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China: Prima Wachstum und doch zu schwach

23.03.12 17:00 Uhr

Chinas Wachstum und Exporte schwächeln. Was Anleger von Investments im Reich der Mitte erwarten dürfen, wo die Risiken lauern.

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von Emmeran Eder, €uro am Sonntag

China ist anders. Ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent würde fast überall auf der Welt Freudensprünge auslösen. In China erzeugt es Rezessionsängste. 2012 soll die dortige Wirtschaft „nur“ noch mit dieser Rate zulegen. Das verkündete Regierungschef Wen Jiabao auf der Tagung des Volkskongresses. In den vergangenen acht Jahren lag das Wachstum aber stets um die zehn Prozent, 2011 noch bei 9,2 Prozent.

Diese Zahlen verdeutlichen, warum die Regierung nervös ist: Sie hat Angst vor sozialen Unruhen. Denn um den hohen Bedarf an Jobs für Millionen von Arbeitssuchenden abzudecken, die vom Land in die Städte wandern, strebte Peking immer mindestens acht Prozent Wachstum an. Das dürfte künftig schwer werden. Einige Ökonomen sehen sogar die Regierungsprognose von 7,5 Prozent als ambitioniert an. Der Internationale Währungsfonds IWF warnt, der Wert könne auf vier Prozent sinken, sollte sich die Eurokrise verschärfen. Schließlich sind die gesunkenen Exporte nach Europa und in die USA einer der Hauptgründe für die Konjunkturdelle.

Doch vieles ist auch hausgemacht. Seit Mitte 2011 sind die Häuser- und Wohnungspreise im Schnitt um zehn Prozent gefallen. In einigen Städten wie Shanghai und Shenzhen, wo der Markt stark überhitzt war, sogar noch mehr. Bewusst lassen die Herrscher in Peking Luft aus der Immobilienblase. Der Zugang zu Wohnungsbaukrediten und der Kauf von Zweit- und Drittimmobilien wurde erschwert. Analyst Oscar Choi von der Citigroup geht davon aus, dass dieses Jahr die Preise abermals um zehn Prozent fallen. „Der Preiskrieg hat begonnen“, stimmt Alan Chiang Sheung-Lai vom Immobilienberater DTZ zu.

Die Auswirkungen sind gewaltig. Viele Baufirmen kämpfen ums Überleben. Die Branche ist mit fast 20 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) der wichtigste Wirtschaftssektor. Doch die Regierung betrachtet die Preise als immer noch zu hoch und will den Druck aufrechterhalten. Kein Wunder: Schließlich sind die Preise — im Verhältnis zum Einkommen — fast viermal so hoch wie in US-Großstädten.

Mit öffentlichem Wohnungsbau versucht die Politik, die Branche aufzufangen. Das hat zudem den Vorteil, dass sich soziale Spannungen verringern, wenn sich auch weniger betuchte Chinesen eine Wohnung leisten können. Darauf zielen weitere Maßnahmen ab. Die Eigentumsrechte der Landbevölkerung wurden verbessert und es ist geplant, Sozialleistungen im Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystem einzufüh ren. „Mit der Sicherung der Grundversorgung beugt Peking Unruhen vor“, sagt Frank Benz, Vorstand der Vermögensverwaltung Benz.

Löhne ziehen kräftig an
Diese Wohltaten kosten aber Geld. Die Krux ist, dass zugleich die Exporterlöse unter Druck stehen. Im Februar verzeichnete China das größte Handelsbilanzdefizit seit 20 Jahren. Dafür sind nicht nur die momentane Konsumschwäche in Europa und Amerika sowie die moderat aufwertende Landeswährung Renminbi verantwortlich, sondern auch höhere Löhne. Diese verteuern Produkte aus dem Reich der Mitte.

So sind die Gehälter städtischer Arbeiter seit 2004 im Schnitt um 150 Prozent gestiegen. Bei Facharbeitern sind die Lohnsprünge noch größer. Die Folge: Viele Unternehmen ziehen inzwischen von der Küste ins Landesinnere, da dort Personal viel billiger ist.

„Wir sprechen hier von 500 bis 1.000 Kilometern Distanz“, sagt Benz. Die neue Stadtflucht der Firmen ist durchaus im Sinne Pekings. Sie verbessert die Lebenssituation der Landbevölkerung und die Einkommenskluft zwischen Stadt und Provinz geht zurück.

Ein Teil der Kostenexplosion wird dadurch zwar aufgefangen. „Dennoch ist sich Chinas Führung bewusst, dass sie wegen steigender Kosten und der demografischen Entwicklung infolge der Ein-Kind-Politik vom arbeitsintensiven exportgetriebenen zum konsumgetriebenen Wachstumsmodell umschwenken muss“, sagt Maarten-Jan Bakkum, Aktienstratege für Schwellenländer bei ING Investment Management.

