brillen und zu Kontaktlinsen. Corona hat die Nachfrage nach Brillen und Hörgeräten nicht verringert, weshalb es auch in den kommenden Quartalen die schon im zweiten Vierteljahr zu beobachtenden Nachholeffekte geben dürfte.
Tourismus
Das Touristikgeschäft bleibt schwierig. Eine Verlängerung der bis zum 14. September geltenden Reisewarnung in 160 Staaten außerhalb der EU gilt als wahrscheinlich. TUI, Europas größter integrierter Reiseveranstalter, hat indes mit einem Kredit über 1,2 Milliarden Euro von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) weitere staatliche Hilfe beantragt. Seit März hat der Konzern somit staatliche Kredite im Wert von drei Milliarden Euro in Anspruch genommen. Im dritten Quartal hatte der MDAX-Konzern bei 98 Prozent weniger Umsatz 1,1 Milliarden Euro Verlust verzeichnet.
Hoffnung machen erfreuliche Buchungsstände für den Winter und die Sommersaison 2021. Die Verlängerung der Reisewarnung habe nicht zu vermehrten Stornierungen geführt, sagt Konzernchef Fritz Joussen. Es werde mehr umgebucht, dafür habe TUI jedoch ausreichend viele offene Destinationen. Höhere Preise für Urlaub im Winter und im Sommer 2021 sollen Verluste kompensieren.
Joussen hatte TUI vor dem Ausbruch der Pandemie erfolgreich neu sortiert. Analysten trauen dem Sanierer deshalb zu, den Konzern im neuen Geschäftsjahr zurück in die schwarzen Zahlen zu führen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die für 2021 erwartete Erholung der Erlöse um 50 Prozent auf 15 Milliarden Euro.
Beim französischen Hotelbetreiber Accor stellt sich der Vorstand darauf ein, dass der globale Markt für Geschäftsreisen dauerhaft zehn Prozent unter dem Niveau von vor dem Ausbruch der Pandemie bleiben wird. Mit 2,5 Milliarden Euro Reserven in der Bilanz und nach der Veräußerung der Orbis- Kette sowie der Mövenpick-Hotels im vergangenen Jahr sind die Franzosen auch bei einer sehr moderaten Erholung des Geschäfts in der Hotellerie besser aufgestellt als die meisten Konkurrenten.
Ähnlich wie hierzulande wird in den meisten Regionen der Welt Urlaub überwiegend im eigenen Land verbracht. Dieser Trend dürfte auch 2021 Bestand haben. Weltweit aufgestellte Onlinereisevermittler passen sich dieser Veränderung schnell an. Booking mit einer Präsenz in weltweit 65 Ländern ist die globale Nummer 1 in diesem Geschäft und hat nach Einschätzung von Bloomberg Intelligence die besseren Karten, etwa im Vergleich zu Konkurrent Expedia. Denn während Booking.com seine Unterkünfte weitgehend über seine eigene Onlineplattform vermittelt, ist Expedia bisher stark auf die Plattform von Google ausgerichtet. Inzwischen wird das mehr und mehr zum Handicap. Google drängt selbst in das Geschäft mit der Vermittlung von Reisen und Ferienunterkünften.
Luftfahrt
Nichts geht mehr: Der Umsatz des Billigfliegers Ryanair stürzte im von April bis Juni laufenden Quartal um 95 Prozent ab, bei der Lufthansa waren es 80 Prozent. Hart getroffen wurde auch der Flughafenbetreiber Fraport mit 75 Prozent Minus.
Der Weg zurück in die Normalität ist lang: Der Branchenverband IATA erwartet, dass sich das Geschäft der Fluggesellschaften erst im Jahr 2024 normalisiert. Die Branche steht also vor einem harten Überlebenskampf. Unter den Airlines am besten aufgestellt sind die Billigflieger, weil dort die Kosten schon vor der Krise niedrig waren. Ryanair ist im zweiten Quartal mit einem Verlust von 185 Millionen Euro relativ glimpflich davongekommen. Zum Vergleich: Die Lufthansa verbrannte 1,5 Milliarden.
Die Krise wird in jedem Fall nachhaltige Schäden hinterlassen. Die Lufthansa hat den Staat als unbequemen Großaktionär, viele neue Schulden und Fragezeichen im Gepäck. Während des Lockdowns haben Unternehmen Videokonferenzen als kostengünstige und Zeit sparende Alternative zu Dienstreisen entdeckt. Die Reisebudgets dürften darum langfristig enger kalkuliert werden. Das trifft besonders die Lufthansa, die mit Businessreisenden als wichtigster Kundengruppe auf der Lang- strecke viel Geld verdient.
