Der Wirtschaft droht ein harter Winter
Bei der Vorstellung der neuen Konjunkturprognose sparte die Bundesregierung nicht mit warmen Worten.
Der deutschen Wirtschaft gehe es gut. Deutschland bleibe Stabilitätsanker und Wachstumsmotor in Europa. Die Auftragsbücher der Unternehmen seien gefüllt. Die Geschäfte liefen auf Hochtouren. Die Arbeitslosigkeit werde sinken und die Löhne würden steigen. Fast könnte man meinen, Deutschland steuere auf eine neue Phase der Hochkonjunktur zu, wenn da diese eine Sache nicht wäre. Denn quasi im gleichen Atemzug korrigierte Wirtschaftsminister Philipp Rösler die Wachstumsprognose für 2012 von 1,8 Prozent auf nur noch ein Prozent nach unten. „Auch ein Prozent Wachstum ist Wachstum“, sagte Rösler. Da hat er natürlich Recht, richtig ist aber auch, dass es von einem Prozent Wachstum bis zur Stagnation oder gar Rezession eine gefährlich kurze Strecke ist.
Die Menschen und Märkte sind angesichts der Schulden- und Eurokrise zutiefst verunsichert. Und so war die Bundesregierung richtigerweise bemüht, nur ja keine neuen Rezessionsängste zu wecken. „Von der Rezession, die viele herbeireden, könne keine Rede sein“, sagte Rösler. Auf der anderen Seite: Mit Totschweigen wurden auch noch keine Probleme gelöst. offenere Worte fanden zum Beispiel die führenden Wirtschaftsinstitute, die in ihren Herbstgutachten vor einem Übergreifen der Schuldenund Finanzkrise auf die Realwirtschaft warnten. Tatsächlich hat sich das Geschäftsklima bereits spürbar abgekühlt. So sank der ifo-Geschäftsklima-Index, der zu den wichtigsten und verlässlichsten ökonomischen Frühindikatoren zählt, im oktober bereits zum vierten Mal in Folge. Die Unternehmen blicken nun deutlich skeptischer in die Zukunft als noch im Frühsommer. Der Unterindex für die Geschäftserwartungen sank zuletzt auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren.
Auch die Deutsche Bundesbank sieht rauere Zeiten für die Unternehmen anbrechen. „Die Konjunkturaussichten für das Winterhalbjahr 2011/12 haben sich weiter eingetrübt“, heißt es im Monatsbericht für oktober. Insbesondere der deutschen Industrie, so die Bundesbank weiter, dürfte es aufgrund der sich abschwächenden nachfrage aus dem Ausland schwerfallen, das Fertigungsvolumen in den kommenden Monaten saisonbereinigt zu halten. Im Klartext: Die Industrie könnte in den Wintermonaten schrumpfen. Dass aber auch die Bundesbank von einer Rezession nicht reden mag, liegt in der Annahme, dass es sich hierbei nur um eine temporäre Abschwächung handeln wird und sich die Konjunktur im weiteren Jahresverlauf wieder erholt.
Anleger sollten sich also auf einen ungemütlichen Winter einstellen. Seitens der Unternehmensgewinne dürften vorerst kaum positive Effekte für die heimischen Aktienmärkte zu erwarten sein. Davon zeugt auch die spürbar gestiegene Skepsis unter den Investoren. Wie aus dem aktuellen Citi-Investmentbarometer hervorgeht, erwarten 25 Prozent aller befragten Privatanleger in den kommenden drei Monaten sinkende Aktienkurse – zehn Prozentpunkte mehr als noch vor drei Monaten. Bei den professionellen Investoren sind es 27,3 Prozent nach 11,1 Prozent im Vorquartal. Auf die Sicht von 12 Monaten jedoch sind beide Gruppen überwiegend positiv gestimmt.
Dirk Heß, Finanzexperte der Citi, schreibt regelmäßig zu aktuellen Markt- und Derivate-Themen. Als Leiter öffentlicher Vertrieb Deutschland & Österreich Equity & Private Investor Solutions besitzt er langjährige Expertise in allen Fragen rund um Börse und Investments. In seinem regelmäßigen Kommentar gibt Dirk Heß fundiertes Fachwissen weiter.