Union: Augen zu und durch
Alles bestens, nur nichts ändern. Das ist die Botschaft im Programm von CDU und CSU. Sie lehnen mehr ab, als sie planen, und bleiben meist vage. In Umfragen liegen sie dennoch vorne. Die Wähler hoffen wohl darauf, dass die Union schon das Richtige tun wird.
von Andreas Höss, Euro am Sonntag
Die Union? Total modern, total vernetzt. Das sollte zumindest die „Location“ signalisieren, in der CDU und CSU im Juni ihr gemeinsames Wahlprogramm vorstellten. Die trendigen „Opernwerkstätten Berlin“ hatte man ausgesucht — einen heruntergekommenen Gebäudeklotz, in dem früher Bühnenbilder für die Staatsoper gezimmert wurden und wo heute Sterneköche „Erlebnisgastronomie“ zelebrieren. Auch WLAN hat die Union dort bereitgestellt. Das Passwort: KonradAdenauer.
Ein Passwort, das den Zustand der Union treffend beschreibt. „Keine Experimente!“ So warnte bereits CDU-Kanzler Adenauer 1957 vor der SPD und warb zugleich für seine Wiederwahl. 56 Jahre später ist Angela Merkels Botschaft ähnlich. „Es geht darum, dass Deutschland ein starkes und erfolgreiches Land bleibt“, lautet der dritte Satz ihres Wahlprogramms. Übersetzt bedeutet das: Alles gut, nur nichts ändern, CDU wählen. So sind die folgenden knapp 130 Seiten Politikprosa im Unions-Programm „Gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ vor allem eine Hymne auf die Heimat und ihre derzeit stärkste politische Kraft: die Union um Kanzlerin Angela Merkel.
Um Wohlstand geht es dort, um solide Finanzen und Rekordbeschäftigung. Wer will das schon aufs Spiel setzen? CDU und CSU jedenfalls nicht. Die „linke Umverteilungs- und Bevormundungspolitik“, wie die Pläne von SPD und Grünen genannt werden, lehnt die Union deshalb ab. Ohnehin bekommt man den Eindruck, dass mehr abgelehnt als geplant wird: eine einheitliche Bürgerversicherung, Steuererhöhungen, flächendeckende Mindestlöhne, Tempolimits, eine gemeinsame europäische Einlagensicherung oder Eurobonds zum Beispiel. Man könne es nicht hinnehmen, dass der deutsche Steuerzahler unbegrenzt für Banken und Schulden anderer Länder hafte, heißt es.
Genau das sei aber die Folge der Merkelschen Krisenpolitik, sagen Kritiker. Manche Beobachter fragen sich bis heute, ob Merkel sich in der Europapolitik — der größten Baustelle der vergangenen und auch der kommenden Legislaturperiode — als eiskalte Strategin gezeigt hat oder Getriebene der Ereignisse war. Selbst in der schwarz-gelben Koalition fanden nicht alle die Milliardenhilfen, die Merkel mit den Krisenländern, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank in Hinterzimmern ausgehandelt hat, alternativlos.
„Weiter so“ steht im Mittelpunkt
Aus Protest hat sich mit der AfD sogar eine neue Partei um den ehemaligen CDU-Mann Bernd Lucke gegründet, die eine Rückkehr zur D-Mark fordert. Unzufrieden ist auch die SPD, die mehr Europa möchte. Sie hat Merkels Politik zwar mitgetragen und ihre Entscheidungen im Bundestag abgenickt. Der Kanzlerin wirft sie aber vor, weiter Schulden zu machen, den Bürgern die Kosten für die Rettungspolitik zu verschweigen und ihre Pläne für Europa zu verschleiern. Tatsächlich findet man wenig Neues und Konkretes zur Europapolitik im Programm der Union. Europas Wirtschaft soll stärker verzahnt, die Krisenländer zu Reformen und mehr Haushaltsdisziplin gezwungen werden. Dass die Wirtschaft in Deutschland vergleichsweise gut läuft und die Steuereinnahmen sprudeln, sieht die Union als ihr Verdienst.
Dem geplanten Kurswechsel von Rot-Grün, die Schuldenvergemeinschaftung in Europa und Steuererhöhungen planen, setzt die Union deshalb ein „Weiter so“ entgegen. Statt Reformen kündigt sie Feinschliff an. Wörter wie „vorantreiben“, „ausbauen“ oder „weiterentwickeln“ geben die Richtung vor.
So bleibt das Programm der Union vage, schwer greifbar und lässt Hintertüren offen — wie es die Kanzlerin selbst gerne tut. Sie hat laut Umfragen beste Chancen, die Geschicke Deutschlands weitere vier Jahre zu lenken. Und dass sie dabei durchaus Kehrtwenden vollzieht und Experimente wagt, hat sich in den vergangenen vier Jahren — siehe Atomausstieg, Rettungspolitik oder Wehrpflicht — mehr als einmal gezeigt.