Besser positioniert ist Ryan- air: Die Iren sind auf die kurzen Distanzen innerhalb Europas fokussiert, viele der Kunden sind Privatreisende. Dieses Geschäft dürfte sich schneller erholen als die Langstrecke. Von einer "aufgestauten Nachfrage", sprach zuletzt Ryanair-Finanzchef Neil Sorahan: Viele Leute würden darauf warten, wieder reisen zu können, vor allem um Freunde und Verwandte zu besuchen.
INVESTOR-INFO
Borussia Dortmund
Relativ verstärkt
Der BVB hat mit seinem großen Stadion und der hochpreisigen Mannschaft eine höhere Kostenbasis als kleinere Vereine, aber die Einnahmen aus dem Spielbetrieb sind dank der starken TV-Einnahmen weniger wichtig. Auch dank erweiterter Kreditlinien kann der BVB eine längere Phase mit Geisterspielen überstehen. Danach wird man sehen, welche Vereine in Deutschland und Europa noch mit den Dortmundern mithalten können. Die Spitzenposition des BVB dürfte sicherer sein als vor der Corona-Krise.
Adidas
Online die Nase vorn
Der Sportartikelkonzern erzielte bereits 2019 einen Anteil von 13 Prozent des Umsatzes über den Vertrieb im Internet. Damit steht Adidas besser da als die Konkurrenten Nike und Puma. Das kam dem Unternehmen im Lockdown zugute und dürfte den Trend zu verstärkten Internetkäufen bedienen. Im stationären Handel bietet sich die Chance, Kosten bei den Mietflächen zu sparen. Die Aktie dürfte den Aufwärtstrend fortsetzen und sich dem Vorkrisenniveau annähern.
Fielmann
Geschäftsmodell intakt
Die Pandemie hat wenig dauerhaft negative Folgen für die Optikerkette und den Anbieter von Hörgeräten. Der Bedarf nach Fielmann- Produkten dürfte aufgrund der Alterung der Gesellschaft weiter steigen. Ein Großteil der im Lockdown nicht getätigten Käufe werden nachgeholt. Der Ausbau der Onlineangebote ist eine lohnende Investition in Effizienz und Service. Und die Expansion im Ausland bietet die Möglichkeit, Skaleneffekte zu generieren. Die Aktie hat gute Chancen, bald alte Höhen zu erreichen.
TUI
Gratwanderung
Beobachter erwarten, dass die Besitzer der TUI-Anleihen den Veränderungen der Konditionen zustimmen und damit den Weg für weitere staatliche Kredite frei machen. Es bleibt die hohe Verschuldung und die Bindung von viel Kapital in Ferienfliegern und Kreuzfahrtschiffen. TUI braucht dringend höhere Auslastungen, zunächst in den Hotels. Analysten sind zuversichtlich, sie prognostizieren für 2021 schwarze Zahlen und 50 Prozent Umsatzanstieg. Für Risikofreudige.
Booking Holdings
Ausreichend Reserven
Es bleibt ein schwieriges Jahr für die globale Nummer 1 der Vermittler von Urlaubsunterkünften. Für 2020 erwarten Analysten rund 7,7 Milliarden Dollar Umsatz, knapp 50 Prozent weniger als 2019. Zur Jahresmitte verfügte der Konzern über 13,3 Milliarden Dollar bei rund zwölf Milliarden Dollar Gesamtverbindlichkeiten. Rivale Expedia mit 5,5 Milliarden Cash hat zehn Milliarden Dollar Gesamtschulden. Für 2021 prognostizieren Analysten eine deutliche Erholung des Geschäfts.
Accor
In der Branchenkrise stark
Accor meistert die Covid-19-Krise besser als die meisten Konkurrenten. Berichten von Zeitungen und Nachrichtenagenturen zufolge prüft der französische Hotelbetreiber nun ein Zusammengehen mit der britischen Intercontinental-Gruppe. Anleger finden das gut. Der zentrale Grund für einen Zusammenschluss sei es, Kosten zu reduzieren, schreiben die Analysten von Credit Suisse. Die beiden Betreiber ergänzen sich in vielen Ländern und Segmenten. Überschneidungen gibt es vor allen im Luxussegment. Kaufen.
Ryanair
Schlanke Strukturen
Im August hat der Billigflieger sieben Millionen Passagiere befördert und damit 53 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Für das bis Ende März laufende Geschäftsjahr erwarten Analysten bei Ryanair ein Minus von knapp 700 Millionen Euro. Das ist zu verschmerzen. Dank ihrer schlanken Strukturen und darum niedrigen Kosten dürften die Iren auch diese Krise als Chance sehen, ihre Marktposition zu verbessern.
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