Verglichen mit anderen Industrienationen ist der Anteil des privaten Verbrauchs am BIP bisher noch unterentwickelt. Mit einem kräftig gestiegenen Mindestlohn, Steuersenkungen sowie Sozialtransfers versucht die Politik, die Bevölkerung zum Geldausgeben zu animieren, um die hohe Sparquote zu senken. „Die Umstellung wird aber bestimmt nicht reibungslos verlaufen“, sagt Bakkum voraus. Chinesische Wirtschaftsexperten rechnen mit einem Zyklus von zwei Fünfjahresplänen.

Der Konsum allein werde es aber nicht richten, meint Benz. Vielmehr müsse China vom „quantitativen zum qualitativen Wachstum“ kommen. Soll heißen: Hochtechnologiebranchen wie die Umwelt-, Biotech- oder Medizintechnikindustrie müssten rasch aufgebaut werden. „Wichtig ist auch, Produkte zu veredeln statt nur Auftragsfertigung zu betreiben.“ Mit der Wind- und Solarbranche hat China das schon vorgemacht. Auch in der Autozulieferindustrie macht das Riesenland große Fortschritte (siehe Investor-Info). „Der Umbau der Wirtschaft wird dennoch eine Gratwanderung“, so Benz. Er sei aber zuversichtlich, dass das Vorhaben gelingt.

Ekkehard Wiek, Fondsmanager für Asien bei W & M Wealth Managers stimmt ihm zu. „Bisher hat Chinas Führung ihre ökonomischen Ziele immer erreicht.“ ING-Profi Bakkum ist weniger optimistisch. Er erwartet ein schwächeres Wachstum, da der Immobiliensektor und die Exporte die treibenden Faktoren des Wirtschaftswunders waren. „Die meisten Anleger unterschätzen mittelfristig die Risiken“, so Bakkum.

Für die kommenden Monate ist er dennoch positiv für Chinas Aktienmärkte gestimmt. Da die Inflation mit 3,2 Prozent auf ein 20-Monats-Tief gefallen sei, könne die Zentralbank die Kreditvergabe ankurbeln, indem sie die Mindestreservesätze lockert. Auch der Konsum sowie Infrastrukturmaßnahmen würden gefördert. Zudem seien Chinas Börsen im historischen Vergleich preiswert. Deshalb dürfte ein Teil der weltweit vorhandenen hohen Liquidität ins Reich der Mitte fließen. Zuversichtlich ist auch Wiek, aber aus einem anderen Grund. „Chinas Börsen hatten Investoren zwei Jahre nicht mehr auf dem Radar, die sind jetzt mal wieder dran.“

Investor-Info

Fonds
Auf Konsumtitel setzen

Von der neuen Wirtschaftspolitik Chinas, den Binnenmarkt zu fördern, profitieren besonders Luxus- und Konsumgüterhersteller. Auf die setzt der China Consumer Fund von Fidelity schwerpunktmäßig. Stark vertreten im Fonds sind zudem Finanzdienstleister und Versicherungen, deren Produkte bei steigenden Einkommen ebenfalls stärker nachgefragt werden. Derzeit wird zu zwei Dritteln in China und zu einem Drittel in Hongkong und Taiwan investiert. Seit seiner Auflage im Februar 2011 hat Fondsmanager Raymond Ma den Vergleichsindex MSCI China geschlagen – bei niedrigerer Volatilität. Die jährliche Managementgebühr beträgt 1,5 Prozent.

Bonuszertifikat
Gepuffert in China anlegen

Wegen der unklaren Wirtschaftslage macht es Sinn, mit einem Bonuszertifikat mit hohem Puffer in den Hang-Seng-China-Enterprise-Index einzusteigen, der bei 11.216 Punkten steht. Das Barometer enthält die wichtigsten in Hongkong gelisteten China-Aktien. Das RBS-Papier läuft bis Ende 2013. Die Bar­riere liegt bei 7.500 Punkten, was gut 33 Prozent ­Sicherheitsabschlag ergibt. Die Bonusschwelle beträgt 15 000 Zähler. Das entspricht zwölf Prozent Jahresbonusrendite. An höheren Gewinnen sind Anleger voll beteiligt, da es keinen Cap gibt. Es existiert ein Währungsrisiko zum Hongkong-Dollar.

Währung
An der Aufwertung verdienen

Mit der Renminbi-Kapitalschutzanleihe der Royal Bank of Scotland (RBS) gewinnen Anleger, wenn die chinesische Währung teurer wird. Der Renminbi ist nicht frei konvertibel, unterliegt somit politischen Einflüssen. Auf Druck der USA ließen ihn die Chinesen in den vergangenen Jahren moderat aufwerten. Diese Entwicklung dürfte sich künftig fortsetzen, um die Inflation im Zaum zu halten und Importe für Konsumenten zu verbilligen. Gemessen an den Preisen für Big Macs, ist der Renminbi zum US-Dollar 40 Prozent unterbewertet. Anleger partizipieren bei der Anleihe mit dem Hebel von 1,3 an einer Verteuerung des Renminbi zum US-Dollar. Der Hebeleffekt entfaltet seine Wirkung aber erst zum Laufzeitende hin. Das Risiko Dollar gegen Euro ist abgesichert. Anleger sollten beachten, dass die Bonität der RBS auch Einfluss auf den Kurs hat.