Das steht im Wahlprogramm
Europa und Finanzen
Ein zentrales Projekt der Union ist, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken — allerdings vor allem jene der europäischen Nachbarn, die wichtige Wirtschaftspartner Deutschlands sind. CDU und CSU fordern „weitere Anstrengungen und Reformen vor allem in den Staaten, die Hilfe in Anspruch nehmen.“ Um ihnen unter die Arme zu greifen, sollen EU-Fördermittel stärker auf Projekte ausgerichtet werden, die Arbeitsplätze schaffen. Die eingeschlagene Richtung zur Bankenunion und zur Überwachung systemrelevanter Institute durch die EZB sowie zur engeren Abstimmung der Wirtschaftspolitik will die Union weitergehen. Die EU-Kommission soll überwachen, ob Haushaltsregeln eingehalten werden, und Sanktionen aussprechen können. Eurobonds und eine europäische Einlagensicherung lehnt die Union ab. Banken sollen stärker reguliert werden und für Verluste haften, aber anders als von der Opposition gefordert nicht in Investment- und Geschäftsbereiche aufgespalten werden. Für Privatanleger gibt es wenig Neues. Die Abgeltungsteuer will die Union anders als SPD und Grüne nicht erhöhen. Sie erwähnt in ihrem Programm zudem lediglich, dass sie eine Finanztransaktionssteuer „verabredet“ hat. Ob sie kommt, hängt wohl davon ab, ob sie juristisch unbedenklich ist. Beratungsprotokolle und Produktblätter wollen CDU und CSU „weiterentwickeln“, die Einführung der Honorarberatung „vorantreiben“. In Deutschland möchte die Union „in der kommenden Wahlperiode“ Schulden abbauen, gleichzeitig aber verstärkt in Familien, Bildung, Forschung und Infrastruktur investieren. Die Schulden sollen durch konjunkturbedingt steigende Einnahmen und niedrigere Ausgaben sinken. Ein Mittel, um die Ausgaben zu drücken, soll der Bürokratieabbau sein.
Familie, Soziales und Bildung
Die Union hält an der Rente mit 67 fest. Wer Kinder erzogen hat, die vor 1992 geboren sind, soll mehr Rente bekommen (Mütterrente), berücksichtigt soll auch die Pflege von Angehörigen werden. Wer 40 Jahre versichert war und dazu privat vorgesorgt hat, dem garantiert die Union 850 Euro Lebensleistungsrente. Eine einheitliche Bürgerversicherung lehnt sie ab, hohe Überschüsse sollen die Krankenkassen künftig ausschütten. Um Familien zu fördern, wollen CDU und CSU Kindergeld und Kinderzuschlag erhöhen, den Kita-Ausbau vorantreiben und das Ehegattensplitting um ein nicht näher umrissenes Familiensplitting mit Steuervorteilen bei Kindern ergänzen. Die Union hält nichts von der Einheitsschule. Sie will die Bildungsausgaben steigern und Bildung und Forschung durch verschiedene Pakte und Initiativen fördern. Überraschend: Die Union will den Ländern die Möglichkeit zu Mietpreisbremsen einräumen (zehn Prozent über Ortsvergleich).
Steuern und Abgaben
Die Union will die Bürger entlasten, vor allem indem sie wie schon länger geplant die Kalte Progression abbaut. Die von Rot-Grün geforderten Vermögen- und höheren Erbschaftsteuern lehnt sie ab, am Ehegattensplitting hält sie fest. Der Steuerfreibetrag für Kinder (7008 Euro) soll schrittweise auf das Niveau der Freibeträge für Erwachsene angehoben werden (8130 Euro). Merkel will den Solidarpakt „bei Bedarf“ bis nach 2019 beibehalten. Steuerhinterzieher will sie effektiver bekämpfen und Steueroasen austrocknen. Die Beiträge zur Pflegeversicherung sollen „moderat“ steigen, im Gegenzug möchte die Union Zusatzversicherungen staatlich fördern. Die Lohnzusatzkosten sollen unter 40 Prozent bleiben.
Wirtschaft
Der deutsche Mittelstand liegt der Union besonders am Herzen. Ihn will sie etwa durch steuerliche Forschungsförderung, Inititativen wie der „Außenwirtschaftsoffensive“ oder bessere Rahmenbedingungen für Investoren stärken. Investitionen sollen vor allem in Zukunftstechnologien wie die Mikroelektronik oder die Luft- und Raumfahrt fließen, 25 Milliarden Euro gäbe es außerdem für den Ausbau der Fernstraßen. Um die Versorgung der deutschen Industrie mit Rohstoffen und Fachkräften zu sichern, setzt die Union beispielsweise auf internationale Abkommen. Das Ziel der Union ist Vollbeschäftigung, flächendeckende Mindestlöhne lehnt sie ab, will dafür die Tarifpartner „in die gesetzliche Pflicht“ nehmen. Die Energiewende müsse „zügig und mit Augenmaß“ vorangebracht werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll weiterentwickelt werden, stromintensive Industrien weiter Ausnahmeregelungen erhalten.
Fazit
Große Wundertüte
Glaubt man den Umfragen, könnte es knapp für Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl werden. Merkel schließt deshalb auch eine Große Koalition mit den Sozialdemokraten nicht aus. Nicht zuletzt deshalb ist es schwer zu sagen, welche Projekte Kanzlerin Merkel im Falle einer Wiederwahl anpacken könnte oder ob es zum Beispiel in der Europolitik Überraschungen geben wird.